Neuorientierung nach 1945 – auf der Suche nach Identität
Wenig überraschend wurden die Vakanzen im Lehrpersonal 1939-1945 mit ideologietreuen NSdAP-Mitgliedern besetzt, welche dann 1945-47 im Zuge der Entnazifizierungsmaßnahmen allesamt entlassen wurden. Diese Personalrochaden brachten eine inhaltliche Neupositionierung der Kompositions- und Tonsatzausbildung nach 1945 mit sich, bei welcher nicht zuletzt die Aufarbeitung einst „entarteter“ Musikrichtungen – allen voran des Schönberg-Kreises – eine besondere Bedeutung erlangte.
Die Bezeichnung der Kompositionsausbildung – und damit auch ihr Profil – war bis weit in die 1960er Jahre nicht einheitlich. Das Studium subsumierte die verschiedenen Disziplinen der Satzlehre meist unter dem Oberbegriff Musiktheorie als Hauptfach. In der Nachkriegszeit wurde es unter anderem vom Schmidt-Schüler Alfred Uhl repräsentiert, der von 1943 bis 1979 am Haus mehrere Generationen von Komponisten pädagogisch begleitete. Darüber hinaus ist in dieser Zeit die Lehrtätigkeit des Schönberg-Schülers Erwin Ratz (1945-1969) hervorzuheben, der mit seiner wegweisenden Formenlehre die werkanalytische Praxis seines Lehrers zum Maßstab erhob. Unter ihm etablierte sich das gleichnamige Fach als wesentlicher Bestandteil des Theorie-Unterrichts. – Unter den weiteren Lehrenden aus den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg seien vor allem Gottfried von Einem, der ab 1963 „Beratungskurse für fortgeschrittene Komponisten“ betreute, und Karl Schiske hervorgehoben, welcher sich weitreichende Verdienste erwarb, indem er – ungeachtet der eher neoklassizistischen Stilistik seiner eigenen Kompositionen – eine junge KomponistInnengeneration an die Entwicklungen der damaligen europäischen Avantgarde heranführte und dadurch die damals doch weitgehend stagnierende Szene der Neuen österreichischen Musik in einer Phase der Neuorientierung maßgeblich öffnete.
Erst im Studienjahr 1970/71, mit der Umwandlung der Akademie zur Musikhochschule, setzte sich die Bezeichnung Komposition für den Fachbereich und das Studium durch, welches in den 1970er bis 1990er Jahren (neben vielen anderen) durch die Professoren Francis Burt, Friedrich Cerha, Roman Haubenstock-Ramati, Kurt Schwertsik und Erich Urbanner repräsentiert wurde.
Neue Studienschwerpunkte – und Musiktheorie als Vollstudium
Die Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg brachten eine kontinuierliche Erweiterung des Lehrangebots mit sich. Teils ergänzten die hinzukommenden Disziplinen den etablierten Fächerkanon, teils entstanden neue Ausbildungswege.
Ab 1957 bestand ein Sonderlehrgang für Zwölftonkomposition unter der Leitung von Hanns Jelinek, der später von Erich Urbanner weitergeführt und bis 1980 als eigenes Fach gelehrt wurde. Daneben wurden in den 1980er-Jahren die Hochschullehrgänge Tonsatz nach Heinrich Schenker und Angewandte Formen des freien Satzes etabliert, welche sich wie alle Lehrgänge vorwiegend an außerordentliche HörerInnen richteten. Zu einer deutlichen Aufwertung der Musiktheorie als eigenständiger Disziplin kam es schließlich 1987, als mit Diether de la Motte einer der renommiertesten deutschsprachigen Musiktheoretiker an die Hochschule berufen wurde: Erstmals war nun ein Vollstudium Musiktheorie als gleichwertige Alternative zum Kompositions-Studium möglich geworden. De la Mottes Verdienst, das Fach Musiktheorie von einer dogmatischen Tonsatzlehre hin zu einem historisch orientierten und interdisziplinären Forschungsgebiet aus den Perspektiven von Wissenschaft und Praxis hin zu entwickeln, bildete die Grundlage des neuen Wiener Studienmodells, welches schließlich 1988/89 als Schnittpunkt von Komposition, Instrumentalspiel und Musikwissenschaft definiert wurde.