Abstracts der Dissertationen
Julia ACKERMANN
Zwischen Vorstadtbühne, Hoftheater und Nationalsingspiel: Die Opéra comique in Wien 1768–1783
Zwischen der Wiederaufnahme des Theaterbetriebs nach der Hoftrauer um Kaiser Franz Stephan 1768 und den ersten Spielzeiten des Nationalsingspiels bis 1783 wurden Opéras comiques in Wien in unterschiedlichsten Formen auf die Wiener Bühnen gebracht: Die Werke fanden sich im französischen Original, in deutscher Übersetzung oder in freien Bearbeitungen sowohl im Repertoire der Ensembles des Hof- und Nationaltheaters als auch der durchreisenden Wandertruppen. Die Opéra comique erschien daher in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten und erfüllte dort jeweils unterschiedliche Funktionen. Als Teil des FWF-Forschungsprojekts Transferprozesse in der Musikkultur Wiens wird das Thema vor allem aus der Perspektive des Kulturtransfers behandelt. Aus diesem Forschungsansatz lassen sich die zentralen Forschungsfragen und die Gliederung der Arbeit entwickeln.
Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst das Repertoire der 1768–1783 in Wien aufgeführten Opéras comiques erfasst und auf die Kriterien der Repertoirebildung und Selektionsmodi hin untersucht: Welche Stücke wurden für den Transfer ausgewählt (und welche nicht?) und wie passten sich diese in die Spielpläne der verschiedenen Wiener Aufführungsserien ein? Im zweiten Kapitel werden die am Transfer der Opéra comique beteiligten Akteure in den Blick genommen. Anhand von Netzwerken werden nicht nur Einzelpersonen, sondern vor allem Beziehungen, Kooperationen und Konkurrenzen zwischen den Vermittlern des Transfers analysiert, um ihre Motivation und ihr Engagement für den Transferprozess herauszuarbeiten.
Das dritte Kapitel widmet sich den Transformationen, also den spezifischen Veränderungen, die bedingt durch den Transfer an den Opéras comiques zu beobachten sind. Fallbeispiele mit Analysen verschiedener Übersetzungs- und Bearbeitungsformen einzelner Werke belegen die Vielfalt der Erscheinungsformen der Opéra comique. In diese schrieben sich die jeweils unterschiedlichen Funktionen, die die Opéra comique in den diversen gesellschaftlichen und aufführungspraktischen Kontexten in Wien erfüllte, ein. Beispielsweise zeigen sich unterschiedliche Maßstäbe der Zensur je nach Publikumsgruppe; Anpassungen der Stücke an einzelne DarstellerInnen oder die flexible Anverwandlung des Materials für Aufführungskontexte abseits der Theaterbühnen. Durch einen Blick auf die produktive Rezeption wird auch ein Beitrag zur Beantwortung der Frage nach dem ‚Einfluss‘ der Opéra comique auf die Entstehung des frühen Wiener Singspiels geleistet, ohne jedoch – im Sinne des Kulturtransfers – die Transformation der Werke als minderwertige Kopie oder gar Missverständnis eines höher bewerteten Originals anzusehen.
Christiane Maria HORNBACHNER
Klöster als Konsumenten am Wiener Musikalienmarkt. Distribution und Transformation von Instrumentalmusik 1755–1780
In den Archiven zahlreicher Klöster Ober- und Niederösterreichs, der Steiermark, Böhmens und Mährens werden heute einige der wertvollsten Abschriften von Instrumentalwerken G. C. Wagenseils, J. Haydns, J. B. Vanhals, C. Ditters von Dittersdorfs und anderer in Wien tätiger Komponisten aufbewahrt. Dieses Vermächtnis ist größtenteils Resultat eines in den späten 1750er-Jahren aufkommenden Trends, dem zufolge sich Klöster der Benediktiner, Augustiner-Chorherren, Zisterzienser und Prämonstratenser intensiv um die Beschaffung und Aufführung neuester Sinfonien und Kammermusikwerke aus der Haupt- und Residenzstadt des Habsburgerreiches bemühten. Insbesondere in den Benediktinerabteien Göttweig, Melk und Kremsmünster lässt sich eine immense Produktivität der Klosterkopisten nachweisen. Diese trug wesentlich zur flächendeckenden Verbreitung von Werken Wiener Ursprungs bei und begünstigte damit letztlich die im Konzertleben wie auch auf dem Musikmarkt beobachtbare Emanzipation der Instrumentalmusik von den großen Vokalgattungen Oper und Oratorium.
Anknüpfend an die kulturwissenschaftlich geprägten Ansätze der Kulturtransferforschung liefert die vorliegende Dissertation eine detaillierte Untersuchung von Distributionswegen, Vermittlungsprozessen und Transformationsmechanismen des Musikalienhandels zwischen Wien und den Klöstern des Umlandes. Neben der Dokumentation bevorzugter Genres und aufführungspraktischer Gegebenheiten (Sinfonien im Gottesdienst und an der Tafel) gibt die Auswertung klösterlicher Korrespondenzen, Tagebücher, Reiseberichte und Rechnungsbücher Aufschluss über jene Netzwerke an Vermittlern, die den Transfer von Musikwerken aus Wien in den monastischen Bereich ermöglichten. Beziehungen der Klostermusiker zum niederen Adel, der in vielerlei Hinsicht als Bindeglied zwischen Stadt und Land zu betrachten ist, werden dabei ebenso beleuchtet wie die Rolle der Klostervorsteher, die in ihrer Funktion als Mitglieder des Prälatenstandes über enge Kontakte zum Herrscherhaus verfügen konnten. Als Netzwerker bewegten sie sich alle im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Wettbewerb, zwischen Sparsamkeit und Leistungsdruck, zwischen Abgeschiedenheit und Bemühung um Anschlussfähigkeit, zwischen ausgeklügelter Planung und glücklichem Zufall.
Sarah Noemi SCHULMEISTER
Antoine Huberty und die Wiener Instrumentalmusik am Pariser Notendruckmarkt 1756–1777
Die französische Hauptstadt entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Drehscheiben des gesamteuropäischen Musikalienhandels. Ab Mitte der 1750er lässt sich eine immense Expansion des Pariser Notendruckmarkts beobachten: Die Zahl der Musikverleger nahm deutlich zu, und ein neues, bis dahin in der französischen Hauptstadt kaum verbreitetes Repertoire fand Eingang in die Sortimente der Verleger. Auch die Werke von Wiener Komponisten wie Georg Christoph Wagenseil, Carl Ditters von Dittersdorf, Johann Baptist Vanhal, Joseph Haydn und anderen erschienen im Zuge dieser Entwicklungen erstmals in Paris in Druck. Ein ähnliches Musikverlagswesen entwickelte sich in der österreichischen Hauptstadt erst vergleichsweise spät gegen Ende der 1770er Jahre. Bis dahin machten in erster Linie ausländische Drucke die Wiener Komponisten und ihre Werke überregional bekannt. Die Pariser Editionen gehörten so zu den strukturellen Vorbedingungen für den Aufstieg Wiens zu einem international beachteten musikalischen Zentrum ab den späten 1770er Jahren.
Die vorliegende Arbeit ist einer Untersuchung der Präsenz der Wiener Komponisten am Pariser Notendruckmarkt zwischen der ersten nachweisbaren Publikation 1756 und dem Jahr 1777 gewidmet. Dafür wurde eine Datensammlung mit allen für die Fragestellung relevanten Notendrucken angefertigt, deren quantitative Auswertung ein Herzstück der Arbeit darstellt. Hier zeigte sich, dass unter den Pariser Musikverlegern, die ab der Jahrhundertmitte Instrumentalkompositionen aus dem Wiener Raum in ihr Sortiment aufnahmen, einer deutlich hervorsticht: Antoine Huberty publizierte nicht nur mehr als doppelt so viele Werke aus dem Wiener Umfeld wie jeder andere seiner Kollegen, er war auch bei einer Vielzahl der infrage kommenden Komponisten für deren erstmalige Veröffentlichung in der französischen Hauptstadt verantwortlich. Sein auffallend starker Schwerpunkt auf Instrumentalkompositionen aus dem Wiener Raum und seine spätere Tätigkeit als Notenstecher und Musikverleger in Wien weisen ihn als eine zentrale Mittlerpersönlichkeit zwischen den beiden Hauptstädten aus. Ihm ist der Hauptteil der vorliegenden Arbeit gewidmet.
» PDF der Dissertation von Sarah Noemi Schulmeister
Constanze Marie KÖHN
Die Gesellschaft der associierten Cavaliers. Adelige Mentoren von Oratorienaufführungen in Wien, 1780–1810
Die sogenannte Gesellschaft der associierten Cavaliers hat durch ihren Einsatz für die Komposition und Aufführung von Mozarts Händel-Bearbeitungen sowie insbesondere von Haydns späten Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten bereits einen festen Platz in der Musikgeschichtsschreibung. Als ein Zusammenschluss überwiegend hoher Aristokraten um Gottfried Freiherr van Swieten widmete sich die Gesellschaft der Förderung von Oratorien. Angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen im Verlauf des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts erhält dieses adelige Engagement noch zusätzliche Bedeutung: Mit der veränderten gesellschaftlichen Stellung des Adels wandelten sich auch die Bedingungen aristokratischer Musikpflege. Zuvor Gegenstand höfischer Musikpraxis, wird das Oratorium durch die Gesellschaft der associierten Cavaliers in exklusiven Akademien und ersten öffentlichen Konzerten aufgeführt – bevor es schließlich im 19. Jahrhundert einen zentralen Platz im bürgerlichen Konzertleben erhält.
Vor dem Hintergrund dieser (musik)historischen Entwicklungen widmet sich das Dissertationsvorhaben den Initiativen der Hocharistokratie im Wien der Jahre 1780 bis 1810 im Bereich der Oratorienpflege. Nach einem Überblick über die sozioökonomischen und musikhistorischen Grundlagen adeliger Kulturförderung im späten 18. Jahrhundert, liegt der Schwerpunkt auf der Gesellschaft der associierten Cavaliers: Im Fokus stehen zunächst Fragen nach ihrer historischen Entwicklung und personellen Zusammensetzung. Anschließend werden die verschiedenen Veranstaltungsräume und Zuhörerschaften der Aufführungen in den Blick genommen, bevor die Struktur und Organisationsform der Gesellschaft untersucht sowie der möglichen Motivation der adeligen Akteure nachgegangen wird. Ein abschließender Abschnitt fragt nach der Fortsetzung adeliger Musikförderung nach dem Ende der Aktivitäten der Gesellschaft der associierten Cavaliers, das spätestens mit dem Tod van Swietens 1803 zu datieren ist.