Musik, Jugend und Jugendkulturen
Musik ist nicht für alle Menschen gleichermaßen bedeutsam, und ihre (Ir)Relevanz kann im Verlauf eines menschlichen Lebens schwanken: Je nach Alter und Lebensabschnitt kann sie eine mal mehr, mal weniger wichtige Rolle im Leben eines Menschen einnehmen. Aus entwicklungspsychologischen Studien ist allerdings seit längerem bekannt, dass Musik im Jugendalter für viele Heranwachsende aus unterschiedlichen Gründen von besonderer Bedeutung ist.
Das Postulat eines möglichst offenen, wertfreien wissenschaftlichen Herantretens an die unterschiedlichen Musiken und Kulturen dieser Welt, dem sich das Institut für Musiksoziologie (IMS) von Beginn an verpflichtet sieht, findet u.a. seine Entsprechung in den umfassenden und facettenreichen Studien und Publikationen zum Themenbereich „Musik, Jugend und Jugendkulturen“, zu welchem verschiedene Mitarbeiter*innen des IMS im Verlauf der Institutsgeschichte kontinuierlich beigetragen haben. Auch im Lehrveranstaltungsangebot des IMS spiegelt sich die anhaltende Bedeutung dieses Forschungsschwerpunkts klar wider.
Während sich in den 1950er und 60er Jahren mit dem Aufkommen und der zunehmenden Verbreitung von Pop- und Rockmusik auch im wissenschaftlichen Lager zunächst vielfach kritische, kulturpessimistische Stimmen erhoben, begegnete Kurt Blaukopf zu dieser Zeit den neuen „klanglichen Erfahrung der jungen Generation“ (Blaukopf 1968) nachweislich neutral. Dabei interessierte er sich besonders für die mit diesen neuartigen Musiken verbundenen innovativen technischen Möglichkeiten der Musikproduktion, -Vermittlung und -Aneignung und dachte über die Implikationen nach, die die neuen musikalischen Praxen für Musikpädagogik und Musikerziehung implizieren könnten.
Ab 1969 begann Irmgard Bontinck – zunächst über ihre Anstellung am Internationalen Institut für Musik, Tanz und Theater in den audiovisuellen Medien (IMDT – dem späteren Mediacult), das Blaukopf im selben Jahr gegründet hatte, ab 1973 als Hochschulassistentin am IMS – sich umfassend und empirisch fundiert mit „Jugendmusik (Rock, Beat, Pop u.a.)“ (Bontinck 1981: 57) sowie mit den damit verbundenen „New Patterns of Musical Behaviour of the Young Generation“ zu befassen (vgl. u.a. Bontinck 1972, 1974a, 1974b, 1975, 1976 sowie Bontinck/Mark 1976). In ihrer Studie „kritik der etablierten kultur“ (Bontinck 1977), beauftragt von der UNESCO, erarbeitet Bontinck nicht nur Gründe und Ursachen der jugendlichen Kritik an der institutionalisierten Kultur in Österreich, sondern beschreibt darüber hinaus die spezifischen jugendkulturellen Formen des aktiven, symbolischen Protests und des kollektiven Widerstands, womit sie den Praktiken der Heranwachsenden einen kulturellen Eigenwert zuschrieb und zuerkannte. Aus ihrer umfassenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Jugend und Musik“, der Irmgard Bontinck über die 1970er Jahre hinaus begleitete, lässt sich ferner ein spezifisches Interesse am Aspekt der technischen Medien im Umgang Heranwachsender mit Musik erkennen (vgl. u.a. Bontinck 1981, [1986] 2009, 1987).
Ab Ende der 1980er Jahre fügte Alfred Smudits der musik- und jugendkulturellen Forschung am IMS wesentliche und neue Facetten hinzu, indem er sich gezielt mit der identitätsbildenden Funktion von populärer Musik für Heranwachsende befasste und dabei explizit Aspekte der sozialen und ethnischen Herkunft, des Geschlechts sowie des Körpers berücksichtigte (Smudits 1988, Bailer/Horak/Smudits 1992). Des Weiteren ging Smudits ab Mitte der 1990er Jahre unter anderem Stil-Fragen in Zusammengang mit Jugendkulturen nach (Smudits 1995a), erkundete Austropop als musikkulturelles Phänomen (Smudits 1995b) und befasste sich aus unterschiedlichen Perspektiven ausführlich mit je aktuellen Formen der Pop- und Rockmusik (vgl. u.a. Smudits 1996, 2002).
In der jüngeren und jüngsten Vergangenheit haben die IMS-Mitarbeiter*innen Sarah Chaker, Michael Huber, Rainer Prokop und Rosa Reitsamer umfassende Forschungsarbeit im Feld der Musik- und Jugendsoziologie geleistet. Dabei wurden unterschiedliche popmusikalische Praktiken und ihre Akteur*innen empirisch untersucht – von Austropop (Huber 2020) über Elektronische Musik (Huber 2002, 2011, Reitsamer 2013, 2016), HipHop und Rap (Huber 2010, 2018a, Reitsamer/Prokop 2015, 2017, 2019) bis hin zu Extreme Metal (Chaker 2014) konnten der Öffentlichkeit detailreiche Studienergebnisse zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus hat Rosa Reitsamer – zum Teil in Kooperation mit Rainer Prokop – eine Vielzahl an Beiträgen zu Do-It-Yourself (DIY)-Praktiken in Jugendkulturen und Szenen publiziert (Reitsamer 2011, 2013, Reitsamer/Zobl 2014, Reitsamer/Prokop 2017, Reitsamer forthcoming [2022]). Die empirisch fundierte Auseinandersetzung mit dem aktuellen Mediengebrauch Jugendlicher hat Michael Huber im Blick (Huber 2019), darüber hinaus liegen theoretische Beiträge zur aktuellen Szene-Forschung (Reitsamer/Fichna 2011, Chaker 2014) sowie zur musikalischen Sozialisation und zum Musikgeschmack Heranwachsender vor (Huber/Nicoletti 2005, Huber 2006, Huber 2018b: 115ff., Chaker 2013). Geschlechtsspezifische Aspekte der juvenilen Musikproduktion und -aneignung sowie feministische und queere Medienproduktion zu beobachten und zu analysieren ist ein weiteres für das IMS zentrales Anliegen (vgl. u.a. Chaker 2007, 2016, Huber 2010, Reitsamer 2012, Reitsamer/Prokop 2017, 2019).
Literatur
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