Wiener Oboe

So wie beim Wiener Horn, ist die "Wiener Oboe" fast nur mehr in Wiener Orchestern zu hören - weltweit wird die "Französischen Oboe" gespielt.

Es existiert eine direkte Linie von der Barockoboe über die Oboen zur Zeit der Wiener Klassik (Mozart, Hayden) und einigen Modifikationen, die zwischen 1850 und 1880 in Deutschland durchgeführt wurden bis hin zur sogenannten "Wiener Oboe".Historische Anmerkung: Die Wiener Oboe ist im wesentlichen eine modifizierte altdeutsche Oboe! Als Richard Baumgärtel (Oboist der Dresdner Hofkapelle) 1880 in Wien das Probespiel gewann und Solo-Oboist an der Wiener Hofoper wurde, waren alle ausnahmslos von dem Klang seines Instrumentes begeistert. Er spielte auf einem Instrument des Dresdner Instrumentenmachers Carl Golde. Allerdings gab es Stimmungsprobleme, da das Instrument entsprechend des in Dresden gebräuchlichen Stimmtones für die Wiener Verhältnisse viel zu hoch war. Da Carl Golde aber 1873 verstorben war und keinen Nachfolger hatte, baute der Wiener Instrumentenmacher Josef Hajek (1849-1926) dieses Instrument unter Anbringung verschiedener Modifikationen und in einer für die Wiener Hofoper geeigneten Stimmung, nach. Diese Kopie war das erste Exemplar der Wiener Oboe!

Vergleich dreier Oboentypen von links nach rechts: Wiener Oboe (20.Jh), Modell des 19. Jahrhunderts, Modell einer klassischen Wiener Oboe, Modell einer französischen Oboe.

Wir versuchten, diesen Klangunterschied mit naturwissenschaftlichen Begriffen zu definieren. Die dazu notwendigen Tonaufnahmen wurden von Berufsmusikern im schalltoten Raum des Institutes gemacht; für diese mühevolle Arbeit sind wir allen zu herzlichstem Dank verpflichtet.

1. Das Vibrato

Vergleicht man den Klang Wiener und Französischer Oboen, so wird zunächst das Vibrato auffallen, das bei der Wiener Oboe sparsam und bei allen anderen fast durchgehend verwendet wird. Da das Vibrato auf dem Wiener Instrument jedoch ebenso gut ausführbar ist wie auf dem Französischen, stellt es ein Merkmal des jeweiligen Bläserstils dar, nicht eines des Instruments.

2. Registerwechsel - "Lange Töne"

Fragt man Oboisten nach dem Unterschied zwischen den verschiedenen Instrumententypen, so wird meist gleich die Tatsache erwähnt, daß das Überblasverhalten bei einigen (hohen) Tönen verschieden ist. Während der Spieler der französischen Oboe bei diesen den größten Teil der Tonlöcher offen läßt, benützt der Wiener Oboist für den gleichen Ton eine Griffkombination, bei der wesentlich mehr Tonlöcher geschlossen sind - ein und derselbe Ton wird daher einmal mit einer "kurzen" und im anderen Fall mit einer "langen" Luftsäule realisiert. So beginnt z.B. das zweite Überblasen bei der Wiener Oboe schon drei Halbtöne früher, nämlich bei b2.

Das führt dazu, daß etwa das Oboensolo am Beginn der Arie des Florestan in Beethoven`s Fidelio auf der Wiener Oboe einen Registerwechsel erfordert, auf der Französischen Oboe jedoch nicht.

Wie die beiden folgenden Abbildungen zeigen, ist das in den Teiltonbildern (das sind die beiden jeweils unteren Bilder) aber nicht zu erkennen (die Töne folgen von vorne nach hinten auf einander): beim Übergang vom ersten auf den zweiten Ton ist zwischen den Abbildungen kaum ein Unterschied.

Das ist auch nicht verwunderlich, denn der Registerwechsel ist (zumindest bei einem guten Musiker) auch nicht zu hören - schließlich soll bei diesem Solo nicht ein Registerwechsel demonstriert werden, sondern "der Himmel aufgehen".

Aus diesen (und anderen ähnlichen Fällen) schließen wir, daß der Registerwechsel zur klanglichen Unterscheidung zwischen Wiener und Französischer Oboen höchstens unwesentlich beiträgt.

3. Teiltonaufbau versus Vibrato

Allerdings kann man aus den Abbildungen sehr wohl Unterschiede sehen: Betrachtet man die über den oberen Rand des jeweils unteren Bildes hervorstehenden Spitzen (sie gehören zum Ton c3), so sieht man, daß die Teiltöne von links nach rechts bei der Wiener Oboe nur wenig abnehmen (und das setzt sich auch noch weiter nach rechts fort), ganz im Gegenteil zum Französischen Instrument, wo nach den ersten vier Teiltönen ein Abbruch erfolgt.

Französische Oboe

Wiener Oboe

In der oberen Bildhälfte (RMS - Schallpegelverlauf über die Zeit) ist auch das Französische Vibrato (besonders im rechten Viertel) deutlich zu erkennen. Man sieht daraus, daß die an dieser Stelle komponierte (und in beiden Fällen deutlich hörbare) Steigerung durch verschiedene Mittel bewirkt wird: in beiden Fällen ist es nicht die zunehmende Lautstärke, wie man aus den jeweils oberen Bildern sieht (bei der Wiener Oboe nimmt sie sogar wieder ab); beim Französischen Instrument ist es das verstärkte Vibrato, und beim Wiener die Stärke der höheren Teiltöne.

4. Die Klangfarbe

Bei Klanguntersuchungen liegt es nahe, den Klangunterschied durch das Auftreten oder Fehlen bestimmter Formanten zu erklären (Frequenzbereiche, in denen die Teiltöne deutlich stärker als in den benachbarten Bereichen auftreten, werden Formanten genannt, wenn sie immer bei denselben Frequenzen auftreten, unabhängig von der Frequenz des jeweiligen Grundtones).

Allerdings stellte sich im Laufe unserer Arbeit heraus, daß der Formantbegriff - so nützlich er in anderem Zusammenhang sein mag - zur Erklärung des Unterschiedes zwischen Wiener und Französischer Oboe nichts beiträgt.

Nun wurde schon bei der Besprechung des Spitzentones der Florestan-Arie darauf hingewiesen, daß sich zumindest dort der Teiltonaufbau der beiden Instrumententypen unterscheidet. Eine systematische Untersuchung, bei der u. a. besonders darauf geachtet wurde, nur gleich laute Töne mit einander zu vergleichen, lieferte schließlich ein signifikantes Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Instrumententypen. Als Beispiel diene die folgende Abbildung, in der der Teiltonaufbau des Klanges e' (mezzoforte) dargestellt ist.

Deutlich sieht man in dieser Abbildung den langsamen Abfall der Teiltonspitzen (von links nach rechts) in den vier oberen Spektren, die von Wiener Oboen stammen, im Vergleich zu den beiden unteren, französischen Spektren.

Der Abfall der Teiltöne kann durch die Steigung (k) der Regressionsgeraden repräsentiert werden, die in die Abbildung eingetragen ist. Man sieht, daß diese Steigung für die Wiener Instrumente zwischen -5.79 und -7.45 liegt, für die Französischen Instrumente aber -12.27 und -14.22 beträgt.

Die nächste Abbildung zeigt nun den Absolutwert der Steigung der Regressionsgeraden für alle detailliert untersuchten Töne und Lautstärken, das sind e', a', d", g" und c'" in piano, mezzoforte und forte.

Aus der Graphik oben ist folgendes zu erkennen:

  • Die Werte der französischen Oboen liegen immer über denen der Wiener Oboen. Das bedeutet, daß der Teiltonabfall der Französischen Oboen immer schneller erfolgt und die Klänge damit grundtöniger sind
  • Bei niedrigen Lautstärken und tieferen Tönen wird der Unterschied größer; die Französischen Instrumente werden also noch grundtöniger
  • Bei den Wiener Instrumenten ist, zumindest in den beiden unteren Registern, die Steigung von der Lautstärke unabhängig, die Klangfarbe ändert sich also von piano bis forte nur wenig.


Da somit der Klangschwerpunkt bei der Wiener Oboe zu höheren Teiltönen verschoben ist, wird sie sich im Orchester leichter durchsetzen - bei gleicher ausgestrahlter Klangenergie klingt sie lauter. Daher kann sie unter sonst gleichen Umständen (physikalisch) leiser gespielt werden, was zur Durchsichtigkeit des Orchsterklanges beiträgt.

Dieser Befund paßt zu einem Teilergebnis unserer Arbeit über den Klangunterschied zwischen Wiener Horn und Doppelhorn, in dem gezeigt wurde, daß auch beim Wiener Horn der Teiltonabfall deutlich flacher als beim Doppelhorn ist.

Daraus wird klar, daß gerade die besten Wiener Orchester die Wiener Oboe (ebenso wie das Wiener Horn) einsetzen, weil diese Instrumente wesentlich zum speziellen Wiener Orchesterklang beitragen.