Volkstheater-Chefdramaturgin Heike Müller-Merten und Dramaturgie-Lehrender Peter Roessler im Gespräch mit dem mdw-Magazin

Am Max Reinhardt Seminar gehört die Dramaturgie zu den zentralen künstlerischen Fächern für Regiestudierende – warum ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Heike Müller-Merten (HMM): Weil ich denke, dass Dramaturgie − die Lehre vom Aufbau von Texten, die Aufbereitung von Stoffen, die Struktur von Literatur −
etwas über eine Weltsicht erzählt, die vertreten wird und die die/der AutorIn vorlegt. Es ist meiner Ansicht nach ein zentraler Punkt für RegisseurInnen mit ihren Inszenierungen Welt auf die Bühne zu bringen, Welt abzubilden. Die Kenntnis der Denkkonstruktionen, in denen sich die/der AutorIn befunden hat, ist daher für RegisseurInnen wichtig, um sich dem zuordnen, es auch konterkarieren, ergänzen, ersetzen und unterlaufen zu können. Darüber hinaus ist Dramaturgie etwas unmittelbar Zeitbezogenes, sie hat sich zu bestimmten Zeiten oder eigentlich nahezu immer auch zur Gesellschaft verhalten – oft auch im Widerspruch.

Peter Roessler (PR): Für das Regiestudium sind die Analyse von Texten, das Erarbeiten einer persönlichen Haltung sowie das Verständnis des Zusammenhangs mit gesellschaftlichen Prozessen wichtig. In diesem anspruchsvollen Sinn hat Dramaturgie ihre Bedeutung und die Studierenden werden dazu befähigt, ihre eigenen DramaturgInnen zu sein. Sie erlernen ein entsprechendes Instrumentarium und entwickeln darüber hinaus sogar ihre Schreibfähigkeit auf szenischem und theoretischem Gebiet. Konsequenz und Weite der Dramaturgie können die szenische Phantasie befördern. Erwähnt sei auch, dass zahlreiche AbsolventInnen als DramaturgInnen tätig sind, sich hier also ein weiteres Berufsfeld ergibt.

Frau Müller-Merten, wie sieht die Zusammenarbeit zwischen RegisseurIn und DramaturgIn in der Praxis meist aus?

Heike Müller-Merten
Heike Müller-Merten ©www.lupispuma.com/Volkstheater

HMM: Ich übe diesen Beruf jetzt 32 Jahre aus – wenn ich nicht ein erfüllendes, ein sehr konstruktives und beförderndes, ergänzendes Verhältnis sehen würde, dann würde ich diese Arbeit nicht so viele Jahre gemacht haben. Das ist der zentrale Punkt des Berufs, weil wir DramaturgInnen nicht inszenieren. Wir ordnen ein Regiekonzept einer Regisseurin/eines Regisseurs, befördern es und haben auch – ich denke sehr starken – Anteil daran, so ein Regiekonzept aufzustellen, es im gemeinsamen Prozess zu erarbeiten. Dann ist es natürlich unsere Aufgabe dieses Regiekonzept während der Arbeit auf seine Belastbarkeit zu untersuchen. Das Verhältnis zwischen Regie und Dramaturgie ist ein eminent wichtiges und zentrales.

Herr Roessler, wie sieht der Dramaturgieunterricht am Max Reinhardt Seminar aus?

PR: Er basiert auf einem Verständnis von Dramaturgie, das offen für unterschiedliche Formen und Inhalte bleibt, aber nicht beliebig wird. Auch ist Beliebtheit nicht das Ziel dramaturgischen Denkens, zu dessen Tugenden für mich der Zweifel gehört. Genannt seien nur einige Dimensionen des Faches, in dem es freilich nicht nur um Theater gehen sollte: Die genaue Lektüre von Stücken, eine Theorie des Dramas und Theaters, die Erkundung historischer Voraussetzungen sowie die Frage nach der aktuellen Nähe und Ferne von Stoffen. Der Bereich, in dem alles zusammenfließt, ist die Zusammenarbeit von Regie und Dramaturgie bei den Produktionen: Von der Konzeption über die Fassung bis zur Probenbegleitung und Aufführungskritik.

Wie wichtig ist es, dass Studierende schon während ihres Studiums an Bühnen Erfahrungen sammeln?

Peter Roessler
Peter Roessler ©Doris Piller

HMM: Ganz wichtig, ich halte sehr viel davon. Das ist die Frage des Kennenlernens der Abläufe am Theater, das Zusammenspiel der KollegInnen und der Abteilungen – Theater ist keine solistische Veranstaltung von SelbstdarstellerInnen, sondern es ist Ensemblearbeit bis in die letzten Verzweigungen eines Theaters hinein. Das zu erleben, sich dort einzupassen, das hat etwas mit sozialer Kompetenz zu tun, die zu erwerben ist. Es hat etwas mit Vertrauensbildung zu tun, mit Respekt. Ich würde immer die enge Zusammenarbeit präferieren und bin sehr froh und dankbar, dass wir so eine gute und trächtige, kompetente Zusammenarbeit mit den Studierenden des Max Reinhardt Seminars haben.

PR: Unabdingbar! Die Studienpläne für Regie- und Schauspielstudierende sehen gemeinsamen Unterricht sowie gemeinsame Szenenarbeit und Produktionen vor. Inszenierungen der Regiestudierenden werden von den Regielehrenden, aber eben auch von der Dramaturgie, professionell betreut, sind öffentlich zugänglich und von höchster Qualität. Hier wird also nicht nur über Theater geredet, sondern auch Theater gemacht. Wertvoll sind zudem die neuen Kooperationen: Es gibt Gastspiele von studentischen Produktionen am Akademietheater und ein Festival am Theater in der Josefstadt. Weit gespannt ist die Zusammenarbeit mit dem Volkstheater: Dort inszenieren Regiestudierende oder -absolventInnen, Schauspielstudierende spielen gemeinsam mit erfahrenen SchauspielerInnen und es wurde das Festival Neues Wiener Volkstheater etabliert, bei dem die DramaturgInnen des Volkstheaters mit Regie und Dramaturgie des Max Reinhardt Seminars zusammenwirken.

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