„gleichsam aus Noten auch meinen Nahmen in dies Stammbuch ein zu schreiben“ – Musikbezogene Stammbuchpraxis im post-napoleonischen Wien
Henrike Rost
Vor dem Hintergrund der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verschiebungen im post-napoleonischen Europa veränderte sich auch die Stammbuchpraxis, die als Erinnerungskultur sowie Subjektivierungspraktik in ihren vielfältigen Ausformungen bis ins 16. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist. Im Laufe der 1810er Jahren entstanden erstmals Alben, die ausschließlich auf das Sammeln von Notenautographen zielten und somit direkt mit Musikerkreisen bzw. einem musikaffinen gesellschaftlichen Umfeld korrespondierten. Diese Fokussierung auf Musik möchte ich in Hinblick auf eine Neuorientierung der Erinnerungskultur sowie insbesondere auf die Herausbildung eines neuen künstlerischen Selbst-Verständnisses von Musiker*innen diskutieren.
Meine Überlegungen gehen dabei zunächst vom Stammbuch des Militärbeamten und Musikschriftstellers Franz Sales Kandler aus, das anlässlich des Abschieds von seinen Wiener Freunden und Bekannten, darunter Antonio Salieri und Ludwig van Beethoven, im Jahr 1817 initiiert wurde. Berücksichtigt werden zudem das verschollene Album von Louis Spohr, das Album musical von Maria Szymanowska und Beethovens eigenes sogenanntes Stammbuch von 1792, bei dem es sich eher um ein Album dʼhommages handelt. Im Zuge der Diskussion von diversen in Wien entstandenen Stammbucheinträgen, die die Wiener „Beethoven-Geflechte“ auf einer weiteren Ebene reflektieren, ergibt sich schließlich auch im Generellen ein Einblick in Ludwig van Beethovens Stammbuchpraxis.
Henrike Rost ist Musikwissenschaftlerin und arbeitete als Lektorin, Übersetzerin und Sängerin. An der Humboldt-Universität zu Berlin studierte sie Musikwissenschaft und Italianistik. Am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold war sie von 2015 bis 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Promoviert wurde sie an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Ihre Studie Musik-Stammbücher. Erinnerung, Unterhaltung und Kommunikation im Europa des 19. Jahrhunderts erscheint im September 2020 im Böhlau Verlag.