Bosnische Musik in Österreich
von Ursula Hemetek
Im Minderheitenschwerpunkt wurden immer wieder Themen von politischer Brisanz aufgegriffen, so auch in diesem Fall. Ab 1992 suchten etwa 100 000 Menschen aus Bosnien Zuflucht in Österreich aufgrund des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien. Durch den Kontakt mit Sofija Bajrektarević, einer nach Österreich geflüchteten bosnischen Ethnomusikologin, entstand die Idee, sich mit den musikalischen Aktivitäten der Geflüchteten auseinanderzusetzen. Es wurden zwei Drittmittelprojekte eingereicht und auch bewilligt:
1996-1997: Lebenszeichen einer bedrohten Kultur (Bosnier in Österreich), Forschungsprojekt Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, Projektmitarbeiterin: Sofija Bajrektarević
1998-2000: Bosnische Musik, Forschungsprojekt Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, Projektmitarbeiterin: Sofija Bajrektarević
Das erste Projekt trug den Zusatztitel: „Integrative und trennende Tendenzen in der Wahrnehmung von Kultur und Identität am Beispiel der Musik bosnischer Gemeinschaften in Wien - bosnische Kroaten, Serben und Bosniaken“. Dabei wurde mit Hilfe ethnomusikologischer Methoden eine besondere Form der bosnischen traditionellen städtischen Musik „Sevdalinka“ erforscht. Sevdalinke waren im Leben der bosnischen Geflüchteten in Österreich sehr wichtig, weil sie einen musikalischen Bezug zum Herkunftsland herstellten und sozusagen das Gefühl von „Heimat“ auf der musikalischen Ebene evozierten. Diese Liedgattung war in allen ethnischen Gruppen in Bosnien vor dem Krieg identitätstragend, stellte also ein integratives Element dar.
Im Zentrum beider Forschungsprojekte standen musikalisch tätige Geflüchtete, im ersten Projekt vor allem aus dem Raum Wien, im zweiten aus ganz Österreich. Die wichtigsten Forschungspartner beider Projekte waren der Sevdalinka-Sänger Ševko Pekmezović und der Saz-Spieler Himzo Tulić. Dazu kamen weitere ProtagonistInnen wie Siniša Štork und Sadija und Hašim Sadiković.
Die Feldforschungsaufnahmen sind äußerst zahlreich. So konnten aus dem Repertoire von Ševko Pekmezović etwa 300 Sevdalinke dokumentiert werden und viele weitere musikalische Aktivitäten aus der bosnischen Community. Es liegen zwei Institutspublikationen aus diesen Forschungsprojekten vor, ein ausführlicher Projektbericht in Buchform (klanglese 1) und eine CD mit umfangreichem Beiheft (Tondokumente). Weiters wurden 2 Diplomarbeiten zum Thema verfasst (von Željka Kamhi 2001 und Belinda Rešidbegović 2002). Die Präsentation eines zweisprachigen Bühnenprogramms mit Sevdalinke und literarischen Texten in deutsch und bosnisch fand im Dezember 1995 erstmalig statt und wurde in der Folge in verschiedenen Zusammenhängen erfolgreich präsentiert. Diese Aktivität – applied ethnomusicology - war auf Anregung und unter Mitwirkung der ForschungspartnerInnen entstanden.