Martha Matscheko
Die Figuren der Commedia dell’arte in Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals Oper Ariadne auf Naxos

 

Um in der Oper Ariadne auf Naxos ernste und heitere Züge zu kontrapunktieren, die Opera seria und die Opera buffa gewissermaßen gegenüberzustellen, setzte Hugo von Hofmannsthal einige der Spaßmacher-Typen aus der Commedia dell’arte als Kontrast zu den ernsten, mythologischen Figuren der Ariadne auf Naxos ein. Die diversen Typen der Commedia dell’arte scheinen sich in vielerlei Hinsicht zu diesem Zweck zu eignen.

Zum einen handelt es sich dabei um eine durchaus einflussreiche und allenfalls einprägsame der Volkskultur entspringende Kunstform, die auf Jahrmärkten entstand und sich Mitte des 16. Jahrhunderts durch den Zusammenschluss von Laienschauspielern  zu Schauspielervereinigungen in Oberitalien weiterentwickelte. In Frankreich erlebte sie dann als Comédie italienne eine Blütezeit und starken Zuspruch durch den Adel. Wandernde Theatertruppen hinterließen in der Folgezeit in ganz Europa ihre Spuren, auch bei William Shakespeare in England, bei Molière in Frankreich oder Andreas Gryphius in Deutschland.

Einprägsam sind dabei in erster Linie die vier Masken: die der beiden Diener oder „Zanni“ Brighella und Arlecchino (beide in der Ariadne vertreten) und die der Alten oder „Vecchi“ Pantalone und Dottore.

Zu diesen vier Figuren gesellten sich häufig weitere sechs: „Il Capitano“, vier Liebende oder „Innamorati“ (Flavio, Isabella, Ottavio, Flaminia) und Fantesca beziehungsweise Colombina, das weibliche Pendant zu den beiden „Zanni“. In dieser Konstellation war eine Commedia dell’arte-Truppe imstande, unzählige Stücke zu erfinden und zu spielen.

Dabei sei erwähnt, dass sich ein Schauspieler oder eine Schauspielerin ein Leben lang auf einen Typus konzentrierte und dabei die Kunst der Verkörperung eines Charakters kontinuierlich weiterentwickelte, professionalisierte und letztendlich perfektionierte, wofür die Begrifflichkeit (Commedia del-) l’arte, welche sich in diesem Zusammenhang auf „Handwerk“ oder „Beruf“ bezieht, bezeichnend ist.

Zum anderen ist die Improvisation ein essenzielles Wesensmerkmal der Commedia dell’arte, das Spielen aus dem Stegreif. Daraus bildete sich der parallel kursierende Begriff der Commedia all’improvviso. Man hielt sich jedoch meist an einen grundlegenden Fahrplan der Szenen eines Stückes, das sogenannte „soggietto“. Darüber hinaus erarbeiteten sich die Schauspielerinnen einen Vorrat an Mustern oder diversen Monolog- und Dialogversatzstücken, wie beispielsweise zu Vorwürfen, Liebeserklärungen oder Wahnsinnsausbrüchen, um im Bedarfsfall geeignete Reaktionen abrufen zu können.

Während zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Wiener Volkstheater mit ihrer zentralen komischen Figur des Hans Wurst oder später des Kasperl als Weiterführung der Commedia dell’arte verstanden werden kann, war die Hochzeit der Commedia dell’arte dennoch vorbei: Das Improvisieren im Theater trat immer mehr in den Hintergrund und die Aufführungen der Commedia dell’arte wurden immer häufiger verschriftlicht. Hinzu kommt das Aufkommen des Pariser Jahrmarkttheaters im 17. Jahrhundert sowie der Trend, im Theater stärker psychologisch motivierte Handlungsverläufe zu zeigen.

Auseinandersetzungen im 19. und 20. Jahrhundert mit der Commedia dell’arte können eher als Rückbesinnungen auf das ursprüngliche Wesen des Stegreif- und Improvisationstheaters betrachtet werden. So ist auch Hugo von Hofmannsthals Bestreben in der Ariadne auf Naxos eher als romantisierte Reminiszenz an die zum Ende des 18. Jahrhunderts fixierte Form der Commedia dell’arte zu deuten. Dazu wählte er die Figur der Zerbinetta, welche in ihrem heiteren, sich selbst behauptenden Charakter der Colombina gleicht, und vier männliche Figuren, Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin und Brighella, alle, bis auf Scaramuccio, dem Typus der „Zanni“, also den Dienern, zugeordnet.

Der Einsatz einer Commedia dell’arte-Truppe kommt, inhaltlich betrachtet, besonders gelegen, da aufgrund der spontanen Veränderung des Stückablaufs, befohlen von höchster Stelle, deren Funktion des Improvisationstheaters zum Tragen kommt. Bezeichnend für das bereits thematisierte Anwenden von vorrätigen Floskeln der Figuren kann möglicherweise die Arie des Harlekins „Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen“ genannt werden, welche sich eher auf pauschal moralisierende Aussagen beschränkt, als direkt auf die psychische Verfassung der Spielpartnerin Ariadne einzugehen.

Darüber hinaus ist die permanent vorherrschende Gegenüberstellung von höherer und niederer Kunst zu bemerken, die in den Gegensätzlichkeiten der Charaktere der Opera seria (in erster Linie Ariadne) und der Opera buffa (vor allem Zerbinetta) besonders zum Vorschein kommt. Zum primären Kontrast vom Göttlichen und Menschlichen gesellen sich, um Walter Werbecks Richard Strauss Handbuch zu zitieren, Dualitäten wie „Treue – Promiskuität“, „ewig – augenblicklich“, „Transzendenz – Illusion“ und „Negation – Akzeptanz“.

Aber während die beiden Frauenrollen sich in ihrer emotionalen Skala durchaus einander begegnen -  Zerbinetta äußerst glaubhaftes Verständnis für Ariadnes Trauer und Ariadne zeigt mit ihrer Neigung zu neuer Liebe eine unerwartet menschliche Seite ihres Wesens – bleiben die vier männlichen komischen Figuren den Grundzügen ihrer Charaktere treu, ohne von ihrer mehr oder minder einfältigen Sicht auf die Umstände des Lebens und vor allem der Liebe abzuweichen.