Lebensläufe der Komponistinnen
der ersten Konzerthälfte (16.6.2023)

Grażyna Bacewicz (1909 Lodz–1969 Warschau)
ist die bedeutendste polnische Komponistin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die
erste, die internationalen Ruf erlangt hat. Bacewicz war eine mehrfach begabte
Künstlerin, die lange Zeit ihre Karriere als Geigerin und als Komponistin gleichzeitig
verfolgte und ein OEuvre von über zweihundert Kompositionen unterschiedlichster Genres
und Besetzungen hinterließ. Im Vordergrund stand ihre Beschäftigung mit
Streichinstrumenten im Allgemeinen und mit der Geige im Besonderen. Viele ihrer Werke
für Violine aber auch für Klavier brachte sie selbst zur Uraufführung.
Als Vizevorsitzende des Polnischen Komponistenverbandes ZKP machte sie sich um die
Verbreitung der polnischen Musik in Europa und darüber hinaus verdient.
Zentrale Gegenstände der Auseinandersetzung waren für Bacewicz die klassische Form
und der Umgang mit Tonalität. Aus einer häufig als neoklassizistisch bezeichneten
Klangsprache kommt Bacewicz in ihren späteren Kompositionen zu klangfarblichen,
sonoristischen Verfahren. Berücksichtigt man die dramatische historische Situation, vor
der Bacewicz in Polen lebte und arbeitete und ihren eigenen Anspruch an ihre beiden
Berufe sowie an ihre Aufgabe als Ehefrau und Mutter, so ist die Fülle, der Rang und der
Gehalt ihres kompositorischen Werkes um so beeindruckender.
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Lili Boulanger (1893 Paris–1918 Mézy-sur-Seine)
Lili Boulangers Biografie ist nur im Zusammenhang mit der Biografie ihrer ganzen
Familie, vor allem aber mit der ihrer älteren Schwester Nadia (1887– 1979) zu verstehen.
Ihr kurzer, leidensvoller Lebensweg ist eng mit dem Pariser Konservatorium verbunden.
Durch ihre außerordentliche Begabung konnte sie als Komponistin in der kurzen Zeit
ihres Lebens zu großer künstlerischer Reife gelangen.
Leben und Werk Lili Boulangers sind durch eine minutiöse Aufzeichnungs- tätigkeit und
durch Angaben der Schwester Nadia Boulanger bestens dokumentiert. Ihr Werk ist durch
eine tiefe Religiosität gekennzeichnet, die wahrscheinlich durch die Erkenntnis eines
durch ihre Krankheit verkürzten Lebensweges getragen ist. Weitere Werke vermitteln
bereits im Titel eine eher pessimistische Grundstimmung. Ihre Tonsprache pendelt
zwischen traditionell und avantgardistisch, in den Werken mit Orchester ist sie zuweilen
auch kraftvoll, in einer Linie mit Zeitgenossen wie Igor Strawinsky, und war wegweisend
für Komponisten wie Olivier Messiaen und Arthur Honegger.
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Nazife Aral Güran (1921 Wien–1993)
wurde in Wien als Tochter eines türkischen Diplomaten geboren. Als Kind be- kam sie
den ersten Musikunterricht bei ihrer Mutter. Aufgrund der diplomati- schen Karriere des
Vaters übersiedelte die Familie der Komponistin sehr oft.
Ihre musikalische Ausbildung führte sie nach Deutschland, wo sie an der Hoch- schule für
Musik Berlin und Musikhochschule Köln Klavier und Komposition studierte. In Ankara
war Nazife Güran Studentin von dem im Exil lebenden deutschen Dirigenten und
Musiktheoretiker Ernst Praetorius.
In ihrem Schaffen nahm Güran oft Bezug auf politische Ereignisse, wie bei- spielsweise
den Koreakrieg oder das Attentat auf John F. Kennedy.
1969 ließ sie sich in der Türkei nieder, wo sie als Komponistin und Musikpäda- gogin
tätig war. Nazife Güran setzte sich aktiv für die Frauenrechte ein und war Begründerin
des türkisch-amerikanischen Frauenkulturvereins.
Obwohl Güran ihre musikalische Ausbildung in Europa erhielt, griff sie in ihrem Schaffen
sehr oft auf türkische Musiktraditionen zurück. Sie hinterließ ein OEu- vre von über 1000
Werken, dessen wesentlicher Teil Klavierliteratur umfasst.
en.wikipedia.org/wiki/Nazife_Güran


Clara Wieck Schumann (1819 Leipzig–1896 Frankfurt a.M.)
betrat mit neun Jahren das öffentliche Podium und wirkte ihr ganzes Leben in der
Öffentlichkeit. Mit ihrem über sechzigjährigen Wirken beeinflusste sie als internationaler
Star, als Klavierpädagogin und zuletzt als Professorin am 1878 neu gegründeten
Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main die Klavierszene wesentlich.
Musizieren erschöpfte sich für sie nicht im Klavierspielen allein, sondern um- fasste
theoretisches und praktisches Wissen über Musik. So gehörten Gesang- und Violinspiel
ebenso zu ihrer Ausbildung wie Komponieren. Ihre frühen Kom- positionen waren als
Erweiterung für das eigene Repertoire gedacht, und sie sollten die Breite ihres
musikalischen Profils als Virtuosin unterstreichen.
Als Clara Schumann 1896 starb, waren ihre künstlerische Autorität und ihre
musikalischen Verdienste noch präsent. Man reihte sie unter die großen, vor- bildlichen
Frauengestalten ihres Jahrhunderts ein. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts
gerieten ihre musikalischen Kompetenzen in Vergessenheit. Erst in den 1960er Jahren
wurde die Künstlerin und vor allem die Komponistin von der Frauenforschung
wiederentdeckt. Seitdem wurden ihre Kompositionen nach und nach in neuen Editionen,
teils in Erstausgaben, allgemein zugänglich gemacht. Heute sind sie zumindest im
Bewusstsein präsent.
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Alice Mary Smith (1893 London–1884 ebenda)
war eine englische Komponistin. Ihre Sinfonie in c-moll aus dem Jahr 1863 gilt
als erste vollendete und aufgeführte Sinfonie einer Komponistin in England.
Smith wuchs als Tochter eines Spitzenhändlers in London auf. Sie erhielt Privatunterricht
bei William Sterndale Bennett und George Alexander Macfarren.
1867 wurde sie zur Female Professional Associate der Royal Philharmonic Society sowie
1883 zum Ehrenmitglied der Royal Academy of Music gewählt.
Smith komponierte sowohl Kammermusik, als auch Orchester- und Bühnenwerke. Die
Komponistin schuf auch eine beachtliche Sammlung an geistlicher Chormusik, die von
Leonard Sanderman ediert und mit dem Ensemble The Eoferwic Consort aufgenommen
wurde.
de.wikipedia.org/wiki/Alice_Mary_Smith


Judit Varga (12. Januar 1979 in Györ–)
ist eine ungarische Komponistin und Pianistin. Sie komponiert klassisch zeitgenössische
Musik, Film- und Theatermusik. Als Pianistin und Kammermusikerin trat sie in vielen
Ländern auf. Sie sucht verstärkt neue Impulse sowohl in ihren Kompositionen, als auch in
ihrer pädagogischen Tätigkeit. Sie lebt und arbeitet in Wien und in Budapest.
2013–2019 war sie Dozentin auf der Franz Liszt Musikuniversität Budapest und
unterrichtete die Fächer Komposition, Angewandte- und Filmmusik und Historische
Satztechniken. Seit 2019 hat sie auf der Universität für Musik und darstellende Kunst
Wiendie Professur für Angewandte- und Medienkomposition inne.
Im Jahr 2017 wurde Judit Varga für ihr künstlerisches und pädagogisches Schaffen mit
dem Béla-Bartók-Ditta-Pásztory-Preis ausgezeichnet, einem der höchsten
facheinschlägigen Preise Ungarns. Im Jahr 2018 erhielt Judit Varga den Ferenc-Erkel-
Preis. 2019 wurde Judit Varga mit dem renommierten TONALi Kompositionspreis für
ihre Komposition „Pendulum“ ausgezeichnet.
Ihre Werke werden weltweit von renommierten Festivals und Häusern gespielt, wie Wien
Modern, Ungarische Staatsoper, Cité de la musique Paris, Juilliard School New York,
CAFe Budapest Contemporary Arts Festival, Mini-Festival, Konzerthaus Wien,
Musikverein Wien, Muffathalle München oder Warschauer Herbst. Varga arbeitet mit
Orchestern und Ensembles aus der ganzen Welt zusammen, unter anderem mit Ensemble
Modern, BBC Symphony Orchestra, Radio-Symphonieorchester Wien, Chor der
Ungarischen Staatsoper, UMZE Ensemble, Concerto Budapest, Ensemble Kontrapunkte,
Riot Ensemble London, ensemble XX. jahrhundert (eXXj) und dem Ungarischer
Rundfunkchor.
Varga wurde von der Österreichischen Filmakademie in den Jahren 2013, 2014 und 2020
für den Preis „Beste Musik“ nominiert. Für die Filmmusik des Films „Deine Schönheit ist
nichts wert“ erhielt sie 2014 den österreichischen Filmpreis. 2016 wurde ihre
Neuvertonung zu dem sowjetischen Klassiker „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im
Land der Bolschewiki“ (Regie: L. Kuleschow), ein Kompositionsauftrag des Wiener
Konzerthauses, im Rahmen des „Film + Musik live“ Abos im großen Saal des Wiener
Konzerthauses uraufgeführt.
2016 wurde ihre Oper „Szerelem“ („Liebe“), ein Auftragswerk der Ungarischen
Staatsoper und Gewinner des Opernwettbewerbs „60 Jahre Ungarische Revolution“ in
der Ungarischen Staatsoper gespielt. Die Oper erhielt herausragend positive Rezensionen
in internationalen Fachzeitschriften.
2022/23 ist Varga Composer of the Year im Palais of Arts in Budapest (Müpa).
2022 wurde Varga mit dem Outstanding Artist Award des österreichischen Ministeriums
für Kunst und Kultur ausgezeichnet.