Gerlinde Haid (1943-2012)
Geboren am 19. 4. 1943 in Bad Aussee, Steiermark. Volksschule in Bad Aussee, Gymnasium an der Bundeserziehungsanstalt Schloß Traunsee in Altmünster, Matura 1961. Studium aus Musikerziehung und Germanistik in Wien (Lehramt 1965), dann aus Volkskunde und Musikwissenschaft (Doktorat 1974). Assistentin am Institut für Volksmusikforschung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (Leitung: O:HProf. Walter Deutsch); 1975 - 1989 Generalsekretärin am Österreichischen Volksliedwerk. Ab 1989 Hochschulassistentin am Institut für musikalische Volkskunde in Innsbruck (Leitung: o.HProf. Dr. Josef Sulz), 1994 Ruf nach Wien an die Lehrkanzel für Geschichte und Theorie der Volksmusik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien; Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie. Hauptsächliches Forschungsgebiet: Volksmusik der Alpen. Neben zahlreichen Publikationen Herausgeberin der Reihe „Schriften zur Volksmusik“.
► Nachruf des Instituts Gerlinde Haid
Aus der Abschiedsrede von Gerlinde Haid anlässlich ihrer Emeritierung 2011:
„Meistens bin ich ja mit der Westbahn gefahren und hab mir Platzerln gesucht, wo ich ungestört arbeiten konnte. Einmal, als ich mit der Südbahn unterwegs war, hat mich eine mir gegenüber sitzenden Kärntnerin ins Gespräch gezogen, das heißt, sie hat mich aufmerksam gemacht auf den schönen Sonnenuntergang am Semmering, und dann sprachen wir irgendwie von den Klängen unserer Kindheit, vom Tuckern des Traktors, mit dem ihr Vater immer nach Hause kam, vom Klappern des Besteckes in der Küche, mit dem meine Mutter hantierte, während ich noch im oberen Stock im Bett lag. Und ich fragte sie natürlich, ob sie slowenisch könne. Sie könne nicht, sagte sie, aber ihre Mutter. Ob es ihr nie ein Anliegen gewesen sei, das zu lernen? Nein, eigentlich nicht, es war eben die Sprache der Eltern und Großeltern. Und ob die Mutter slowenisch singen könne? Da erzählte sie mir, dass sie einmal, wie sie mit ihrer Mutter im Wald Schwammerl suchen war, hörte, wie die Mutter ein slowenisches Lied sang. Ja ob sie nicht das wenigstens lernen oder aufschreiben hätte wollen, fragte ich sie. Und da sagte sie mir etwas sehr Schönes. Es sei für sie gewesen wie eine Muschel, die aufgeht, und eine Perle zeigt, und dann geht sie wieder zu. Mir ist diese Geschichte, die schon viele Jahre her ist, aus dem Mund einer Frau, die ich nie wieder getroffen habe, immer wieder eingefallen. Es gibt den Forscherdrang, der Alles wissen und dokumentieren möchte – ein Drang, der mich ein Leben lang begleitet hat. Es gibt das Feuer der Vermittlung, wo man Alles anderen erklären und an andere weitergeben möchte – auch das hat mich, die ich aus einer Lehrerfamilie stamme, mein ganzes Leben bewegt.
Aber es gibt eben auch das: Etwas das aufgeht und wieder zugeht und einfach so stehen bleibt.“