Anlässlich des 65-jährigen Jubiläums des Instituts für Film und Fernsehen – Filmakademie Wien ist am Institut ein umfangreiches Archivprojekt mit dem Titel Metternichgasse 12. Eine Archäologie gestartet, das erstmalig in der Geschichte des Hauses den Anfängen und Entwicklungen der österreichischen Kaderschmiede gewidmet ist.

Es ist einer der ersten Filme, den die Archivgruppe der Filmakademie Wien in den letzten Monaten in den Archiven aufgespürt hat: Österreich, dein Herz ist Wien – ein in den Jahren 1956/57 entstandener Kulturfilm, der als Fremdenverkehrsfilm der Stadt Wien am Institut gedreht wurde. Gegründet wurde die Filmakademie Wien im Jahr 1952, den ForscherInnen ist hier also ein ganz besonderer Fund gelungen, der erste Schlüsse über die Anfänge der Ausbildungsstätte zulässt. „Das war ein interessanter Fund für uns, weil er uns gezeigt hat, dass so früh schon Filme hergestellt wurden – wir waren nicht sicher, ab wann an der Filmakademie Wien tatsächlich praktisch unterrichtet und gearbeitet wurde“, erzählt Kerstin Parth, Filmwissenschaftlerin und gemeinsam mit Claudia Walkensteiner-Preschl, Michaela Scharf und Albert Meisl eine der vier MitarbeiterInnen des Projekts. Solche Filme, die als Zeitdokumente dienen können, sind sehr wichtig für das Forschungsprojekt, denn andere Dokumente aus der Frühzeit der Filmakademie Wien gibt es nur sehr wenige. Daher durchforsten die MitarbeiterInnen auch das Archiv der Universität und sprechen mit ZeitzeugInnen, ehemaligen Studierenden und AbsolventInnen.

Jenseits einer kanonisierten Filmgeschichtsschreibung

Albert Meisl
Albert Meisl ©Lucio

Ein weiterer wichtiger Punkt des Archivprojekts ist die Aufarbeitung des Filmbestandes der Filmakademie Wien, der sich nun in den historischen Gebäuden von Schloss Laxenburg, der Heimat des Filmarchiv Austria befindet. Vor allem Albert Meisl, selbst Studierender der Filmakademie Wien, verbringt viel Zeit mit der Sichtung der frühen Filmarbeiten. „Wir haben uns die Aufgabe gestellt, Arbeiten zu finden, die in der Regel seit den 1970er/1980er Jahren nicht mehr vorgeführt wurden“, erklärt er. Einige historische Filme von ehemaligen Studierenden und AbsolventInnen, etwa Ulrich Seidl oder Götz Spielmann, seien in den letzten Jahren aufgelegt oder gezeigt worden,doch sehr viele Arbeiten schlummerten seitdem im Archiv. „Unser Ziel ist es, jenseits einer kanonisierten Filmgeschichtsschreibung, die sich an großen Regiepersönlichkeiten orientiert, in der Fläche zu schauen, was überhaupt in diesen frühen Dekaden an der Filmakademie Wien produziert wurde und wie diese Filme miteinander zusammenhängen oder auch nicht zusammenhängen.“

Neben Österreich, dein Herz ist Wien, haben die ForscherInnen schon einige weitere Filmschätze aus dem Archiv geholt. Etwa Tamara Eullers Dokumentarfilm Rosa Lila Villa aus dem Jahr 1984 über die damals neue und vorbildlose schwul-lesbische Einrichtung, aus dem man ablesen kann, dass die Studierenden der Filmakademie Wien aktuelle Themen ihrer Zeit verarbeitet haben.

Oder auch Peter Sämanns All About Nothing aus den Jahren 1969/70, der bei seiner Aufführung bei der Werkschau der Filmakademie Wien im Herbst 2016 für tosenden Applaus gesorgt hat. „Das war eine echte Entdeckung für uns, gerade in der experimentellen Umsetzung, und es ist auch einer der frühesten Filme, die wir bislang gefunden und gesichtet haben“, so Kerstin Parth.

Begegnungen

Kerstin Parth
Kerstin Parth ©Florian Schulte

Bei den meisten Filmen im Archiv kann man davon ausgehen, dass sie nach ihrer Entstehung gar nicht oder kaum mehr gezeigt wurden. Im Rahmen der ORF-Sendung Metternichgasse 12 wurden zwar ab den 1970er Jahren Kurzfilme aus der Filmakademie Wien gezeigt, wodurch die Arbeit der Studierenden einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, doch nicht alle Filme gelangten hier zur Aufführung. Viele der FilmemacherInnen, mit denen die Forschungsgruppe sich nun im Rahmen des Projekts austauscht, haben ihre eigenen Filme schon viele Jahre nicht mehr gesehen und vielleicht auch gar nicht mehr damit gerechnet, sie noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Denn die auf 16 oder 35 mm gedrehten analogen Filme sind noch vor Zeiten der VHS-Kassette, DVD oder des Internets entstanden. Dass die FilmemacherInnen sich über die Aufmerksamkeit für ihre frühen Filme freuen, das schildert Albert Meisl, der schon mit einigen von ihnen intensive Gespräche geführt hat: „Manchmal sind sie auch irritiert oder erschreckt, weil sie teilweise die Filme seither nicht gesehen haben. Das kann dann auch den Charakter einer Konfrontation haben. Aber es überwiegt die Freude.“

Teamgeist

Die Begegnung der FilmemacherInnen mit ihren frühen Werken ist auch Teil des Oral-History-Projekts, das im Rahmen der Forschungen durchgeführt wird. Zusammen mit Studierenden werden die Filme einer/eines FilmemacherIn/Filmemachers gesichtet und in mehrstündigen Interviews mit diesen besprochen. Eine der InterviewpartnerInnen war Regisseurin Barbara Albert, die sich, wie Kerstin Parth erzählt, in einer Art Zeitreise sehr lebendig an ihre Studienzeit zurückerinnerte, in der sie „die künstlerische Freiheit, die es am Haus damals gab, sehr genossen und für sich produktiv gemacht hat“. Darüber hinaus formierte sich in Barbara Alberts Studienzeit eine Gruppe von Studierenden, die auch heute noch in Form der coop99 höchst erfolgreich zusammenarbeiten.

Es ist auch dieser Teamgeist, der sich als eines der ersten Ergebnisse des Archivprojektes schon erkennen lässt. „Die Zusammenarbeit der Studierenden während des Studiums ist etwas, was sich später auch oft im Berufsleben fortsetzt“, schildert Albert Meisl, „es gehört zur guten Tradition der Filmakademie Wien, dass sich dort Menschen kennenlernen, finden und diese Arbeitsbeziehungen dann ins professionelle Filmschaffen überführen können.“ Die fächerübergreifende Zusammenarbeit der einzelnen Studienrichtungen Buch, Regie, Schnitt, Kamera und Produktion, die im Studienplan verankert ist, führt außerdem dazu, dass zahlreiche AbsolventInnen des Hauses heute in anderen Filmberufen tätig sind, als in denen, die sie ursprünglich studiert haben. „Das Erlernen von filmischem Arbeiten macht sich nicht nur an einer Einteilung in eine Studienrichtung fest. Auch das kann zur Tradition der Filmakademie Wien gezählt werden“, sagt Albert Meisl.

Im Laufe der nächsten Monate wird die ForscherInnengruppe noch weitere wichtige Erkenntnisse aus dem Archivprojekt gewinnen können, aber eines steht heute schon fest: War die Filmakademie Wien in ihren Anfängen noch eine Ausbildungsstätte, die zu Beginn konventionelle Kulturfilme wie Österreich, dein Herz ist Wien herstellte, hat sie sich in den letzten 65 Jahren zu einer experimentierfreudigen und weltweit anerkannten Ausbildungsinstitution entwickelt.

  • Am Fr, den 9. Juni zeigt die Filmakademie Wien im Stadtkino im Künstlerhaus ab 20.00 Uhr Archivklassiker der Filmakademie Wien.
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