Theatertheorien der polnischen Avantgarden 1918-1939
Projektleitung: Dr. phil. David Krych
Fördergeber: FWF
Volumen: 340.819 Euro
Forschungsstätte: mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Theatertheorien der polnischen Avantgarden der Zwischenkriegszeit sind im internationalen Kontext bisher kaum beachtet worden. Trotz der äußerst unterschiedlichen und oppositionellen ästhetischen und politischen Positionen, die in mehr als 100 Texten und Manifesten zum Ausdruck kommen, haben diese Überlegungen außerhalb Polens keine ausreichende Beachtung gefunden. Das Forschungsprojekt wird diese Lücke auf theaterhistorischer Ebene schließen und die weitreichenden theoretischen Auswirkungen im Hinblick auf Gender-, Performativitäts-, Zeitlichkeits- und Nationalismusforschung aufzeigen.
Die Vielfalt der Strömungen der Theateravantgarden in Polen führt zu der Grundthese: Avantgarde ist hier als pluraler Begriff zu verstehen, nämlich als die Avantgarden. In dieser Vielfalt der Texte tauchen drei Hypothesen auf.
Politische Dimension: Die Suche nach einem neuen Theater war mit einem neuen Nationaltheater verbunden, so dass die politische Identität eine zentrale Rolle in den Theatertheorien spielt.
Historisches Narrativ: Diese Suche war auch mit der Frage der historischen Legitimation verbunden. So treffen verschiedene zeitliche Dimensionen aufeinander, die sehr unterschiedliche (historische und theoretische) Konzeptionen offenbaren.
Gender-Dekonstruktion: Die Kränkung der humana durch den Ersten Weltkrieg führte nicht nur zu Konzepten eines homo novus, sondern auch zu einem actor novus. Die Akteurinnen und Akteure verschwinden als normatives Bild eines traditionellen Wertesystems.
Die sich daraus ergebenden Zielsetzungen schlüsseln diese drei Themen differenziert auf und zeigen den oft unbeachteten Einfluss auf die Nachwelt (z.B. Barba, Brook, Grotowski oder Kantor). Methodische Grundlage für die Analyse und Kontextualisierung dieser Texte sind die Überlegungen von Rudolf Münz zum Konzept des Theatralitätsgefüges. Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Modells, das mit dem Fokus auf Theatertheorien grundlegende Zusammenhänge herausarbeitet, um eine breite und tiefe (theoretische und historische) Kontextualisierung zu ermöglichen. Das Projekt eröffnet den Blick auf einen bisher vorherrschenden blinden Fleck in der Theaterwissenschaft und schließt eine Forschungslücke (mit der Möglichkeit, neues Forschungsmaterial für die Community bereitzustellen). Es ermöglicht auch, die Hegemonie der historischen Avantgarden (die sich auf Frankreich, Deutschland, Italien, Russland beziehen) zu hinterfragen. Das Projekt zeigt einen weitreichenden Einfluss der polnischen Theateravantgarden auf Vertreterinnen und Vertreter der Neo-Avantgarden.
Evelyn Annuß (Wien) wird als Mentorin des Projekts fungieren. Und sechs zentrale Forschernde/Institutionen werden das Projekt mit ihrer Expertise (inhaltlich, methodisch und netzwerkbezogen) unterstützen: Malgorzata Geron (Torun), Katarzyna Kulakowska (HyPaTia/Warschau), Elzbieta Wrotnowska-Gmyz (reclaimed avant-garde/Warschau), Dariusz Kosinski (Krakau), Dorota Sajewska (Bochum) und Matthias Warstat (Berlin).