FAMILIENGESCHICHTEN

 


Herta Singer und Kurt Blaukopf trafen mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 1948 erstmals aufeinander – beide arbeiteten zu dieser Zeit in der Redaktion der österreichischen Tageszeitung „Der Abend“ (vgl. Blaukopf, K. 1998: 21-49). Mit diesem Zeitpunkt setzte der intellektuelle Austausch des späteren Paares ein, der lebenslangen Bestand haben sollte. Im Jahr 1959 ging das Paar die Ehe ein, drei Jahre später wurde der gemeinsame Sohn, Michael Blaukopf, geboren (vgl. Seiler 2018: 88). Dass die zunächst kulturjournalistisch geprägte, später auch wissenschaftliche Partner*innenschaft langfristig ausgezeichnet funktionierte, ist sicherlich auch vor dem Hintergrund biographischer Gemeinsamkeiten, geteilter Lebenserfahrungen und Schicksale zu sehen (vgl. Reitsamer 2019, Chaker/Viehböck [forthcoming]).

 

Sie sehen ein vergilbtes Blatt Papier, auf das mit Schreibmaschine Kurt Blaukopfs Geburts- und Wohnort geschrieben wurde, dazu ein Porträtfoto, das mit Klammer befestigt wurde.

Mitgliedsausweis Kurt Blaukopf: Verband der wegen ihrer Abstammung Verfolgten [©IMS]

Sie sehen einen kleinen vergilbten Zettel, auf den gedruckt sowie mit Hand geschrieben wurde, dazu ein Stempel mit einer Unterschrift.

Bestätigung der Internierung Kurt Blaukopfs im Lager No. 4 in Meslay-du-Maine [©IMS]: Als Österreicher wurde Blaukopf ebenso wie deutsche Staatsangehörige von Frankreich als "feindlicher Ausländer" eingestuft.

Sie sehen eine Urkunde, gedruckt auf türkis gemustertem Hintergrund mit einer Abbildung des Reichsadlers in der Mitte.

an Anna Singer (Herta Blaukopfs Mutter) ausgestellter "Abstammungsnachweis" von 1941 [© Privatbesitz M. Blaukopf]

Sie sehen ein aufgeklapptes Ausweisdokument. Auf der linken Seite wurden handschriftlich Personendaten eingetragen, auf der rechten Seite wurde ein Foto mit Klammer befestigt, dazu zwei Fingerabdrücke, verschiedene Stempel und Unterschriften.

an Julius Singer (Herta Blaukopfs Vater) ausgestellte Kennkarte von 1939 [© Privatbesitz M. Blaukopf]: Das auf der linken Seite (sowie außen) zu sehende "J" wies auf Singers jüdische Abstammung hin.

Sie sehen ein vergilbtes Blatt Papier, das im oberen Bereich mit hebräischer Sprache sowie mit der englischen Übersetzung beschrieben ist. Auf der unteren Hälfte wurden ein paar Zeilen mit Schreibmaschine geschrieben, dazu eine Unterschrift und ein Stempel.

Studienbestätigung Kurt Blaukopfs, der in seiner Exilzeit am Musikkonservatorium in Jerusalem studierte [©IMS]

Sie sehen ein vergilbtes Formular, das mit Schreibmaschine ausgefüllt wurde. Nahe dem unteren Rand befindet sich ein Datumsstempel sowie eine Unterschrift.

Arbeitszeugnis Kurt Blaukopfs, der in seiner Exilzeit für den Verwaltungsapparat der unter britischem Mandat stehenden Regierung Palästinas arbeitete [©IMS]

Zuvorderst muss an dieser Stelle auf die antisemitischen Diskriminierungserfahrungen von Herta Singer und Kurt Blaukopf verwiesen werden, die ihre Leben maßgeblich prägten. Beide hatten jüdische Vorfahren und waren dadurch den Repressionen des nationalsozialistischen Regimes ausgesetzt (vgl. Reitsamer 2019: 1-2). Herta Singer musste ihren Bildungsweg mehrfach unterbrechen, wobei ihr das Universitätsstudium bis zum Ende des Kriegs verwehrt blieb (vgl. Seiler 2018: 89). Während der Kriegszeit kam sie durch ihre Klavierlehrerin, Olga Novakovic, mit zentralen, zum Teil untergetauchten Personen der Schönberg-Schule in Kontakt und besuchte musiktheoretische Kurse, etwa bei Anton von Webern und Friedrich Wildgans. Auch Herta Singers Familie versteckte untergetauchte Verwandte in ihrem eigenen Zuhause (vgl. Göllner 2002). Kurt Blaukopf, der 1937 einige Wochen in Haft verbrachte, wobei er selbst seine „Hilfstätigkeit für verhaftete Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes und deren Familien“ (Blaukopf, K. 1998: 21) als Grund für seine Festnahme vermutete, flüchtete 1938 zunächst nach Paris. Mit Kriegsbeginn wurde er in einem Lager im französischen Meslay-du-Maine interniert, konnte aber Anfang 1940 dank eines genehmigten Visums nach Jerusalem ausreisen (ebd.: 24-29). Im Gegensatz zu seiner Familie, der im selben Jahr die Emigration über Portugal nach Amerika gelang und die sich aufgrund der furchtbaren Erfahrungen von Österreich vollständig abwendete, kehrte Kurt Blaukopf bereits 1947 nach Wien zurück, um sich – ebenso wie Herta Singer –  am intellektuellen Wiederaufbau des Landes zu beteiligen (ebd.: 21-49).

Auch abseits der erlebten antisemitischen Repressions- und Kriegserfahrungen finden sich in den individuellen Biographien der beiden Forscher*innen einige Übereinstimmungen, die die Realisierung der wissenschaftlichen Partner*innenschaft von Herta und Kurt Blaukopf begünstigten (vgl. Reitsamer 2019, Chaker/Viehböck [forthcoming]). Aus (groß)bürgerlichen Verhältnissen kommend, teilten sie ähnliche musikalische Sozialisationerfahrungen: Beide waren mit klassischer Musik umfassend vertraut, theoretisch wie praktisch, und pflegten zeitlebens ein Naheverhältnis zu internationalen Kulturschaffenden. Während Herta Singers Großvater, Richard Fränkel, beispielsweise als Leiter des sozialdemokratischen Arbeitersängerbundes fungierte (vgl. Seiler 2018: 90), war Kurt Blaukopfs Mutter, Anna Blaukopf (geb. Tropp), als Konzertpianistin tätig (vgl. Blaukopf, K. 1998: 43). Auch künstlerische Salons mit Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, Laien- sowie Profimusiker*innen, wie dem Kolisch-Quartett, wurden im Elternhaus von Kurt Blaukopf veranstaltet (vgl. Blaukopf, K. 1998: 14). Beide Herkunftsfamilien können klar einem bildungsbürgerlichen Milieu zugeordnet werden, wobei vor allem die Familie Herta Singers ihre liberalen Einstellungen durch ein entsprechendes politisches Engagement sichtbar nach außen trug: Neben Hertas Großvater waren auch ihre beiden Eltern, Julius und Anna Singer (geb. Fränkel), überzeugte Sozialdemokrat*innen und langjährige Mitglieder der damaligen „Sozialistischen Partei Österreichs“.

 

Sie sehen einen mit Schreibmaschine getippten Brief, der von Kurt Blaukopf unterzeichnet sowie von Herta Blaukopf zusätzlich mit einer handschriftlichen Notiz versehen wurde.

Quellen

Blaukopf, Kurt: Unterwegs zur Musiksoziologie: Auf der Suche nach Heimat und Standort, Graz/Wien 1998.

Chaker, Sarah/Viehböck, Raphaela: „Miteinander gearbeitet haben wir, seit wir einander kannten“. Zur wissenschaftlichen Partner*innenschaft von Herta und Kurt Blaukopf, in Fornoff-Petrowski, Christine/Bagge, Maren/Ricke, Anna/Rode-Breymann, Susanne (Hg.): (Wahl-)Verwandtschaften: Gemeinschaftliches kulturelles Handeln. Böhlau Verlag (forthcoming).

Göllner, Renate: Leben und Überleben im Dritten Reich. Ein Gespräch mit Herta Blaukopf über das unterirdische Fortwirken der Schönberg-Schule, in: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands 19/2 (2002), S.13-18.

Reitsamer, Rosa: Vortrag anlässlich der Preisverleihung des Herta und Kurt Blaukopf-Awards für herausragende wissenschaftliche Dissertationen an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 16. Dezember 2019.

Seiler, Martin: Blaukopf, Herta, geb. Singer, in: Korotin, Ilse/Stupnicki, Nastasja (Hg.): Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen, Wien 2018, S. 88-95.