Helene Feldbauer und Claire Gascoin
Helene Feldbauer und Claire Gascoin im Gespräch mit Michael Sturminger (Regie) über die Rolle des Komponisten in Ariadne auf Naxos von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss

“Musik ist eine heilige Kunst zu versammeln alle Arten von Mut …”
(Komponist im Prolog, Ariadne auf Naxos)

 

Welche Rolle nimmt die Figur des Komponisten in der Oper ein?

Wie der Regisseur Michael Sturminger erläutert, zeigt sie den Kampf des/der Künstlers*in mit den vorherrschenden Bedingungen. Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal geben dem Publikum Einblicke in die herrschenden Voraussetzungen von Kunstproduktion, die nie alle gänzlich zufriedenstellen können. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass die ausübenden Künstler*innen immer die bestmögliche Leistung erbringen wollen – und müssen. Daher vermittelt uns die gesamte Oper, aber insbesondere die Rolle des Komponisten die Idee von der Kunst des Möglichen.

In die aktuelle Regiearbeit ist noch ein anderer Kampf eingewoben: Durch die Darstellung des Komponisten als Komponistin wird sichtbar, wie eine Frau lernt, sich in einer von Männern dominierten Branche durchzuschlagen.

Im Grunde ist es gleichgültig, wieweit sich das Publikum in der Musikgeschichte auskennt – die noch immer aktuelle Nachricht, dass Komponistinnen nach wie vor kaum gesehen werden, wird in dieser Inszenierung zum Thema. Denn die Frage muss erlaubt sein: Soll tatsächlich das Geschlecht definieren, welche Funktion und Standpunkt ein*e Kunstschaffender*e in der Gesellschaft einnimmt?

Wie kamen Sie auf die Idee, die Figur des Komponisten im zweiten Akt der Ariadne auftreten zu lassen?

Fünf Minuten bevor die Opernaufführung – also der zweite Akt der Ariadne – beginnt, erfahren die Sänger*innen, welche Änderungen verlangt werden. Die Oper und das lustige Nachspiel sollen nun gleichzeitig stattfinden. Die Künstler*innen gehen auf die Bühne, ohne Partitur, ohne Probe, kurz: ohne zu wissen, wie dieses Übereinander von statten gehen soll. Daher ist es ist eine logische Schlussfolgerung zu zeigen, wie sich die Künstler*innen darauf vorbereiten, versuchen sich zur richtigen Zeit auf die Bühne zu begeben und wie der Komponist bemüht ist, nicht zu sehr zu intervenieren und dann doch die Situation einigermaßen zu retten anstrebt.

Was schon in Ariadne selbst angelegt ist, wird in der aktuellen Inszenierung offen gezeigt, nämlich dass Theater vielfach Improvisation ist. Dies führt zu einer hochspannenden theatralen Aufladung. Außerdem bekommt das Publikum auf diese Weise die Chance, “hinter die Kulissen” zu schauen und in die Realität der Theaterwelt einzutauchen.

Welche Rolle spielt das Geschlecht des Komponisten?

Der Wechsel des Geschlechts, so Michael Sturminger, ändert an der Geschichte nur einen Hauch – und ist doch ein wichtiges Statement. Zentrale Aussage ist daher, dass Persönlichkeit und Leistungen nicht vom Geschlecht abhängig sind. Und ist nicht die Rolle von Strauss bereits so konzipiert worden ist, dass sich die Figur des Komponisten für eine junge Frau eignen kann? Denn im Gegensatz zu den eher Klischee beladenen und begrenzten Männern der Commedia dell’arte-Figuren, handelt es sich um eine sanftmütige und bedachte Person.

Durch Textanpassungen wird in der aktuellen Produktion dem Hosenrollen geschulten Publikum noch einmal verdeutlicht, dass die Figur des Komponisten tatsächlich eine Frau ist. Zudem unterstreicht das Kostüm der Komponistin nicht unbedingt die feminine Seite, denn sie möchte nicht wegen ihrer Weiblichkeit, sondern wegen ihrer künstlerischen Leistung als Komponistin in einer männerdominierten Welt wahrgenommen werden.

Inwiefern stellen sich Richard Strauss und Hofmannsthal selbst in der Rolle des Komponisten dar? Was bezwecken sie mit dieser Oper?

Aus dem Briefwechsel mit Hofmannsthal wissen wir, dass Strauss die Rolle nur deswegen von einer Frau singen lässt, um sich weit genug davon zu distanzieren und keine autobiographischen Zusammenhänge aufkommen zu lassen. Wer jedoch Richard Strauss‘ Opern kennt, dem ist bewusst, dass seine Hauptcharaktere immer für Frauen geschrieben wurden. Dies mag eventuell auch daran liegen, dass für Strauss die Frauenstimmen mehr Farben haben. Also hinkt diese Auffassung laut Sturminger.
Hofmannsthal und Strauss kritisieren in diesem Werk auf humorvolle Art und Weise die vorherrschenden Bedingungen und Anforderungen der Theaterwelt - insbesonders durch die Figur des Komponisten. Es stellt sich nun vielmehr die Frage, wie kann ein Komponist einen Komponisten vertonen, ohne dabei die eigene Persönlichkeit einfließen zu lassen?

Nachüberlegungen der „Komponistin“

Uns Sängerinnen wurde von Beginn an freigestellt, ob wir in unserer Rolle als „Komponistin“ eine Hosenrolle oder eine Frau auf der Bühne verkörpern wollen. Wir probierten beides aus: zu gehen ‚wie ein Mann‘ oder ‚männlich‘ zu sitzen, ist für Sängerinnen von Hosenrollen eine interessante Erfahrung in der Verkörperung von verschiedensten Verhaltensklischees. Doch spannender fanden wir den Gedanken der Transformation in eine Komponistin.

Zudem ist die Rolle sehr vielschichtig. Die Figur kämpft für eine ideale Welt, denn sie sehnt sich nach etwas Größerem als dem alltäglichen Leben. Der Kampf der Komponistin enthält damit besonders in der jetzigen Zeit eine starke Aktualität, denn auch wir dürsten nach einer pandemiefreien Welt.

Wir finden, dass sich jede*r in der Rolle der Komponistin wiederfinden kann. Sie erlaubt sich, ihre Gefühle und ihren Frust offenzulegen, was sich viele Menschen im Alltag nicht gestatten. Viel zu sehr hat das “Funktionierenmüssen” und die Unterdrückung der Gefühle Einzug in die sogenannte Leistungsgesellschaft gehalten. Die Figur spiegelt deshalb auch die Sehnsucht nach Wahrheit und Authentizität vieler Menschen wieder.

Die Botschaft der Komponistin in ihrer komponierten Oper ist daher klar: “Wir müssen etwas Größeres als den Alltag erleben, damit wir träumen und uns weiterentwickeln können”. Das Träumen und das Hoffen sind gerade in Zeiten einer Pandemie überlebensnotwendig. Zudem vermittelt uns die Oper, dass gemeinschaftliches und kooperatives Handeln zum gemeinsamen Ziel führen und dass dadurch etwas Magisches entstehen kann.
Somit ist Musik eine heilige Kunst, zu versammeln alle Arten von Mut – und aus unserer Sicht auch Hoffnung.