Im Sommer 2016 ist die Bibliothek der mdw nach 103 Jahren in der Lothringerstraße an ihren neuen Standort auf dem Campus der Universität übersiedelt. Michael Staudinger, Leiter der Bibliothek, spricht im Interview über die Logistik eines solchen Umzugs, die Vorteile der neuen Bibliothek für NutzerInnen, die Zukunft von Bibliotheken und seine Lieblingsbücher.
Was muss beim Umzug von 160.000 Werken − von zum Teil unwiederbringlichem Wert − besonders beachtet werden?
Eigentlich ist es nicht viel anders, als wenn man die eigene Bibliothek von einer Wohnung in eine andere übersiedelt. Es sind einfach nur viel mehr Bücher und in unserem Fall auch Noten. Wir haben natürlich auch alte Bücher in unserem Bestand, aber diese müssen bei einem Umzug nicht zwingend besonders behandelt werden – es ist generell immer abhängig davon, wie der Zustand des Buches ist. Wenn Bindung und Papier gut sind, dann sind ältere Bücher robuster als Bücher, die später hergestellt wurden und bei denen stark holzhaltiges Papier verwendet wurde.
Im Gegensatz zum Privatumzug spielt es bei uns jedoch eine Rolle, dass die Ordnung auf keinen Fall durcheinandergewirbelt werden darf. Ein Buch, das am falschen Ort steht, ist im Prinzip verloren, außer man findet es zufällig wieder. Darüber hinaus haben wir auch den Freihandbereich unserer über 100 Jahre alten Bibliothek an die Bedürfnisse von heute angepasst und eine neue Aufstellungssystematik installiert. Außerdem haben wir zahlreiche Notenbände aus den bisherigen Magazinen in den neuen Freihandbereich transferiert.
Wie sieht der neue Freihandbereich aus?
Wir hatten am alten Standort etwas mehr als 15.000 Notenbände im Freihandbereich stehen, am neuen Standort starten wir mit mehr als 30.000 Bänden, die selbst aus dem Regal genommen und entlehnt werden können. Insgesamt hat der neue Bereich eine Kapazität für 60.000 bis 70.000 Bände und wird in den nächsten Jahren weiter wachsen. Die neue Aufstellungssystematik erleichtert außerdem das Auffinden der Werke.
Was ist neu an der Systematik?
Ich erkläre es am besten anhand des Bereichs „Kammermusik“, den wir nun „Bestand für kleine Ensembles“ nennen. In diesem Bereich war alles von Duos bis Nonetten kunterbunt gemischt. Wenn also jemand zum Beispiel Streichquartette von Mozart haben wollte, mussten mehrere Regalmeter durchsucht werden, um das Gewünschte zu finden. Das ist ein wenig so, als ob man in ein Schuhlager geschickt wird, um rote Schuhe zu suchen – da gibt es dann tausende Schuhkartons und irgendwo darunter sind auch die roten Schuhe. Am neuen Standort haben wir die Aufstellung deutlich verfeinert und ergänzt: Das Mozart’sche Streichquartett ist nun in der Abteilung „Streichquartette“ unter „Mozart“ zu finden. Außerdem ist die Auswahl an Literatur für einzelne Instrumente nun viel größer und vielfältiger als die bisher gewohnten Studienwerke im Freihandbereich. So gibt es dort nun auch unterschiedlichste sonstige Literatur für das jeweilige Instrument.
Was sind die Vorteile für NutzerInnen?
An unserer Bibliothek wird generell sehr intensiv nach Noten gefragt, denn das Angebot an Notenliteratur im Internet ist klein. Außerdem muss man die im Internet gefundenen Noten ausdrucken und wenn man sie dann auf den Notenständer legt, hat man eine Menge loser Blätter, deren Schriftgröße eventuell nicht passt und dergleichen. Gedruckte Noten sind also nach wie vor eine wichtige Grundlage, um danach zu musizieren. Da wir eine große Menge davon zur Verfügung stellen wollen, brauchte es eben eine Unterteilung in kleinere Häppchen, um schnelle Auffindbarkeit zu ermöglichen.
Wie wichtig ist eine Bibliothek generell noch in der digitalen Welt?
Die digitale Welt betrifft manche Bibliotheken sehr massiv und andere weniger. Naturwissenschaftlich orientierte Bibliotheken stellen beispielsweise bereits einen guten Teil ihrer Literatur in elektronischer Form zur Verfügung. In anderer Weise betrifft die digitale Welt etwa die Österreichische Nationalbibliothek, weil sie einen Sammelauftrag hat und auch digitale Objekte sammeln muss – darunter Abzüge verschiedener österreichischer Websites.
Generell denke ich, dass Bibliotheken immer wichtig bleiben werden und es wird sie auch immer geben. Möglicherweise kann man vieles von dem, was heute eine Bibliothek an Informationsversorgung leistet, irgendwann auch von zu Hause aus machen, aber ich bin mir trotzdem sicher, dass es diesen Ort noch lange geben wird. Eine Bibliothek ist ein Ort, der einem kein Verhalten auferlegt – in eine Bibliothek kann jeder gehen, der die Vorzüge gut sortierter Literatur nutzen will, der sich fachkundig beraten lassen will, der lernen will, der die Zeitung lesen will und auch jeder, der sich einfach nur an einen freien Platz setzen und in die Luft schauen will. Niemand muss Rechenschaft darüber ablegen, warum er sich dort aufhält. Als solche Orte wird es Bibliotheken meiner Meinung nach immer geben und ich glaube, dass die Qualität dieses Ortes in Zukunft noch an mehr Bedeutung gewinnt.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage − lesen Sie selbst gerne?
Ich lese sogar sehr gerne, aber da ich drei kleine Kinder habe, komme ich im Moment wenig dazu. Mit meinen Kindern lese ich jedoch sehr viele Kinderbücher.
Welche Literatur mögen Sie und welche Bücher gefallen Ihren Kindern?
Ich lese sehr gerne russische Literatur des 19. Jahrhunderts und auch aus der Zeit der ehemaligen Sowjetunion. Dazu zählen zum Beispiel Leo Tolstoj, Fjodor M. Dostojewskij, Michail Bulgakow und Wassili Schukschin, der Kurzgeschichten über den sowjetischen Alltag verfasste. Mit meinen Kindern habe ich kürzlich Die unendliche Geschichte von Michael Ende gelesen, ein Buch, das auch ich als Kind sehr gern mochte. Selbst wenn sie es noch nicht ganz verstanden haben, haben die Geschichten ihnen doch gut gefallen. Außerdem haben wir zusammen die Bücher von Astrid Lindgren, etwa Pippi Langstrumpf, Michel von Lönneberga und Wir Kinder aus Bullerbü gelesen. Wir sind seit einiger Zeit dabei, an der mdw- Bibliothek einen Bestand an Kindermusikbüchern aufzubauen, der dann auch im neuen Freihandbereich zugänglich sein soll. Ziel ist es, zukünftig eine reiche Auswahl an Literatur zur Verfügung zu haben, aus der einerseits die Studierenden der Musikpädagogik für elementares Musizieren schöpfen können, die sich andererseits aber auch an Eltern wendet, die ihre Kinder mit Musik beschäftigen möchten.
Die neue Universitätsbibliothek der mdw