Lieddedikationen an den Wiener Adel. Zur Bedeutung und Neukontextualisierung der Gattung ‚Lied‘ vor Schubert

Gundela Bobeth

 

Die Praxis des klavierbegleiteten Sologesangs um 1800 wird von zeitgenössischen Quellenberichten allenfalls ansatzweise präzisiert. Als Paradebeispiele häuslich-privaten oder halböffentlichen Musizierens lassen Liedkompositionen in aller Regel offen, in welchen Kontexten und Aufführungsräumen sie konkret erklangen und an welche Adressatenkreise sie sich richteten. Außer Frage steht lediglich ihre genuine Verwurzelung im Bereich der bürgerlichen Musikkultur, die mit dem deutschsprachigen Lied eigene Ausdrucks- und Musizierformen gegenüber der von Hof und Hochadel gepflegten italienischen Arienkomposition entfaltete. Erst bestimmte Lieder Beethovens scheinen – soweit durch explizite Widmungen oder Quellennotizen rekonstruierbar – auch in Räumen des Hochadels rezipiert worden zu sein, was als Bestätigung für ihre musikhistorische Sonderposition bzw. den Ausnahmestatus ihres Verfassers gilt. Allerdings lassen sich im bislang weitgehend unbekannten Gesamtbestand der zeitgenössischen Wiener Liedkomposition durchaus weitere Beispiele finden, die auf eine Präsenz von deutschsprachigen Liedkompositionen im adligen Salon hindeuten und das Beispiel Beethovens auf signifikanter Quellenbasis kontextualisieren. Indem das Referat die wesentlichen einschlägig dedizierten Liedkompositionen der Zeit vorstellt und deren Schnittmenge zum Wirkungskreis Beethovens diskutiert, eröffnen sich nicht zuletzt neue Perspektiven für die Gewichtung und Positionierung der vorschubert’schen Wiener Liedkultur.

 

Gundela Bobeth studierte Musikwissenschaft, Geschichte und Lateinische Philologie in Hamburg und Basel und wurde 2004 an der Universität Basel mit einer in der Reihe Monumenta Monodica Medii Aevi erschienenen Arbeit über mittelalterliche Gesänge antiker Texte promoviert. Nach Tätigkeiten als Universitätsassistentin am Basler Musikwissenschaftlichen Institut sowie am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien (2004 bis 2012) arbeitete sie seit 2013 an einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekt zur Wiener Liedkultur um 1800 an der Universität Zürich. Die daraus hervorgegangene Habilitationsschrift Lied im Wandel. Studien zur Wiener Liedkultur um 1800, die im Oktober 2019 an der Universität Wien eingereicht wurde (Habilitation April 2020), erschließt ein umfangreiches, bislang kaum bekanntes Korpus von Wiener Klavierliedkompositionen und trägt nicht zuletzt zu einer Neukontextualisierung der Lieder Franz Schuberts bei. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei der Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis: In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und renommierten Klavierlied-Interpreten erfolgten bereits mehrere „Wieder-Uraufführungen“ Wiener Klavierlieder sowie die Produktion einer 2017 in der ÖAW-Reihe Klingende Forschung erschienenen CD.

Mit Tagungsteilnahmen und Vorträgen im In- und Ausland, Mitwirkungen bei Radiosendungen, Lehr- und Publikationstätigkeit sowie widmet sich Gundela Bobeth der Musik- und Kulturgeschichte des Mittelalters, der Renaissance sowie des 18. und 19. Jahrhunderts. Besondere Schwerpunkte liegen dabei im Verhältnis von Musik und Sprache, im Bereich musikalischer Antikenrezeption sowie in Grundfragen der Musikhistoriographie.

 

» Zum Tagungsprogramm