Wunschloses Unglück von Peter Handke (1972), Une Femme (1987) und L`événement (2000) von Annie Ernaux, Combats et métamorphoses d`une femme von Édouard Louis (2021) und Man kann Müttern nicht trauen von Andrea Roedig (2022) sind auto/sozio/biografische Texte über die Mütter der Autor*innen. Rückkehr nach Reims von Didier Eribon (2016), Der Platz (1983) von Annie Ernaux sowie der Film Aftersun (2022) von Charlotte Wells sind auto/sozio/biografische Texte und Filme über die Väter der Autor*innen. Sie zeichnen die Spuren deren Leben und des gemeinsamen Lebens nach und versuchen zu verstehen, was dieses Leben ausgemacht hat, was es begrenzt hat, was es speziell und was es alltäglich gemacht hat. In Momenten stellen die Autor*innen Verbindungen zu ihren eigenen Lebenswegen her, zu ihrer Verwobenheit in den Un-/Möglichkeiten ihrer Mütter/ Väter und deren Zeit, die schrittweise auch zu ihrer geworden ist.

In ihrer künstlerisch-wissenschaftlichen Arbeit in Confronting Realities. Arbeit an filmischen Autosoziobiografien legt Wolfram in den Laboren für filmische Autosoziobiografien (LAFA) den Schwerpunkt auf die Rolle der Familie in der Formation und Weitergabe von autosoziobiografischen Narrationen. Zwischen 2021 und 2024 widmete sich Wolfram dem Überthema Familie und filmische Autosoziobiografie, also inwiefern eine genealogische Perspektive bei der Exploration von Autosoziobiografien anwendbar bzw. nützlich ist. Diese Labore waren in die Schwerpunkte Mutter/ Mütter, Vater/ Väter sowie Geschwister/ chosen family aufgeteilt. Die Arbeitsmethode in den Laboren nennt Wolfram „autosoziobiografische Exploration“, welche sich aus unterschiedlichen künstlerischen wie wissenschaftlichen Methodologien zusammensetzt: biografische Fragebögen, Objekt- und Körperarbeit, strukturierte Interviews, strukturierte Reflexion, etc. 

Das erste Labor von Wolfram widmete sich der Mutter. Es nahm die oben genannten literarischen Werke als Ausgangspunkt und Anstoß, um zusammen mit Negin Rezaie, Nasima, Robin Jentys, William Joop, Caspar Thiel und Christina Wintersteiger, die Verbindungs- und Kreuzungslinien von Frauen und ihren Kindern und deren Lebenswegen nachzuzeichnen. In einer genealogischen Perspektive werden Orte, Zeiten, Körper, soziale Klassen und Alter von den Müttern der Teilnehmenden erforscht und durch künstlerische und wissenschaftliche Explorations-, Translations-, Reflexions- und Re-Iterationsmethoden durchleuchtet. Durch die Verbindung von literarischen und filmischen autosoziobiografischen Elementen wird nach einer filmischen autosoziobiografischen Übersetzung und Darstellung dieser Relationen gesucht und diese kritisch reflektiert.

Nach demselben Prinzip wurde im zweiten Labor zum Themenkomplex Vater und dem dritten Labor zu Geschwistern/ chosen family vorgegangen. Die Recherche wurde ausgedehnt und die Verhältnisse zu/von weiteren Familienmitgliedern exploriert. Ebenso wurde die Recherche selbst und das Labor reflektiert, die Zeit, die im Laufe des Projekts vergangen ist, die Veränderung über die Zeit  sowie die Methoden der Exploration reflektiert und kritisch hinterfragt.

In allen Laboren galt das Prinzip, dass egal wer als Mutter/ Vater/ Geschwister/ chosen family gewählt wird, diese Wahl nicht begründet oder erklärt werden muss. 

In der künstlerischen Übersetzung probierten Wolfram und die Artist Researcher filmische Methoden, sowohl auf inhaltlicher als auch der Formebene, aus. Dieser Explorationsprozess ist im DAFA (Digitales Archiv für filmische Autosoziobiografie) veröffentlicht und dient als Grundlage für die Entwicklung von drei Kurzfilmen, welche im Juli 2024 gedreht werden. In den Laboren wurde mit sechs Artist Researchern gearbeitet, von vier von ihnen sind die Arbeiten in einer filmischen Miniatur zu sehen – Robin Jentys, William Joop, Negin Rezaie und Nasima. Die Geschichten dieser Menschen treffen sich in Österreich, davor waren diese Personen im Iran, in Afghanistan, in Neu Kaledonien und in Frankreich sowie Deutschland.

Die filmischen Miniaturen, welche wir hier sehen sind eine Auswahl an verschiedenen Zugängen zur autosoziobiografischen Exploration aus den Laboren. Sowohl inhaltlich als auch formal bilden sie verschiedene Aspekte von audio-visueller künstlerischer Exploration im Kontext von Familie ab. Die Arbeiten sind durchwegs ohne professionelles Equipment oder Post-Produktion entstanden, sie haben Labor-Charakter, sind in kurzer Zeit und intuitiv entstanden, um den künstlerisch-wissenschaftlichen Explorations- und Forschungscharakter zu ermöglichen. Sie sind nicht “fertig”, sondern bilden einen Punkt im Zuge der Exploration ab.

Sie sollen die Zuschauenden in einen abstrakten künstlerischen Raum einladen mit ihrer eigenen Autosoziobiografie einzutreten und zu explorieren inwiefern soziale Klasse, Alter, Gender, Sexualität, Ort, Zeit und Fähigkeiten eine Biografie prägen. Das DAFA bietet konkrete Beispiele, um diese Exploration  zu vertiefen.

  1. Anwesend
  2. Nicht anwesend
  3. Du warst hier.
  4. Du warst nicht hier.
  5. Der Bart.
  6. ?
  7. Ich habe von dir gelernt
  8. Ich wünschte
  9. _______________________________
  10. Dagegen
  11. Warum?
  12. Ich zweifle, ich trauere, ich bin wütend, ich bin traurig
  13. Das weiß ich nicht von dir
  14. Da bin ich mir sicher
  15. Wo? Wie? Wann?
  16. Ich nehme an, es war gut gemeint?
  17. Äpfel, Zitronen, Brot, Wurst, Fisch, Bier, Wein, Wasser
  18. Ein typischer Tag für dich wäre
  19. Ein typischer Tag für mich wäre
  20. Kreise
  21. Nähe, Wärme, Liebe
  22. Kälte, Distanz, Gleichgültigkeit
  23. Ich frage mich manchmal, ob du das weißt
  24. So groß, so weit, so _______
  25. !!!!!
  26. Ich wünschte du
  27. Nein
  28. Vater ist
  29. Papa, Papi, Nonno, …
  30. Eine Umarmung?

 

 

Miniature LAFA "to all the journeys".

(EN)

Wunschloses Unglück by Peter Handke (1972), Une Femme (1987) and L`événement (2000) by Annie Ernaux, Combats et métamorphoses d`une femme by Édouard Louis (2021) and Man kann Müttern nicht trauen by Andrea Roedig (2022) are auto/socio/biographical texts about the authors’ mothers. Returning to Reims by Didier Eribon (2016), La Place (1983) by Annie Ernaux and the film Aftersun (2022) by Charlotte Wells are auto/socio/biographical texts and films about the authors’ fathers. They trace their lives and their life together and try to understand what characterised this life, what limited it, what made it special and what made it ordinary. At certain moments, the authors make connections to their own lives, to their entanglement in the impossibilities/possibilities of their mothers/fathers and their time, which has gradually become their own.

In her artistic-scientific work in Confronting Realities. Working on Cinematic Autosociobiographies Wolfram focuses on the role of the family in the formation and transmission of autosociobiographical narratives in the Laboratories for Cinematic Autosociobiographies (LAFA). Between 2021 and 2024, Wolfram devoted herself to the overarching theme of family and cinematic autosociobiography, i.e. the extent to which a genealogical perspective is applicable or useful in the exploration of autosociobiographies. These laboratories were divided into the focal points mother/mothers, father/fathers and siblings/chosen family. Wolfram calls the working method in the laboratories ‘Autosociobiographical Exploration’, which is composed of different artistic and scientific methodologies: biographical questionnaires, object and body work, structured interviews, structured reflection, etc.

Wolfram’s first laboratory was dedicated to the mother. It took the above-mentioned literary works as a starting point and impetus to trace, together with Negin Rezaie, Nasima, Robin Jentys, William Joop, Caspar Thiel and Christina Wintersteiger, the lines of connection and intersection of women and their children and their life paths. In a genealogical perspective, places, times, bodies, social classes and ages of their mothers are explored by the participants and illuminated through artistic and scientific methods of exploration, translation, reflection and re-interpretation. By combining literary and cinematic autosociobiographical elements, a cinematic autosociobiographical translation and representation of these relations has been sought and critically reflected upon.

The same principle was applied in the second laboratory on the topic of the father and the third laboratory on siblings/chosen family. The research was extended and the relationships to/from other family members were explored. The research itself and the laboratory were also reflected upon, the time that had passed during the project, the changes over time and the methods of exploration were reflected upon and critically scrutinised.

The principle applied in all laboratories was that no matter who was chosen as the mother/father/sibling/chosen family, this choice did not have to be justified or explained.

In the artistic translation, Wolfram and the artist researchers tried out cinematic methods on both a content and formal level. This exploration process is published in the DAFA (Digital Archive for Cinematic Autosociobiographies) and serves as the basis for the development of three short films, which will be shot in July 2024. Six artist researchers worked in the laboratories, and the work of four of them can be seen in this/ the above cinematic miniature – Robin Jentys, William Joop, Negin Rezaie and Nasima. The stories of these people come together in Austria; before that, they were in Iran, Afghanistan, New Caledonia, France and Germany.

The film miniatures we see here are a selection of different approaches to autosociobiographical exploration from the laboratories. In terms of both content and form, they depict various aspects of audio-visual artistic exploration in the context of family. The works were all created without professional equipment or post-production, they have a laboratory character, were created in a short time and intuitively in order to enable the artistic-scientific exploration and research character. They are not ‘finished’, but represent a point in the course of exploration.

They are intended to invite viewers to enter an abstract artistic space with their own autosociobiography and to explore the extent to which social class, age, gender, sexuality, place, time and abilities characterise a biography. The DAFA offers concrete examples to deepen this exploration.

1. present
2. not present
3. you were here
4. you were not here.
5. the beard.
6. ?
7 I learned from you
8. i wish
9. _______________________________
10. against
11. why?
12. i doubt, i mourn, i am angry, i am sad
13. i don’t know that about you
14. i am sure of that
15. where? How? When?
16. I assume it was well meant?
17. apples, lemons, bread, sausage, fish, beer, wine, water
18. a typical day for you would be
19. a typical day for me would be
20. circles
21. closeness, warmth, love
22. coldness, distance, indifference
23 I sometimes wonder if you know that
24. so big, so far, so _______
25. !!!!!
26. i wish you
27. no
28. father is
29. dad, papi, nonno, …
30. a hug?

Cinematic Miniature by Negin Rezaie

Artist Researchers

Negin Rezaie

Negin Rezaie is a visual and performing artist, curator, artist/researcher and activist. After she was forced to flee from Iran to Austria in 2015, Negin Rezaie has worked on a variety of artistic, museum and musical projects. In the meantime, she also realises her own projects – in various constellations. Since 2021, Rezaie has been a student of the Performance Class at the Academy of Fine Arts Vienna.

Nasima

Nasima comes from Afghanistan, where she completed a bachelor’s degree in economicsbefore fleeing to Austria in 2015. During her training as a nurse, Nasima participated in several art and theatre projects. She has been writing poetry for Afghan Women Writers and Afghan Voices for years.

Robin Jentys

Robin Jentys was born in Vienna and initially studied theatre, film and media studies as well as Romance languages and literature at the University of Vienna and acted at the Vienna Burgtheater before beginning his acting studies at the Babelsberg Film University “Konrad Wolf” in Potsdam in 2014. His first positions were at the Staatsschauspiel Dresden, the Volkstheater Wien, the Berliner Ensemble and the Hans Otto Theater Potsdam. In the 2018/19 season he was permanently engaged at Theater Trier. In the same season, he was invited to the 56th Berlin Theatertreffen with the production DAS GROSSE HEFT (directed by Ulrich Rasche). Since then he has worked as a freelance actor for film and theatre. Jentys lives in Berlin and Vienna.

William Joop

Since leaving his native island of New Caledonia in 2010, William Joop has been commuting between his native France and the city that his heart has made his home: Vienna. After a bachelor’s degree in theatre studies in Paris, he is now studying stage design at the Academy of Fine Arts Vienna and thinking about the theatre of the future. His Aquarius Sun makes him quite idealistic, and he wants to fight for what is “right”, even if that is a rather suggestive term…

Caspar Thiel

Caspar Thiel was born in Peru in 1988 and grew up between Paris and Vienna. After studying theatre, film and media studies in Vienna, his first cinematic steps and freelance work as a lighting technician and camera assistant followed. The subsequent Master’s degree in International Development and various stays abroad in Brussels and Madrid sharpened the socio-political commitment and led to various transdisciplinary works with a focus on image design and dramaturgical accompaniment. Caspar is currently working as an assistant director on various international film projects.