Symposium I (Oktober 2022)

Auszug aus dem Vortrag „Kulissenzauber. Schwellen zwischen Kunst und Leben in Joanna Hoggs The Souvenir und The Souvenir. Part II“ von Elena Meilicke:

 

„Es ist gar nicht so klar, ob die beiden Filme, über die ich heute sprechen will, sich überhaupt als filmische Autosoziobiografien bezeichnen lassen. Einiges scheint dafür, anderes dagegen zu sprechen. Dafür spricht zunächst die autobiografische Anlage der beiden Filme, die auf Erlebnissen und Erfahrungen beruhen, die die Filmemacherin Joanna Hogg in ihrer Jugend in den 1980er Jahren gemacht hat. Zum Teil haben echte Briefe, Filmaufnahmen, Fotografien, Kleider und Möbelstücke aus jener Zeit Eingang in den Film gefunden. Gegen die Bezeichnung als Autosoziobiografie scheint zu sprechen, dass in diesen beiden zwar wie gesagt autobiografisch inspirierten, aber doch inszenierten Spielfilmen, nicht die Geschichte einer Überschreitung von Klassengrenzen erzählt wird, mit all’ den Entfremdungserfahrungen, aber auch dem sozioanalytischen Erkenntnisgewinn, der mit einer solchen Überschreitung einhergehen soll.“

 

 

Symposium II (April 2024)

Auszug aus dem Vortrag „‚Worte waren nötig…‘ Poetik und Politik des Voiceovers in filmischen Autosoziobiografien“ von Elena Meilicke:

 

„Mariedl von Sybille Bauer versammelt eine Reihe typischer Topoi autosoziobiografischen Erzählens, aber die Art und Weise, wie der Film mit ihnen umgeht, ist unkonventionell. Ein erster Topos wäre die Rückkehr zum Herkunftsort. Hier sehen wir die Großmutter der Filmemacherin im Bild, zum Teil auch die Filmemacherin selbst, es scheint, als ob die beiden einen Ausflug mit dem Auto machen, vielleicht jene Orte aus der Vergangenheit der Großmutter besuchen, von denen im Voiceover die Rede ist: Wir sehen Aufnahmen eines Bauernhofes, ein Flüsschen, einen Wald. Allerdings wird diese Rückkehr, wenn es denn tatsächlich eine ist, nur angedeutet, aber nicht weiter expliziert. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren typischen Topos autosoziobiografischen Erzählens: das Betrachten alter Familienfotos. Der Bezug auf solche Fotografien ist für autosoziobiografisches Erzählen oft konstitutiv, ja, er steht oft am Anfang des Erzählens. Diese Fotografien können unterschiedliche Funktion haben, etwa als Vergegenwärtigung der Vergangenheit, aber auch als Mittel der Selbst-Distanzierung und Objektivierung, wie bei Annie Ernaux. Mariedl nun zeigt in einer Sequenz, wie Menschen alte Fotos betrachten; aber die Kamera wahrt Distanz, nimmt die Bilder selbst nicht ins Visier, auratisiert und fetischisiert sie nicht – die ganze Szene bleibt beiläufig, wie nebenher eingefangen. Stattdessen – ganz anders als Ernaux’ Les Années Super-8 – entscheidet sich Mariedl auf der Bildebene für die Gegenwart, arbeitet nicht mit alten Bildern, sondern produziert neue – aufgenommen mit einer billigen Kamera, verwackelt, ohne jede production values und weitgehend ohne direkten Ton.“