„Deshalb zieht sie die Intuition dafür, welche Form ihr Buch annehmen soll, aus einem anderen Gefühl, einem Gefühl, das sie überkommt, wenn sie ausgehend von einem Bild der Vergangenheit – wie sie nach dem Krieg neben anderen Kindern, denen die Mandeln herausgenommen worden waren, im Krankenhaus liegt, wie sie im Juli 68 mit dem Bus durch Paris fährt – den Eindruck hat, in etwas Größerem aufzugehen, einem unscharfen Ganzen, dessen einzelne Bestandteile – Bräuche, Handlungen, Worte etc. – sie durch einen Kraftakt ihres kritischen Bewusstseins zum Vorschein bringen kann. So wird der winzige Augenblick der Vergangenheit immer größer, er wird zu einem Horizont, der zwar beweglich ist, der aber auch eine einheitliche Tonalität hat, dem Horizont eines oder mehrerer Jahre. Dann überkommt sie mit einer tiefen, fast überwältigenden Befriedigung – die sie angesichts des einzelnen Bildes, der persönlichen Erinnerung nicht empfindet –, ein umfassendes Gefühl für die Gesellschaft, in dem ihr Bewusstsein, ja ihr ganzes Sein enthalten ist.“

 

Annie Ernaux, Die Jahre (2008), S. 251

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