LC # 92 |  JUNI 2024

Dieter Torkewitz: Analysen ausgewählter Werke von Komponisten des 19. Jahrhunderts

Die Texte in diesem Buch sind eine Zusammenstellung und Überarbeitung von Studien des Autors seit den 1970er Jahren bis heute. Die bislang in unterschiedlichen Periodika sowie Kongressberichten erschienenen Beiträge boten sich zu einem Wiederabdruck im Rahmen der Wiener Veröffentlichungen zur Theorie und Interpretation der Musik geradezu an: deren Grundintention der „Grenzüberschreitungen der Einzelressorts der Trias Kunst, Theorie und Wissenschaft“ – so in der Einleitung des reiheneröffnenden ersten Bandes – entsprechen die multiplen Forschungsansätze von Dieter Torkewitz.

Dass bei Studien zur Musik des 19. Jahrhunderts ein Schwerpunkt auf Franz Liszt liegt, ist in Torkewitz’ lebenslanger Auseinandersetzung mit diesem Komponisten begründet.

Dieter Torkewitz lehrte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien von 2001–2009 das Hauptfach Musiktheorie, zunächst als Gastprofessor, 2003 wurde er Lehrstuhlinhaber. In dieser Zeit initiierte er an der mdw eine Reihe von Veranstaltungen. So fokussierte die von ihm gegründete Vortragsreihe „Wiener Theoriegespräche“ die Beziehung zwischen Musik und Disziplinen unterschiedlichster Art wie beispielsweise Interpretationsforschung mittels KI, Philosophie, Architektur, bildende Kunst, Friedensforschung, Medizin. Weiters plante und führte Torkewitz gemeinsam mit Univ.-Prof. i.R. Ingomar Rainer drei internationale Kongresse durch, die eine enge Verknüpfung zwischen Musiktheorie, -wissenschaft und Interpretation intendierten. Torkewitz und Rainer riefen auch die Buchreihe Wiener Veröffentlichungen zur Theorie und Interpretation der Musik ins Leben, als deren fünfter Band die aktuelle Publikation erscheint.

Das Buch wird am 25.6. um 18 Uhr an der ub.mdw im Bruno-Walter-Lesesaal präsentiert. Em.o.Univ.-Prof. Wolfgang Watzinger wird im Rahmen der Buchpräsentation Werke von Franz Liszt, Frédéric Chopin und Johannes Brahms spielen.
 

 

LC # 91  |  MAI 2024

Der Abwesende - Giacomo Meyerbeer zum 160. Todestag

Obwohl Giacomo Meyerbeer (1791−1864) zu den bedeutendsten Persönlichkeiten im europäischen Musikleben des 19. Jahrhunderts gezählt werden kann, spiegelt seine weitestgehende Abwesenheit im heutigen Bühnenrepertoire wie auch im schulischen und akademischen Musikunterricht nicht zuletzt den nachhaltigen Einfluss national(istisch)er sowie judenfeindlicher Rezeptionsweisen in und auf die Musikgeschichte wider: „Mit der Unterscheidung zwischen den Nationalstilen des 18. Jahrhunderts und der im 19. Jahrhundert auftretenden Verknüpfung von Nationalität und Originalität“, so Annkatrin Dahm, „wurde Meyerbeer zu einem Opfer einer den gesamten Bereich der Musik umfassenden ästhetischen Debatte“. Verstärkt wurde dies durch Meyerbeers religiöse Herkunft, insofern – wie Sieghart Döhring es auf den Punkt bringt − der „jüdische Kosmopolit, dessen Werk sich dem nationalkünstlerischen Kategoriensystem verschloss, […] zur historischen Unperson“ wurde.

Dabei galt Meyerbeer im 19. Jahrhundert als einer der einflussreichsten und begehrtesten Opernkomponist*innen der Zeit. Parallel zu ​​​​​​​seiner Stellung als Generalmusikdirektor der Berliner Hofoper sowie Leiter der Preußischen Hofmusik prägte der Kosmopolit das Repertoire der Pariser Opéra – sowie jenes zahlreicher anderer Häuser innerhalb und außerhalb Europas. So konstatierte der renommierte Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick anlässlich des Meyerbeer-Zentenariums im Jahre 1891: „Meyerbeers Opern […] sitzen fest in dem Repertoire aller Theater und herrschen da seit ihren ersten Aufführungen ununterbrochen. […] Eine Popularität wie diese ist ohne Beispiel.“ Und bevor ​​​​​​​Richard Wagner Meyerbeer in Das Judenthum in der Musik (1850, erw. 1869) diffamieren würde, reihte er seinen Landsmann – welcher sich „die Vorzüge der italienischen u. französischen Schule zum Meister“ gemacht, die „Schranken der Nationalvorurtheile“ zerschlagen und damit „Weltgeschichte“, sogar „Thaten der Musik“ geschrieben hätte – als genuin „​​​​​​​deutschen“ Komponisten in die Tradition Händels, Glucks und Mozarts ein und beteuerte, selbst durch Meyerbeer „auf meine jetzige Bahn gebracht“ worden zu sein.

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Trotz zahlreicher persönlicher Rückschläge sowie gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche liest sich Meyerbeers Biographie durchaus als Erfolgsgeschichte: 1791 als Sohn einer wohlhabenden, kunstaffinen Kaufmannsfamilie in der Nähe von Berlin geboren, genoss Meyerbeer eine humanistische Erziehung. Musikalisch ausgebildet wurde er durch zeitgenössische Koryphäen wie Franz Lauska, Carl Friedrich Zelter und B. A. Weber in Berlin sowie Abbé Vogler in Darmstadt, wo er bereits 1813 zum Hofkomponisten ernannt wurde. Eine Bildungsreise führte ihn nach Wien, Paris und London (1813−1816). Im darauffolgenden Jahrzehnt machte sich Meyerbeer als Komponist italienischer Opern – „eine erfolgreicher als die andere“ (Michael Jahn) – in Italien einen Namen, was ihm als Sprungbrett für Paris dienen sollte. Dort entwickelte er sich in den 1830er- und 1840er-Jahren mit Robert le Diable (1831), Les Huguenots (1836) und Le Prophète (1849) zum führenden Opernkomponisten seiner Zeit. 

​​​​​​​Meyerbeers letzte große Oper, Vasco da Gama, wurde aufgrund seines plötzlichen Todes während der Endproben durch François-Joseph Fétis vollendet und 1865 unter Anwesenheit der gesellschaftlichen Prominenz aus Politik und Kultur als L’Africaine uraufgeführt. 

Am 2. Mai 2024 jährt sich Meyerbeers Todestag zum 160. Mal. Dies soll als Anlass dienen, auf den Bibliotheksbestand zu jenem Komponisten aufmerksam zu machen, der nicht nur die Gattung der grand opéra maßgeblich geprägt hat, sondern sich bereits zu Lebzeiten aktiv für die Förderung des musikalischen Nachwuchses eingesetzt hat. 

(Text: Henriette Engelke)

 

LC # 90  |  APRIL 2024

Eine Pionierin der „Neuen Musik“, die sich gerne zwischen allen Stühlen niederlässt: Olga Neuwirth

Olga Neuwirth wurde am 4. August 1968 in Graz geboren. Sie studierte in Wien, San Francisco und Paris. Zu ihren Lehrenden gehörten Adriana Hölszky, Tristan Murail und Luigi Nono. Das Studium schloss sie mit einer Magisterarbeit „Über den Einsatz von Filmmusik in ‚L'amour à mort' von Alain Resnais“ ab. Sie ist nicht nur eine der erfolgreichsten Komponistinnen ihrer Generation, die regelmäßig mit zahlreichen internationalen Größen arbeitet, sondern zudem eine Grenzgängerin zwischen Musik, Wort- und Videokunst sowie cineastischer Hinwendung. Und auch die aktuelle Polit- und Alltagskultur stehen regelmäßig im Zentrum ihres künstlerischen Selbstverständnisses. 

Seit ihrer Teenager-Zeit interessiert sich Neuwirth für Wissenschaft, Architektur, Literatur, Film und Bildende Kunst und ließ daher in vielen ihrer Stücke seit den frühen 1990er Jahren Ensemble, Elektronik und Videoeinspielungen zu einem genreübergreifenden visuellen und akustischen Erlebnis für alle Sinne verschmelzen. Nicht zuletzt deshalb gilt sie in der sogenannten „Neuen Musik“-Szene als Pionierin.​​​​​​​
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Mit Elfriede Jelinek verbindet sie eine langjährige Zusammenarbeit. Neuwirth lässt sich aber auch oft von anglo-amerikanischer Kultur inspirieren, so z.B. in ihrem 2003 uraufgeführten Musiktheaterstück „Lost Highway“ nach David Lynchs gleichnamigen Film. 

Wir von der ub.mdw freuen uns jedenfalls mitteilen zu dürfen, dass wir unseren Bestand an Neuwirth-Werken massiv aufgestockt haben und so auch über Vieles verfügen, was in anderen österreichischen Bibliotheken wohl nicht vorzufinden ist.

 

LC # 89  |  MÄRZ 2024

Thomas Daniel Schlee

Wir freuen uns, Einiges an Noten und Tonträgern des zeitgenössischen Komponisten Thomas Daniel Schlee an der ub.mdw anbieten zu können.

„Mit meiner Musik suche ich die Spuren von Schönheit und Ausdruckstiefe, die aus den Tonkonstellationen hervorleuchten. Das ist nicht neu, aber eine stets wunderbare Herausforderung. Eine Ästhetik der Verbote ist mir ebenso fremd wie die Wahllosigkeit der Stilmittel. Jede Komposition hat ihre Bestimmung und leitet aus dieser ihre Gestalt, den Ablauf der harmonischen Farben, die Beschaffenheit des melodischen und formalen Gefüges ab. Das so genannte Material wird von der ersten Idee, der Inspiration, in Bewegung gebracht, um sodann in das Wechselspiel von Eigendynamik und Kontrolle zu münden: Dies ist die für den Komponisten aufregendste Phase seiner Arbeit. Wenn das Material gerundet ist, das Ohr als höchste Instanz sein Urteil über die Folge der Klänge gefällt hat, dann entsteht, vielleicht, jener Zauber einer sprechenden Kunst, in der Erinnerung und Phantasie zum Werk verschmelzen.“
Thomas Daniel Schlee (1997); zitiert nach: Bärenreiter Verlag: Thomas Daniel Schlee - Zitate, abgerufen am 29.02.2024

Thomas Daniel Schlee wurde 1957 in Wien geboren. Er studierte Orgel, Komposition und Musikwissenschaft in Wien und Paris bei Michael Radulescu, Jean Langlais, Olivier Messiaen und Francis Burt. Als Organist konzertiert er in ganz Europa, wirkt an Rundfunkproduktionen und CD-Aufnahmen mit, fungiert als Juror in internationalen Wettbewerben sowie als Herausgeber. Von 1990 bis 1998 war er Musikdirektor des Brucknerhauses Linz und künstlerischer Leiter des Internationalen Brucknerfestes, von 1999 bis 2003 Stellvertreter des Intendanten des Internationalen Beethovenfests Bonn. Von 2004 bis 2015 bekleidete er selbst die Funktion des Intendanten beim Festival Carinthischer Sommer. Als Komponist hat Schlee zahlreiche Werke für Orchester, Vokal- und Kammermusikbesetzungen sowie Werke für und mit Orgel publiziert. 2005 wurde er zum Officier des Arts et Lettres ernannt, 2010 wurde ihm der Österreichische Kunstpreis für Musik, 2012 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. Für die Komposition „Bild und Gleichnis – Sechs Betrachtungen der Heilsgeschichte für Orgel op. 92“ erhielt Schlee 2023 den Kirchenmusikpreis der Stadt Saarlouis.

 

LC # 88  |  Jänner 2024

Verfolgte Komponistinnen in der Zeit des NS-Regimes

Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages findet an seinem Vorabend, also am 26.1.2024, ein Konzert mit Gespräch unter dem Titel „Ausgelöscht !? Wiederentdeckung von verfolgten Komponistinnen in der Zeit des NS-Regimes“ statt.

Im Konzert werden kammermusikalische Werke der vom NS-Regime vertriebenen Komponistinnen Leni Alexander, Anita Bild, Henriette Bosmans, Ursula Mamlok, Ruth Schönthal, Germaine Tailleferre, Vally Weigl und Rosalie Marie Wertheim aufgeführt. Die Auswahl und Einstudierung besorgte die Projektleiterin, Violinistin und Dirigentin Bettina Schmitt. Parallel dazu interpretieren Studierende der Rhythmik- und Bewegungspädagogik einige dieser Werke. Zusätzlich findet ein Gespräch mit der Flötistin und Exilforscherin Ulrike Anton über diese selten aufgeführten Komponistinnen und deren künstlerisches Wirken statt.

Einiges an Noten der dort aufgeführten Werke haben wir von der ub.mdw bestellt bzw. schon in unseren Beständen vorrätig, etwa: Schönthal, Ruth: Toccata und Arietta, Weigl, Vally: Bird of Life und Trialogues, Mamlock, Ursula: Suite, Wertheim, Rosy: Sonate, Bosmanns, Henriette: Streichquartett oder auch Werke von Germaine Tailleferre. Darüber hinaus finden Sie bei uns auch weitere Noten von den bzw. Sekundärliteratur über die Genannten: ein Angebot, das auch nach dem 26.1.2024 genützt werden kann und soll!

Bei „Ausgelöscht!?“ handelt sich übrigens um eine Veranstaltung des Joseph Hellmesberger Instituts für Streichinstrumente, Gitarre und Harfe in der Musikpädagogik (designiert als Alma Rosé Institut für Streichinstrumente, Gitarre und Harfe in der Musikpädagogik) unter der Gesamtleitung von Bettina Schmitt in Kooperation mit Exilarte. Zentrum für verfolgte Musik und dem Institut für Musik- und Bewegungspädagogik/Rhythmik sowie Musikphysiologie.

Zeit: Freitag, 26.01.2024, 18.30 Uhr. Ort: Joseph Haydn-Saal am Anton von Webern-Platz 1, 1030 Wien. Der Eintritt ist frei. Ein Live-Stream erfolgt via mdwMediathek.

 

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