Archivalie des Monats
Der Tonbandbestand Walter Hörler (TB 1-5)
Mit Freude haben wir daher eine Schenkung von fünf Tonbändern mit Livekonzerten aus dem Nachlass des Jazzpianisten in die Historische Sammlung des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung aufgenommen.[3] Diese Aufnahmen stellen u. a. relevante Zeugnisse der Wiener Konzertlandschaft und Konzertlebens der 1970er, 1980er und 1990er Jahre dar – wurden zwei der Tonbänder (wahrscheinlich auch ein nicht näher ausgewiesenen dritten) in Wiener Klub Jazzland aufgenommen, sind zwei hingegen Aufnahmen von Konzerte, die in der Wiener Volkshochschule Hietzing stattfanden (am 29. April 1975 und am 12. Februar 1976) und somit eine unkonventionellere und auch politisch konnotierte Aufführungssituation widerspiegeln.[4]
- Hörler_2.mp3
Triste (Antonio Carlos Jobim): Walter Hörler (Klavier), Walter Strohmaier (Kontrabass), Fritz Ozmec (Schlagzeug)
Blues for Trio (Walter Hörler): Walter Hörler (Klavier), Wayne Darling (Kontrabass), Fritz Ozmec (Schlagzeug)
Hörlers Biographie ist kaum dokumentiert. Zwischen den Wintersemestern 1950/51 und 1961/62 ist er als ordentlicher Student an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (heutige mdw) immatrikuliert: zuerst im Fach Klavier in der Klasse von Ludwig Czaczkes, ab dem Wintersemester 1958/59 auch als Schlagwerk-Student in den Klassen von Hans Gärtner und Richard Hochrainer. In den letzten zwei Semestern an der Wiener Ausbildungsinstitution besucht er auch die Orchesterübungen bei Hans Swarowsky und das Collegium Musicum bei Josef Mertin.[5] Nicht dokumentiert ist hingegen eine Ausbildung, die Hörler zum Jazz führte.
Später trat er selber als Lehrer auf, ohne allerdings einer Institution anzugehören, so wird er etwa immer wieder als wichtiger Lehrer des Komponisten und Produzenten Peter Wolf erwähnt.[6]
Als Musiker konnte er keinen Eingang in den österreichischen Jazz-Kanon finden, möglicherweise – so Klaus Schulz der ihn in seiner Jazzchronik als „einer der begabtesten Jazzpianisten"[7] nennt – weil er „meist in fashionablen Bars"[8], etwa in Hotelbars, musizierte. Sein Stil ist eklektisch: souverän spielt er sich durch die Tradition von „Earl Hines bis Oscar Peterson, von Teddy Wilson bis Erroll Garner, von Fats Waller bis Art Tatum“[9]. Gilt Hörler als traditionell orientierter Jazz Musiker sind aber auch avantgardistische Exkursionen in der freien Improvisation bekannt. Basierend auf einem Interview mit dem Kontrabassisten Anton Michlmayr, erzählt Andreas Felber wie Hörler Michlmayr gebeten hätte „die ‚Masters of Unorthodox Jazz‘ für einen Auftritt im Rahmen eines Bezirks-Kulturspektakels zusammenzutelefonieren, [Michlmayr] lehnte […] mit dem Hinweis ab, er sehe sich dazu nicht in der Lage, da man doch schon beinahe ein Jahrzehnt nicht mehr zu fünft aufgetreten ist. Hörler, Michlmayr und Walter Malli konstituierten aus diesem Grund am 24. Juni 1984 stattdessen ein Free Piano Trio und absolvierten damit unter dem Motto Ceciliade den ‚Gig‘ im Concert-Café Wortner […] – er war nach 10 Minuten beendet, nachdem die Veranstalter selbst zum Aufhören aufgefordert hatten, allerdings dennoch die volle Gage ausbezahlten.“[10] Michlmayrs musikalische Zusammenarbeit mit Hörler kann bis in den 1950er Jahre zurückverfolgt werden: Bevor er zum Kontrabass wechselte begann er seine Karriere als Jazzmusiker als Schlagzeuger und Vibraphonist mit einem Engagement vom 24. Juli bis 5. September 1956 in Sölden im Ötztal mit Hörler und Robert Politzer am Bass (der wiederum später als Tompeter große Karriere machte).[11]
Die Chronik des Wiener Jazzland listet verschiedene Musiker auf, die in diesem Club mit Hörler konzertierten: neben den bereits erwähnten Michlmayer, waren das auch die Bassisten Rudolf Hansen, Wayne Darling, Walter Strohmaier und die Schlagzeuger Karl Prosenik, Joris Dudli und Fritz Ozmec.[12] Die Jazzlandchronik erwähnt auch Auftritte mit den Deutschen Pianisten und Vibraphonisten Bill Grah und mit den Perkussionisten Anton und Fredvard Mühlhofer.[13] Eine Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Karl Ratzer ist nicht nur in der Chronik erwähnt,[14] Ausschnitte aus einem Konzert am 20. Dezember 1990 sind auch in einer der Tonbänder zu hören.
Autumn Leaves (Joseph Kosma): Karl Ratzer (Gitarre), Walter Hörler (Klavier), Rudolf Hansen (Kontrabass), Fritz Ozmec (Schlagzeug)
Die hier vorgestellten Tonbänder wurden professionell von der Österreichischen Mediathek digitalisiert und stehen der Öffentlichkeit für Forschungszwecke nach Voranmeldung innerhalb der Öffnungszeiten des Archivs zur Verfügung. Wir möchten uns hiermit auch öffentlich bei dem Schenker bedanken, einem langjährigen Freund des Pianisten, der die Tonbänder von Hörlers Witwe geschenkt bekommen und entschieden hat, uns diese weiterzuvermitteln.
Juri Giannini
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[1] Walter Hörler Piano - Finally (12.01.2023)
[2] Various – 4. Österreichisches Amateur Jazz Festival (12.01.2023). Zu diesem Konzert vgl. auch Programm 4. Österreichisches Amateur-Jazzfestival im Wiener Konzerthaus (12.01.2022) und die diesbezügliche Programm- und Werbebroschüre (im Archiv des Wiener Konzerthauses ist diese eine Beilage zur Zeitschrift Jazz-Podium 3/1965).
[3] Die Tonbänder wurden mit einem Revox A77 Gerät auf 22cm und 26cm Spulen aufgenommen. Die Tonqualität ist nicht immer überragend. Die in den Tonbändern aufbewahrten Notizen stammen von Walter Hörler (Mitteilung des Schenkers).
[4] Auch das bereits erwähnte Österreichische Amateur-Jazzfestival steht mit der sozialdemokratischen Kulturpolitik in Verbindung. Dieser wurde nämlich von der aus der Jugendarbeiterbewegung entstandenen Österreichischen Jazz Föderation veranstaltet (vgl. Wolfgang Lamprecht: Zur Geschichte der österreichischen Jazz(kritik). Chronik, Dokumentationen, Stellungnahmen, Wien 2009, S. 133).
[5] Alle Informationen über die Ausbildung sind aus Hörler Matrikelblatt entnommen (mdw-Archiv, Matrikelblatt Walter Josef Hörler).
[6] Vgl. etwa: Interview mit Peter Wolf in Keyboard, 11/2007, [S. 39], (17.01.2023); Klaus Schulz: Jazz in Österreich 1920–1960, Wien: Album-Verlag, 2003, S. 100; Andreas Felber: Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde. Revolution im Hinterzimmer, Wien: Böhlau, 2005, S. 261.
[7] Schulz: Jazz in Österreich 1920–1960, S. 100.
[8] Ebd., S. 100. Als Beispiel bringt Schulz die Splendid Bar und fügt hinzu, dass hier häufig auch andere „Jazzmusiker zu Sessions ein[stiegen]“ (S. 120).
[9] Axel Melhardt: Swing that Music! 30 Jahre Jazzland, Wien: Pichler Verlag, 2002, S. 135.
[10] Felber: Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde. Revolution im Hinterzimmer, S. 178.
[11] Ebd., S. 59–60.
[12] Melhardt: Swing that Music!, S. 135, 273; vgl. auch die Internetdatenbank des Jazzland (17.01.2023).
[13] Ebd., S. 135.
[14] Ebd., S. 239.