Ayo Aloba

Die Hände meiner Mutter

 

Als ich ein Kind war, besuchte ich ein Internat das etwas abgelegen von der Stadt war. Ich gewöhnte mich Schritt für Schritt gerade an die ländliche Umgebung und die Kultur, nachdem ich zwei Jahre zuvor aus Nigeria angereist bin.

Wir hatten eine ereignisreiche Woche, in der die Kinder ermutigt wurden, unsere natürliche Umgebung zu erforschen, Baumhäuser zu bauen, etwas über verschiedene Vögel und Tiere zu lernen, die Spuren ihrer Anwesenheit hinterließen, ein Lagerfeuer zu machen und uns aus unserer Komfortzone herauszuholen.

 

Eines Nachmittags verkündete unsere Hort Tante die aufregende Nachricht, dass wir einen Ausflug ins Hallenbad machen werden.

 

Ich war ängstlich und aufgeregt zugleich, denn ich hatte schon immer eine respektvolle Angst vor Wasser. Nachdem ich der Hort Tante meine Nervosität beichtete, nahm sie mich in den Arm und schenkte mir dieses vertraute Lächeln der Wärme und der Gewissheit, dass man sich um mich kümmern würde und ich mir nicht zu viele Sorgen machen musste.

 

Als wir am Hallenbad ankamen, betäubte der überwältigende Geruch von Chlor und überreizte meine Sinne. Wir wurden ein letztes Mal zusammen getrommelt, bevor wir uns im Schwimmbad verteilten. Wir mussten aufeinander achten und unser farbiges Armband, mit der Adresse unseres Schlafsaals für Notfälle, immer bei uns haben.

Die Hort Tante hielt meine Hand und sagte den älteren Kindern, sie sollten auf mich aufpassen, weil ich nicht schwimmen konnte. Kaum hatte sie ihren Satz beendet, stürzten sich alle Kinder in das kalte Wasser.

 

“Benutze das Geländer, um dich zu halten, wenn du die Treppe hinunter ins Wasser gehst”, sagte meine Heimleiterin, während sie die Wasser Flügel ausbreiten und in meine dünnen Arme schlüpfte. “Ich bin direkt hinter dir.”

Mit meinem großen Zehen tastete ich das Wasser. Ich hielt den Atem an und zählte bis zehn, bevor ich die Treppe hinunter stieg.

 

Das kühle Wasser stieg bis zu meiner Brust hinauf. Meine Hort Tante stand direkt hinter mir und schlang ihre Arme um meine Taille, um meinen zitternden Körper zu beruhigen.

“Atme!”, “Dein Körper wird sich an die Temperatur des Wassers anpassen, aber du musst atmen. Langsam und gleichmäßig.”

Als meine Hände sich an der Stange fest hielten, wurde das Wasser wärmer und schließlich synchronisierten wir uns.

Sobald ich mich auf meine Atmung konzentrierte, begann sich mein Körper zu entspannen.

 

Meine Heimleiterin, die sehr geduldig war, musste sich um ein anderes Kind kümmern und sagte mir, ich solle mit der Atemtechnik weitermachen.

 

Atmen! Atmen! Atmen! Atmen….

AYO! AYO! AYO!!

Jemand begann meinen Namen zu rufen und als ich mich umdrehte, schwebte ein Wasserball in meine Richtung. Ich sollte ihn zurückwerfen. Kaum hatte ich mich vom Beckenrand losgelassen, tauchte ich unter.

 

Aus meinem Mund stiegen Blasen auf und das klare, blaue Wasser wurde zu einem Schaum aus leisen Schreien.

 

Das Wasser neckte und verspottete mich und ließ gelegentlich meinen Kopf an die Oberfläche stoßen und gerade als ich um Hilfe rufen wollte, verschlang es mich wieder in seinen tiefen Schoß und befüllte  meinen Lungen.

Als es meines Kampfes überdrüssig wurde, warf es mich ab und ließ mich in den tiefen Abgrund treiben.

Die schwebenden Beine um mich herum distanzierten sich und je tiefer ich sank desto erschöpfender der Kampf.

Man sagt, dass das Leben in der letzten Sekunde der Existenz an einem vorbeizieht.

 

Ich fühlte das Gegenteil. In diesen Moment entfaltete sich meine kurze Existenz vor meinen Augen. Wie ein Polaroid Foto, das langsam das Bild deines Lebens beleuchtet wurde das Gesicht meiner Mutter- ihre Hände, die mich aus dem Kinderbettchen hoben und wie sie mich freudestrahlend anlächelt- sie wurde präsent.

Mama…

Ich atme..Ich atme.

 

DUNKELHEIT

 

Piep! Piep! Ich spüre einen Druck auf meinen Händen, mein Kopf fühlt sich übel an, mein Körper ist noch sehr schwach. Ich drehe mich um und sehe meine Mutter, die mich anstarrt. Sie sieht erschöpft aus und ihre Augen wirken leer und mürrisch. Mein Vater steht neben ihr und starrt auf den Boden.

 

Ich versuche, die Hand meiner Mutter zurück zudrücken, aber ich bin zu schwach. Ich muss mich ausruhen.

Ich habe über eine Woche im Krankenhaus verbracht und die Ärzte haben mir gesagt, dass ich Glück hatte, dass ich überlebt habe. Ich hatte so viel Wasser in meinen Atemwegen, dass es schon besorgniserregend war.

All diese Jahre später denke ich immer an das Gesicht meiner Mutter, ihre pflegenden Hände und ihren Geist.

Sie war wirklich meine rettende Gnade.