Die virtuelle Plattform spiel|mach|t|raum ist ein Jubiläums-Projekt der mdw, das Frauen* als historisch stark unterrepräsentiertes Geschlecht in höchsten Kunstausbildungseinrichtungen wie der mdw sichtbarer machen möchte. Die Inhalte der virtuellen Plattform gehen auf eine mdw-Ausstellung gleichen Namens im Jahr 2011 zurück, an der elf Kolleginnen und zwei Kollegen der mdw sowie eine externe Genderforscherin aktiv mitgewirkt haben.
Das aktuelle, nach wie vor große Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in Leitungspositionen im allgemeinen Musikbereich (Kunst- und Popularmusik) ergibt sich nicht zuletzt daraus, welche Personen an den höchsten Ausbildungsstätten für Musik – dies waren die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gegründeten europäischen musikalischen Konservatorien – unterrichteten, denn darunter befanden sich lange Zeit nur sehr wenige weibliche Lehrende. Aus der bürgerlich-strengen ideologischen Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben resultierte, dass (bürgerliche) Frauen, die qua Weltanschauung für das Private zuständig waren beziehungsweise sind, viel stärker als Männer öffentlich reglementiert waren und wurden und daher auch nur selten einem bürgerlich-anerkannten Beruf/Erwerb in der Öffentlichkeit nachgehen konnten. Diese bürgerliche Geschlechtertrennung brachte es mit sich, dass es als selbstverständlich angesehen wurde, dass es nur monogeschlechtliche Klangkörper geben könne. Da die Lehrenden des Konservatoriums aus den angesehensten Orchestern – die wiederum Männerorchester waren – rekrutiert wurden, wurden kaum Musikerinnen als Lehrende am Konservatorium für Musik und darstellende Kunst Wien aufgenommen.
Als Einstimmung auf die vielfältigen, unterschiedlichen Einblicke in 200 Jahre Frauen in Musik*Theater*Film an der mdw, die Interessierte in dieser virtuellen Plattform erwarten, werden im Folgenden die ersten weiblichen Lehrenden in verschiedenen Fächern und Disziplinen der mdw thematisiert.
Die mdw, eine der größten Musiklehranstalten Europas und eine der ältesten im deutschsprachigen Raum, blickt auf ihre Gründung im Jahr 1817 als Singschule mit 24 SchülerInnen – 12 Knaben und 12 Mädchen – unter der Leitung Antonio Salieris zurück. Die heutige Universität begann also als eine Schule, in der beide Geschlechter zu gleichen Teilen vertreten waren und in der kurz danach die erste weibliche Lehrkraft, Anna Fröhlich für Gesang, aufgenommen wurde. Es dauerte allerdings fast 80 Jahre, bis eine weibliche Lehrkraft, Terese Zamara im Jahr 1898, für ein Orchesterinstrument (Harfe, allerdings nur als Nebenfach), und 132 Jahre, bis mit Edith Steinbauer eine weibliche Lehrende für den Hauptfachunterricht in einem Orchesterinstrument engagiert wurde. Sogar im Bereich Schauspiel herrschte bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ein starkes Ungleichgewicht zwischen den vielen Schülerinnen und wenigen Lehrerinnen, und gerade im Fach Klavier – das seit Anbeginn von weit mehr Schülerinnen als Schülern belegt wurde – fällt der niedrige Anteil an weiblichen Lehrkräften besonders auf. Diese Tendenz setzt sich sogar bis in die heutige Zeit ungebrochen fort, so findet sich am Institut für Konzertfach Klavier der mdw im Jahr 2016 bei einem Studierendenverhältnis von 66 % Studentinnen zu 34 % Studenten unter den 13 Hauptfach-ProfessorInnen eine einzige weibliche Lehrkraft. Anders verhielt beziehungsweise verhält es sich lediglich in den „klassischen Frauenfächern“ Tanz (ein Fach, das bis 1978 an der mdw unterrichtet wurde) und Rhythmische Erziehung.
Erst 1910 überstieg der Prozentsatz der weiblichen Lehrenden an der mdw die 10-Prozent-Marke (bei einem Schülerinnen-Anteil von 53%), 1920 erstmals die 20-Prozent-Marke, 1972 die 30-Prozent- und erst 2008 die 40-Prozent-Marke. Auch wenn sich das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Lehrkräften in der 200-jährigen Geschichte der mdw immer weiter angenähert hat, dominierten im Jahr 2015 nach wie vor die männlichen Lehrkräfte mit 59 % im Verhältnis zu 41% weiblichen Lehrkräften, obwohl zum selben Zeitpunkt 54% der Studierenden weiblich und 46% männlich waren. Und auch diese Zahl spiegelt nicht die ganze Wirklichkeit wider, denn gerade bei den prestigeträchtigen Professuren überwiegen die Männer bei Weitem, während Frauen mehrheitlich in weniger angesehenen und schlechter bezahlten Beschäftigungsverhältnissen (und vielfach im Nebenfach) zu finden sind. So hatten Frauen 2015 nur 26% der ordentlichen beziehungsweise der Universitäts-Professuren der mdw inne.
Dabei war die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien eng mit dem Einsatz einer Frau verbunden: Fanny von Arnstein. Der Jahresbericht des Konservatoriums 1860 erwähnt unter dem Titel Zur Chronik des Konservatoriums die 1811 gegründete Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen und hebt die Rolle Fanny von Arnsteins als Initiatorin eines Konzerts hervor, bei dem die Gründung eines Musikvereins angeregt wurde, das 1812 zur Entstehung der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates und in der Folge zur Errichtung der dazugehörigen Singschule beziehungsweise des Konservatoriums führte.
Nach der Erstanstellung von Anna Fröhlich als Gesangslehrerin im Jahr 1819 finden sich bis 1895 weibliche Lehrende beinahe ausschließlich im Bereich des Gesangs, und sogar hier befanden sie sich – im Vergleich zur Anzahl der Schülerinnen – weit in der Unterzahl. Im Bereich des Schauspielunterrichtes fällt die Diskrepanz zwischen der hohen Anzahl an Schülerinnen und der niedrigen Anzahl an weiblichen Lehrenden sogar noch stärker auf: Unter allen Lehrenden im Bereich des Schauspielunterrichtes bis zur Verstaatlichung 1909, gab es 27 Männer und lediglich eine Frau – Eugenie Petrasch-Wohlmuth.
Die Anfänge des Klavierunterrichts am Konservatorium in Wien gehen auf das Jahr 1833 zurück, der Unterricht wurde damals allerdings nur als Nebenfach in einem Jahrgang mit einem einzigen Lehrer angeboten. 1856 kam ein zweiter Lehrer hinzu, damit stieg der Prozentsatz der KlavierschülerInnen am Konservatorium schlagartig von weniger als 10 % auf mehr als 20% der Gesamtstudierenden an, im Studienjahr 1870 überschritt die Anzahl der KlavierschülerInnen erstmals die 50-Prozent-Marke und erreichte ihren Höhepunkt um 1880. Bis 1893 machten sie noch immer mehr als die Hälfte der SchülerInnen am Konservatorium aus. Es drängt sich hier die Vermutung auf, dass die hohe Anzahl an Klavierschülerinnen in erster Linie das Budget des permanent unter Geldnöten leidenden privat geführten Konservatoriums aufzubessern hatte. Diese sehr gut ausgebildeten Musikerinnen erwartete nämlich ein freier Musikmarkt, der ihre Musikdarbietungen im Vergleich zu denen von Musikern mit einem viel geringeren Honorar entlohnte. Eine Statistik aus dem Studienjahr 1895/96 zeigt 7% Schüler und 93% Schülerinnen, zu diesem Zeitpunkt gab es noch immer keine einzige weibliche Lehrkraft für das Hauptfach Klavier. Auch die 1902 eingeführte Meisterklasse für Klavier wurde überwiegend von Frauen frequentiert und auch abgeschlossen. Damit lässt sich das vorgeschobene Argument, es hätte keine qualifizierten Pianistinnen gegeben, leicht entkräften. Die Pianistin Friederike Singer wurde 1889 als erste Lehrerin für Klavier – und damit als erste Lehrerin für ein Instrument – an der mdw aufgenommen, dabei waren zu diesem Zeitpunkt über 90% der KlavierschülerInnen weiblich.
Das klassische „Frauen-Instrument“ im Orchesterbereich ist die Harfe. Sogar die Wiener Philharmoniker, die erst 1997 Musikerinnen die Aufnahme in den Verein Wiener Philharmoniker gestatteten, ließen die Harfe bei ihren Konzertauftritten davor von einer Frau – wohl mangels eines gleichwertigen männlichen Harfenisten – spielen. Terese Zamara trat bereits früh als Harfenvirtuosin öffentlich auf und wurde 1898 mit der Unterrichtserteilung betraut. Damit war sie die erste Lehrerin für ein Orchesterinstrument am Wiener Konservatorium.
Im Jahresbericht der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Wien für das Schuljahr 1937/38 sind die dem Einmarsch Hitlers folgenden Ereignisse am Haus festgehalten. Bereits am 15. März wurde der neue Kommissarische Leiter Alfred Orel begrüßt. Am selben Tag erfolgte die Beurlaubung von neun Lehrkräften, darunter die Tänzerin Gertrud Bodenwieser und die Pianistin Erna Kremer. Sie konnten, so die damalige Diktion, „den Eid auf Adolf Hitler aus rassischen Gründen nicht ablegen“ (Heller 1992, 58, dort auch eine detaillierte Darstellung der „Gleichschaltung“). Erna Kremer, eine 1896 geborene Pianistin, wurde 1942 nach Maly Trostinec deportiert und ermordet. Gertrud Bodenwieser, geboren 1890, war Tänzerin, Choreografin, Tanzlehrerin und Pionierin des Ausdruckstanzes und wurde 1920 als erste Frau für „Mimik und Tanz“ an die mdw berufen. Sie konnte nach Kolumbien und anschließend nach Australien fliehen. Lynne Heller spricht von 26% der Lehrkräfte, die aus „rassischen Gründen“ entlassen wurden. (Heller 1992)
Erstmals im Jahr 1951 wurde an der mdw eine weibliche Lehrkraft, Edith Steinbauer, die selbst am Haus Studentin gewesen war, mit dem Hauptfachunterricht für ein klassisches Orchesterinstrument betraut, und zwar für Violine. Dabei hatten die ersten Studentinnen bereits 1864/65 am Konservatorium Violine belegt, und vor allem die 1909 gegründete Meisterschule für Violine verzeichnete – ähnlich wie die Meisterklasse für Klavier – stets einen hohen Prozentsatz an Schülerinnen. Am Max Reinhardt Seminar waren Susi Nicoletti im Jahr 1977 und an der Filmakademie Wien Hannelore Götzinger 1983 die ersten weiblichen Lehrenden in einem künstlerischen Fach, die im Rang einer Professorin unterrichteten.
Die Gründung von wissenschaftlichen Instituten ab den 1960er Jahren – darunter für Musiksoziologie, Volksmusikforschung, Musikanalyse, Kulturmanagement – führte zu einem neuen Lehrveranstaltungstypus, dem wissenschaftlichen Seminar. Die erste (weibliche) Professorin im wissenschaftlichen Bereich wurde 1986 (Musiksoziologie, Irmgard Bontinck) ernannt, in den 1990er Jahren folgten zwei weitere Professorinnen für Musikanalyse (Marie-Agnes Dittrich 1993) und Volksmusikforschung (Gerlinde Haid 1994).
Komposition und das Dirigat gelten seit jeher in der höchsten Musikausbildung als besonders anspruchsvolle Unterrichtsfächer. Carla Scaletti wurde 1998/99 Gastprofessorin für Elektroakustische Komposition und damit erst Ende des 20. Jahrunderts die erste weibliche Lehrende im Fachbereich Komposition und Elektroakustik an der mdw. Auf eine Universitätsprofessorin für Dirigieren wird noch immer gewartet.
Die virtuelle Plattform spiel|mach|t|raum wird am Internationalen Frauentag – 8. März 2017 um 12 Uhr vorgestellt. Die Plattform thematisiert im Sinne einer inklusiven Universität wie geschlechtergerecht beziehungsweise geschlechterungerecht die 200-jährige Geschichte der mdw war und ist. Im Vergleich beispielsweise zur Geschichte der Universität Wien (an der bisher 602 Jahre lang Männer, aber lediglich 120 Jahre Frauen studieren konnten) scheint das Geschlechterverhältnis an der mdw mit 200 Jahren Männer- zu 200 Jahren Frauenstudium freilich sehr positiv, wird jedoch bei genauerem Hinsehen stark brüchig. Einiges ist über die Geschichte von Musikerinnen, Künstlerinnen, Wissenschafterinnen, Pädagoginnen, die weiblichen Lehrenden der mdw bekannt, viele Details aber liegen noch im Dunkeln: Alles Themen, die – wie wir wünschen und hoffen – von Studierenden, Lehrenden und anderen Forschenden in weiteren engagierten intersektionalen Abschlussarbeiten und Studien erhellt und weiter geschrieben werden.
- www.mdw.ac.at/spielmachtraum (online ab 8. März 2017)
Literatur:
Lynne Heller, Die Reichshochschule für Musik in Wien 1938-1945, Dissertation an der Universität Wien 1992
Bildnachweis:
Sämtliche Bilder (außer das Foto von Irmgard Bontinck) stammen aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek: www.bildarchivaustria.at