Performing Challenges
Ringvorlesung mdw-Gender Studies 22.-23. Mai 2024
International Research Center Gender and Performativity
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Anton-von-Webern-Platz 1, 1030 Wien
Großer Seminarraum (E 0101)
Unsere Gender-Ringvorlesung 2024 führt den Schwerpunkt Performing Challenges fort und setzt sich mit den Beziehungen zwischen performativen Künsten und interdependenten gesellschaftlichen, politischen und ökologischen challenges auseinander: Im Wortsinn von challenge als Herausforderung, Infragestellen, Anzweifeln, aber auch als Anregung, Aufforderung, Provokation oder Auf-sich-nehmen, wollen wir einerseits danach fragen, wie gegenwärtige globale Herausforderungen in den Künsten Form finden, wie sie also performt werden, und wie andererseits performative Praktiken selbst herausfordern, auffordern und potenziell Veränderung provozieren. In diesem Kontext sind es die ästhetischen Mittel und Bedingungen des Performens heute an den Schnittstellen zwischen performativen Künsten, Aktivismus, Politik und Theorie, die im Zentrum der gemeinsamen Auseinandersetzung und Diskussion um Geschlechterfragen stehen sollen.
Entsprechend versammeln wir theoretische, künstlerische und aktivistische Zugänge, die sich anhand unterschiedlicher Beispiele aus den Bereichen Musik, Theater/Performance, Tanz, Film und Aktivismus sowohl der gegenwärtigen Verortung der performativen Künste widmen als auch der Auseinandersetzung mit verschränkten Ungleichheiten und dem Verhältnis von queerfeministischen, migrantischen und ökologisch-planetarischen Perspektiven im Kontext gegenwärtiger Globalisierungsentwicklungen.
Mittwoch, 22. Mai |
ab 14:00, Großer Seminarraum am IKM (E 0101) |
14:00 |
Begrüßung |
Performing Planetary Feminisms Margarita Tsomou |
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15:45 |
Choreografien der Inklusion. Utopien und Herausforderungen gegenwärtiger Inszenierungen von Diversität Adam Czirak im Gespräch mit Doris Uhlich |
16:45 |
Mediumistische Körper: Tanzgeschichte zwischen Medizin und Okkultismus Alexander Kamber |
ab 18:00, Arthouse Kino im Future Art Lab |
18:00 |
Choy Ka Fai |
danach: Fingerfood und Umtrunk auf der Dachterrasse des Future Art Lab |
Donnerstag, 23. Mai |
ab 10:00, Großer Seminarraum am IKM (E 0101) |
10:00 |
Popmusik - Kanon und Geschlecht Ralf von Appen |
11:00 |
Voicing the Yiddish Folk - Multidirectional Solidarities and Minoritarian Alliances Isabel Frey |
12:15 |
Maria Fuchs |
14:45 |
Beyond Crisis - Rethinking the Performance of Forced Displacement Emine Fişek |
15:45 |
Bafta Sarbo |
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Performing Planetary Feminisms Margarita Tsomou
Im Vortrag versuche ich eine Aktualisierung ökofeministischer Positionen für einen „planetarischen Feminismus“ und entwickle daraus Implikationen für die Konzeption des Körperlichen und Performativen. Dabei werden Positionen des Ökofeminismus mit feministischen Ansätzen des „New Materialism“ verbunden, die Biologie, Materie und Natur im Verhältnis zu Gender, Frauen*subjekt und -körper neu denken und dabei so weit gehen, Feminismus als eine post-humane Position zu fassen. Planetarisches Denken versteht den Planeten als dynamisches Gefüge von Relationen zwischen geologischen und atmosphärischen Kräften, zwischen Nicht-Menschen und Menschen samt der Art und Weise ihres organisch, sozial und technologisch gestützten Metabolismus. Bei der Formulierung einer planetarischen feministischen Analyse wird diese Arbeit an der perpetuellen zyklischen Regeneration von Leben und Körpern mit der Frage von sozialer Reproduktion zusammengedacht, in einem Versuch solche „ReProduktivität“ zu politisieren und zu ent-naturalisieren.
Prof. Dr. Margarita Tsomou ist griechische Kulturwissenschaftlerin und arbeitet von Berlin aus als Autorin, Dramaturgin, Moderatorin und Kuratorin. Sie ist Kuratorin für Theorie und Diskurs am HAU – Hebbel am Ufer in Berlin, gehört zum Gründerinnen- und Herausgeberinnenteam der popfeministischen Zeitschrift „Missy Magazine“ und ist Professorin für „Zeitgenössische Theaterpraxis“ an der Hochschule Osnabrück. Beispiele für ihre kuratorischen Arbeiten sind z.B. die Reihe Burning Futures: On Ecologies of Existence, die Konferenz Feminisms reclaming Life: an Internationalist Gathering im HAU-Hebbel am Ufer oder die Veranstaltungsreihe der Apatride Society im diskursiven Programm von Paul B. Preciado der Documenta 14.
Choreografien der Inklusion. Utopien und Herausforderungen gegenwärtiger Inszenierungen von Diversität Adam Czirak im Gespräch mit Doris Uhlich
Doris Uhlichs Ensemble-Choreografien involvieren immer Menschen mit unterschiedlichen Biografien, kulturellen Einschreibungen, tänzerischen Prägungen und körperlichen Abilities. In vielen Arbeiten Uhlichs spielt auch Nacktheit eine zentrale Rolle, die jenseits von Ideologie und Provokation, Spektakel und Voyeurismus inszeniert wird. Vor dem Hintergrund ihrer aktuellen künstlerischen Arbeiten (v.a. die site-specific-Serie Habitat, Melnacholic Ground bei den Wiener Festwochen und Pudertanz in Bad Ischl im Rahmen der Eröffnung Kulturhauptstadt 2024) diskutieren wir die Frage, welche Herausforderungen an den szenischen Umgang mit Diversität geknüpft sind und warum das Thema Inklusion im zeitgenössischen Tanz immer noch spaltet und zum Politikum wird.
Doris Uhlich ist eine international tätige österreische Choreografin, Performerin und Tanzpädagogin. Seit 2006 entwickelt sie eigene Projekte. Mit ihren Produktionen stellt sie gängige Formate und Körperbilder infrage.
Adam Czirak ist Theaterwissenschaftler und Dramaturg. Seit 2020 ist er am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien als Senior Lecturer tätig. Er leitet das FWF-Forschungsprojekt Dramaturgien nach dem postdramatischen Theater.
Mediumistische Körper: Tanzgeschichte zwischen Medizin und Okkultismus Alexander Kamber
In Paris um 1900 treten Tänzerinnen in hypnotischem Zustand auf, die vom Publikum als tanzende Manifestationen des Unbewussten gefeiert werden. In spiritistischen Kreisen werden die Tänze als Wirkung unsichtbarer Kräfte und Schwingungen interpretiert, die die Körper in Bewegung versetzen, wodurch die äußere Umgebung des Körpers in den Fokus gerät. Während die medizinische Hysterieforschung den hypnotisierten Frauenkörper als pathologische Kuriosität betrachtet, machen sich die Tänzerinnen den Befund weiblicher ‚Überempfindlichkeit‘ zunutze: Als ‚hochsensible Medien‘ verwischen sie mit ihren Tänzen die Grenze zwischen Körper und Umgebung und bringen ekstatische Subjekte jenseits bürgerlicher Expressivität auf die Bühne, die sich dem ärztlichen Zugriff entziehen.
Alexander Kamber studierte Kulturwissenschaften und promoviert im Fach Kulturanalyse an der Universität Zürich. Er forscht zum ökologischen Körperwissen des Tanzes um 1900 an der Schnittstelle von Bühnenkunst, Technik und Biowissenschaften. Sein Promotionsprojekt ist Teil des transdisziplinären Forschungslaboratoriums „Epistemologien ästhetischer Praktiken“ der Uni Zürich, ZHdK und ETH Zürich.
Supernatural Dance Explorer Choy Ka Fai
The Supernatural Dance Explorer is a lecture by Choy Ka Fai exploring shamanic dance culture in Asia. In search of the supernatural dance experience, he had filmed extraordinary shamanic rituals and folk traditions that are still prevalent in our contemporary times, intersecting with the broader environmental, technological and political shifts in Asia. The lecture will detail a selection of case studies from his encounters and collaboration process, interweaving with shamanic practices observed in Singapore, Indonesia, Siberia, Taiwan and Vietnam.
Choy Ka Fai is a Berlin-based Singaporean artist. His multidisciplinary art practice situates itself at the intersection of dance, media art and performance. He appropriates technologies and narratives to imagine new futures of the human body. Ka Fai’s projects have been presented in major institutions worldwide, including Tanz Im August (Berlin), ImPulsTanz Festival (Vienna) and Taipei Arts Festival (Taiwan). Ka Fai graduated with a M.A. in Design Interaction from the Royal College of Art, London, United Kingdom.
Popmusik - Kanon und Geschlecht Ralf von Appen
Auch in der populären Musik gibt es spätestens seit den 1970er Jahren eine Kanonbildung, z.B. in Form von in Musikzeitschriften veröffentlichten Listen („The 100 greatest albums of all time“ etc.). Der Vortrag dokumentiert und analysiert diesen Kanon zunächst mit Fokus auf den Anteil weiblich gelesener und afroamerikanischer Künstler*innen und beleuchtet dann am Beispiel des Rolling Stone-Magazins gegenwärtige Diversifizierungsbemühungen sowie die konservativen Reaktionen darauf. Genre-Bezeichnungen wie Rock und Pop erweisen sich dabei als gegenderte Kategorien.
Ralf von Appen ist Professor für Theorie und Geschichte der Popularmusik an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien (mdw). Nach dem Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten in Bremen und Gießen tätig, wo er 2007 mit der Arbeit „Der Wert der Musik. Zur Ästhetik des Populären“ promovierte und 2017-2019 die Professur für Musikpädagogik vertrat. In Forschung und Lehre befasst er sich mit populärer Musik unter all ihren Aspekten, zurzeit insbesondere mit Fragen der Wertung und Ästhetik sowie mit Methoden ihrer Analyse.
Voicing the Yiddish Folk – Multidirectional Solidarities and Minoritarian Alliances Isabel Frey
Yiddish folksong, once a daily practice of vernacular Jewish communities in Eastern Europe, now thrives as a “folksong without a folk” among a transnational music scene of people, who choose Yiddish in a critical engagement with Jewishness. This talk examines the political affordances of the Yiddish voice through an analysis of contemporary songs that express solidarity with other minorities. It investigates how the specific aesthetic qualities of the Yiddish voice enable the building of new alliances across cultural boundaries, thereby opening up the space for articulations of Jewish belonging beyond ethno-nationalist identification.
Isabel Frey is a PhD candidate in the Structured Doctoral Program “Music Matters” at the mdw as well as a Yiddish singer. Her dissertation research about Yiddish folksong is at the intersection of ethnomusicology, cultural studies and gender studies. She also works as a performer, artistic researcher and music curator.
Scoring "Heimat" in "African Films" - Sonic Imaginations from the Colonial Past and their Sound History Maria Fuchs
The narrative of whiteness in Africa and the conquest of the continent in the sense of a newly won "Heimat" ("homeland") is still a central element in “African” films of the Global North and in which cultural homeland tropes merge with colonial fantasies. In this lecture, Maria Fuchs shows how racialized and gendered clichés are created in the musical coding of cinematic Africa. By focusing not only on the "textual" level of film music, but also on the "raw material" of the soundtracks, she links the music production of commercial audiovisual media with the broad interdisciplinary research on sound history and acoustic (colonial) cultural heritage.
Maria Fuchs is a musicologist and works at the intersection of film and media studies. From 2020 to 2023 she was head of the FWF project "Soundscapes from 'Heimat': Musikalische Kartographie in Heimatfilm und Bergfilm (1930-1970)" and most recently Research Fellow at at the International Research Center for Cultural Studies of the University of Art and Design Linz.
Beyond Crisis - Rethinking the Performance of Forced Displacement Emine Fişek
As many scholars have noted, the “European refugee crisis” of 2015-2016 has resulted in a cultural climate where references to refugees at risk are rapidly transforming into a discourse of refugees as risk. This is due in part to the language of crisis itself, and the representation of the forcefully displaced through tropes of heightened urgency. Can theatre and performance practices offer ways of seeing forced displacement that move beyond this imaginary of crisis? In this talk, we will think through this question from the vantage point of contemporary Turkey, where artists have met this challenge in unexpected ways.
Emine Fişek is Research Associate in the Institute for Urban and Regional Research of the Austrian Academy of Sciences, where she is Principal Investigator of the ERC Project “Theatre and Gentrification in the European City”. Her research interests center on political theatre, with emphasis on dynamics of memory, migration, and urban transformation.
Die Diversität der Ausbeutung Bafta Sarbo
In Deutschland wird von Antidiskriminierungsstellen bis zur radikalen Linken ein liberaler Rassismusbegriff vertreten, der vor allem auf Repräsentation, Inklusion und Diversität setzt. Wie Klasse und Rasse zusammenhängen, wird dagegen kaum diskutiert. Dabei gibt es durchaus eine kritisch-marxistische Tradition der Rassismusforschung. Diese Tradition soll beleuchtet werden, außerdem soll es eine politische Intervention in die aktuellen Debatten um strukturellen und institutionellen Rassismus – ob auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Polizei geben. Die Idee ist Alternativen zum liberalen Antirassismus zu präsentieren, indem ein marxistischer Rassismusbegriff in Theorie und Praxis vorgestellt wird.
Bafta Sarbo ist Autorin und politische Bildnerin. 2022 hat sie den Sammelband "Die Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus" herausgegeben. Sie ist politisch aktiv bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, wo sie schwerpunktmäßig zu Polizeigewalt arbeitet.