Kategorie: dirigiertes Ensemble (IRCAM, Paris 2018)
Der Name ManiFeste bezieht sich sowohl auf das jährliche multidisziplinäre Festival als auch auf die damit verbundene zweiwöchige Sommerakademie am IRCAM. In 2018 nahmen mehr als 140 junge Künstler und Künstlerinnen aus den Bereichen Komposition, Tanz und multimediale/experimentelle Kunst teil.

Die Academy wurde in unterschiedliche Kategorien geteilt. Im Bereich der Komposition waren die Schwerpunkte: großes Orchester, Ensemble mit Dirigent (8 – 12 Musiker), Kammermusik ohne Dirigent und elektroakustische Musik. Die Bewerbung erfolgte über die Ulysses-Plattform und war nur für eine Kategorie pro Person möglich. Die Jury entschied sich in der Kategorie dirigiertes Ensemble für insgesamt zwanzig Komponist_innen. Mit der Teilnahme verpflichtete sich jede_r Kandidat_in eine fünfminütige Skizze zu schreiben und sie einen Monat vor dem Beginn der Academy bereitzustellen sowie in allen Kursen anwesend zu sein. Es wurde von Anfang an darauf hingewiesen, dass keine Proben bzw. reading sessions mit dem Ensemble möglich sind. Sechs von zwanzig eingeladenen Komponist_innen wurden nach dem Festival ausgewählt ihre Stücke fertigzustellen, um sie durch das Ensemble intercontemporain beim nächstjährigen ManiFeste-Festival zur Uraufführung zu bringen. Gleiche Verhältniszahlen galten in der Kategorie Kammermusik. Die Kursgebühr für beide Kategorien betrug 300 Euro. Das IRCAM selbst übernahm keine Reise- oder Unterkunftskosten, jedoch schreibt das ManiFeste-Team gerne Empfehlungen für eventuelle Stipendien oder Reisekostenzuschüsse.

Die Academy startete am 18. Juni mit diversen Präsentationen über IRCAMs jüngste Tätigkeiten. In der ersten Woche hielten Marko Nikodijevic, Franck Bedrossian und Stefano Gervasoni dreistündige Vorträge in Form von Komponistenportraits. Georges Aperghis hielt einen Workshop in kleineren Teilnehmergruppen und stellte sein neues Theaterprojekt Thinking things vor, das das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine in den Vordergrund stellt. Darüber hinaus gaben fünf Musiker_innen des Ensemble intercontemporain (Flöte, Fagott, Horn, Violine, Cello) jeweils 90-minütige Gruppenkurse über verschiedene Spieltechniken auf ihrem Instrument bzw. ihr zeitgenössisches Repertoire.

Jede_r aktive Teilnehmer_in der Kategorie dirigiertes Ensemble hatte in den ersten Tagen jeweils eine Einzelbesprechung mit dem letztjährigen Hauptbetreuer Marko Nikodijevic (55 Min.), dem Dirigenten des Ensembles Julien Leroy (30 Min.) und zwei bis drei Musiker_innen des Ensembles nach Wunsch (40 Min.). Eventuelle Fragen an alle anderen Instrumentalist_innen wurden durch das sogenannte “speed dating” ermöglicht. Mit Nikodijevic wurde noch eine Einzelbesprechung in der zweiten Woche der Academy vorgesehen, wo die Teilnehmer_innen ankündigen sollten, wie sie das neue Stück bearbeiten und fortsetzen werden.
In der zweiten Woche wurde das Themenspektrum etwa durch ausführliche Vorträge von Thierry de Mey (Musik und Bewegung/Tanz/Film, Notation von Gesten) und mehrere kleine Workshops (spatialization, voice transformation) erweitert.

Wohl die attraktivsten Gäste Helmut Lachenmann und Rebecca Saunders hielten etwas kürzere Vorträge: Lachenmann sprach in seinem zweistündigen Vortrag generell über seinen Zugang zur Musik, über Darmstadt, Luigi Nono und die heutige Situation für Komponist_innen, während sich Saunders in 60 Minuten auf die Entstehung und Analyse ihres Werkes Skin für Sopran und Ensemble fokussierte.

In der Regel fanden alle Lehrveranstaltungen am IRCAM täglich zwischen 10 – 13 Uhr und 14.30 – 17.30 Uhr statt, manchmal etwas kürzer. Abends verblieb genügend Zeit für Konzerte und andere Veranstaltungen im Rahmen des Festivals, von denen viele kostenlos waren. Außerdem konnte man IRCAMs Multimedia Library benutzen, wo viele Partituren, CDs und Bücher aus den letzten Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Für die Bearbeitung eigener Skizzen verblieb zwar nicht viel Zeit, aber die Fertigstellung wurde auch nicht erwartet.

Am letzten Tag der Academy wurden die Teilnehmer_innen in einer Nachbesprechung mit dem Leiter des IRCAM Frank Madlener und der Hauptkoordinatorin Natacha Moënne-Loccoz gefragt, ihre Meinung zu äußern und Verbesserungsvorschläge für die Zukunft zu machen. Meiner Meinung nach brachte die hohe Anzahl der Teilnehmer_innen bestimmte Vor- und Nachteile, die ich im Folgenden zu rekapitulieren versuche:
Positive Aspekte der Academy 2018
- Vielfältigkeit der Programmgestaltung (Konferenzen, Vorträge, Workshops, Einzelstunden, Proben und Konzerte)
- breites Spektrum von Themen und Vortragenden
- Möglichkeit direkter Zusammenarbeit mit den Musiker_innen des Ensembles intercontemporain
- Auseinandersetzung mit vielen jungen Komponist_innen und Künstler_innen aus der ganzen Welt
- freundliches und hilfsbereites Team
Negative Aspekte der Academy 2018
- die Vortragsthemen waren erst kurz vor dem Beginn der Academy und die voraussichtliche Dauer der endgültigen Komposition erst mit der Auswahl der sechs Komponisten am Ende der Academy bekannt
- “speed-dating” mit sämtlichen Instrumentengruppen des Ensembles war zu kurz und ineffektiv
- unausgewogene Verteilung der Vortragsthemen (für die Kategorie dirigiertes Ensemble wurde zu viel Akzent auf die technischen Aspekte bzw. Praktikabilität im Verhältnis zur rein musikalischen Analyse gelegt)
- unerwünschte Kollisionen (z.B. Einzelstunden, die zum Teil gleichzeitig mit Kompositionsvorträgen stattfanden)

Das Festival und die Academy endeten offiziell mit dem Abschlusskonzert am 30. Juni 2018. Im Kulturzentrum Centquatre spielte das Ensemble intercontemporain unter Leitung von Beat Furrer Werke von E. Varese, M. Jarrell, H. Lachenmann sowie Furrers eigenes Werk. Nach dem Konzert lud das ManiFeste-Team alle Teilnehmer_innen zum Buffet ein, wo sich die Unterhaltung bei guter Stimmung fortsetzte.

Ohne Zweifel bleibt auch für die kommenden Generationen die ManiFeste Academy durch ihre Vielfältigkeit und Kooperation mit international reputierten Musiker_innen des Ensemble intercontemporain (Kategorie Ensemble/Kammermusik) bzw. des Orchestre philharmonique de Radio France (Kategorie Orchester) eine attraktive Gelegenheit. Voraussichtlich im Herbst 2019 können sich Kandidat_innen wieder via Ulysses-Plattform für ManiFeste 2019 bewerben.