Beethovens musikalische Geschenke für Frauen
Birgit Lodes
Dass Widmungen oft einen Schlüssel zum Entstehungskontext – und damit auch zum ästhetischen Gehalt – eines künstlerischen Werkes bilden können, ist in letzter Zeit mehrfach thematisiert worden (z.B. Green 2019). Bei Beethoven zeigt sich dabei ein auffälliges Profil der „Passgenauigkeit“ (Lodes 2015). Große, öffentliche Werke wie Symphonien, Klavierkonzerte, Streichquartette sind ausnahmslos Männern gewidmet. Werke mit Klavier (auch Klavierauszüge) auffallend häufig Frauen, wobei diese Kompositionen – entgegen häufiger Behauptungen – künstlerisch und aufführungspraktisch oft anspruchsvoll sind und mittelbar auf das musikalische Können der Widmungsträger*innen schließen lassen. Allgemein widmet Beethoven seine Kompositionen fast ausnahmslos Persönlichkeiten aus dem Adelsstand, die sich in ihrer Lebensführung unter anderem der Pflege und Förderung von Künsten und Musik verschrieben haben.
Am Beispiel der Variationen über das Lied „Ich denke Dein“ für Klavier 4-händig (WoO 74, Text: Goethe) möchte ich exemplarisch diskutieren, welche Verständnisdimensionen sich eröffnen können, wenn eine Komposition aus den zeitgenössischen Quellen heraus kulturgeschichtlich und soziologisch kontextualisiert wird. Diese Variationenfolge hat Beethoven zunächst in das Stammbuch der Schwestern von Brunswick eingetragen und so disponiert, dass bei der Aufführung ein spannungsreiches Wechselspiel zwischen Liedtext und Klaviervariationen entsteht. In einer Aufführungssituation in einem „Salon“ mit gebildeten Zuhörer*innen bzw. Kenner*innen wurde dieses sicherlich performativ mitvollzogen; Quellen aus dem (erweiterten) Familienkreis belegen, dass über diese Komposition auch mehrfach gesprochen wurde. Durch die spätere kompositorische Erweiterung und Drucklegung (mit Widmung an die Schwestern Brunswick) mutiert die Variationenfolge sodann von der privaten Freundschaftsgabe als „kleines musikalisches Opfer“, das „beym durchspielen und singen ... an ihren sie wahrhaft verehrenden Beethoven“ erinnern möge, zum öffentlichen „(Kunst-)Werk“.