Fr, 10:00
Marion Mangelsdorf Zentrum für Anthropologie und Gender Studies, Universität Freiburg
Muße als Widerstandspotential
Im geschäftigen Treiben des Arbeitsalltags, in den mitunter konfliktbeladenen Beziehungen zu uns Selbst, Anderen und unserer Umwelt, gerät die Muße allzu oft ins Hintertreff. Gemeint ist nicht eine Form der Muße, mittels derer wir etwa durch Wellnessangebote Regeneration erfahren, um daran anschließend im (selbst-)ausbeuterischen Hamsterrad für ein paar Wochen wieder effektiver routieren zu können. In diesem Beitrag verfolge ich anhand von (Dokumentar-)filmen eine Suchbewegung danach, was uns aus dem gegenwärtigen Modus der Unruhe, von der unser Leben zutiefst durchdrungen ist, hinausführen könnte. Ralf Konersmann beschreibt in Die Unruhe der Welt (2015), das die Unruhe viele Namen trage: Stress, aber auch Veränderung, Forstschritt oder Bewegung. Dadurch wären wir in einer Art Hassliebe zur Unruhe verfangen. Dem gegenüber erforsche ich die verschiedenen Namen, die der Muße verwandt sind: Sei es die Seelenruhe, Gelassenheit oder im isländischen Innsaei; »the sea within, the borderless nature of our inside world, that is constantly moving, a world of vision, feelings, and imagination. This sea within cannot put into boxes, because then it’s ceases to flow. InnSaei means to sea within, to see from the inside out«. (aus: Kristin Olafsdottir, Innsaei – Die Kraft der Intuition, Island 2016). Bedarf es, um diesen Blick von Innen nach Außen zu schärfen, einer Muße, die uns in einen Ausnahmezustand der Distanzierung zum Gewohnten bringt, die uns eine stille Einkehr und damit zugleich ein Einlassen auf die Welt ermöglicht, das uns (wieder) Staunen und die Dinge mit mehr Intensität erfahren lässt? Es wäre dies ein Muße-Freiraum, der nicht bloß ein harmonisches Weltverständnis offenlegte, sondern durchaus existentielles Krisenpotenzial in sich bergen und damit auch zur Ausgestaltung von Widerstandspotential beitragen könnte.
Marion Mangelsdorf, Dr.in phil., ist Kulturwissenschaftlerin, Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Zentrums für Anthropologie und Gender Studies (ZAG) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von 2017-2020 entwickelte sie im Rahmen des BMBF-Verbundprojekts Gendering MINT digital Webdokumentationen und war von 2017-2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich Muße. Praktiken, Raumzeitlichkeit, Grenzen.