Nach der Landung in Brüssel befindet man sich in einem belebten Flughafen, erfüllt mit den Klängen von Französisch und Flämisch untermischt mit den üblichen internationalen Sprachen. Man arbeitet sich durch den ganzen Flughafen bis man an die Bushaltestelle kommt. Flott bringt einen der Antwerp Express Bus von der europäischen Hauptstadt zu der wunderschönen flämischen Stadt Antwerpen.

AEC Präsident Eirik Birkeland
„Speech, speech!“, bei der Gala Dinner mit AEC-Präsident Eirik Birkeland ©Zena Van den Block

Im südlichen Teil der Stadt findet man den Royal Conservatory of Antwerp. Das Konservatorium ist in einem geräumigen und hellen Gebäude nahe der Autobahn untergebracht. Das Rauschen der Autobahn hört man vom Konservatorium aus nicht, aber seine ständig fließende Energie reflektiert sich in der fließenden Energie und Offenheit für neue Ideen am Konservatorium.

Vom 20. bis 22. April hatte ich die Gelegenheit nach Antwerpen zu fahren, um die EPARM Konferenz, European Platform for Artistic Research, bei der Royal Conservatory in Antwerpen zu besuchen. Durch die freundliche Unterstützung des Senats und als Kick-off für die an der mdw neu gegründete Arbeitsgruppe Recherche künstlerisches Doktorat hat man mich zu der Konferenz entsandt. Etwas Hintergrundinformationen zu der Konferenz: Sie wird von der AEC oder Association Européenne des Conservatoires, Academies de Musique et Musikhochschulen veranstaltet. Die AEC ist ein europäisches Kultur- und Bildungsnetzwerk bestehend aus circa 300 Mitglieds-Institutionen für professionelle Musikausbildung aus 57 Ländern. Die mdw ist seit vielen Jahren als Mitglied dabei. Die AEC veranstaltet seit 2013 jährlich die EPARM Konferenz um MusikerInnen, ForscherInnen und LehrerInnen aus der ganzen Welt für Präsentationen von Artistic Research Projekten und regen Gedankenaustausch darüber zusammen zu bringen.

Das Thema der Konferenz dieses Jahr war Staging Research: form the laboratory to the stage and back again. Die TeilnehmerInnen haben über die Verbindungen zwischen Artistic Research und professionellem Musizieren reflektiert und diskutiert. Die Konferenz strotzte vor neuen Ideen; es war spannend daran teilzuhaben! Die kreative und vor allem innovative Energie die bei der Konferenz zu spüren war, war einfach beeindruckend.

EPARM 2017
©Lisa Herger

Es gab 19 Präsentationen über diverse Aspekte von Artistic Research. Die präsentierten Projekte waren vielfältig. Sie reichten von tiefgehenden Analysen des eigenen kreativen Prozesses durchgeführt von KomponistInnen, DirigentInnen, InterpretInnen und auch RegisseurInnen, über MusikerInnen die mit der Gestaltung ihrer eigenen Aufführungen sowohl auf der Bühne als auch online experimentierten, zu MusikerInnen die Experimente dazu machten, wie man die Grenzen der Interpretation bis ins Extreme dehnen kann, um zu sehen was mit dem Musiker/der Musikerin und dem Zuhörer/der Zuhörerin passiert, wenn man zu der traditionellen Interpretation zurückkehrt. Nach jeder Präsentation der verschiedenen Projekte gab es Zeit für rege Diskussionen und Ideenaustausch der KonferenzteilnehmerInnen. Die Konferenz wurde so richtig lebendig bei den Networking Sessions zwischen den Präsentationen, die ein lebhafter intellektueller Austausch waren. Dadurch entstand für mich ein klares Bild, dass Artistic Research auf dem Doktorat Niveau, auch 3rd cycle level genannt, in vielen heterogenen Formen existiert, die aber alle eines gemeinsam haben: die Erzeugung von neuem Wissen und von neuen Ansätzen und Rollen für MusikerInnen, Musik und das Musizieren, kurz gesagt, die Erschließung der Künste.

Bei den Networking Sessions hatte ich die Gelegenheit, vielen Menschen von verschiedenen Institutionen weltweit, die erfolgreiche Doktoratstudien (3rd cycle studies) in Artistic Research leiten, kennen zu lernen. Unter denen waren Peter Dejans vom Orpheus Institut in Ghent, Peter Tornquist und Darla Crispin von der Norwegian Academy of Music, Georg Schulz, Deniz Peters, und Michael Kahr von der Universität für Musik in Graz, Anu Vehviläonen und Kristiina Ilmonen von der Sibelius Academy in Finnland, Denise Neary von der Royal Irish Academy of Music, um nur einige namentlich zu erwähnen. Obwohl jede Institution ihren eigenen Ansatz zu Doktoratstudien in Artistic Research hat, haben sie alle gemeinsam ihre Bereitschaft miteinander und mit Neulingen für die Entwicklung von Artistic Research zusammen zu arbeiten und ihre Offenheit für neue und innovative Ideen.

Eine Präsentation, die ich besonders spannend fand, war Schubert Revisited, präsentiert von dem Sänger Frank Havroy und dem Pianisten Gunnar Flagstad, die beide Associate Professors an der norwegischen Musikakademie in Oslo sind. Bei ihrer Präsentation haben sie die Grenzen der traditionellen Schubert Lied-Interpretation auf den Kopf gestellt, indem sie faszinierende Experimente mit verschiedenen Stilrichtungen gemacht haben. Die daraus entstandene Musik hat das Publikum gebannt am Rande des Sitzes gehalten! Mit den Experimenten gingen sie auf Fragestellungen ein, wie z.B.: „What is tradition, and should we see ourselves as being at the end or at the beginning of a tradition?“ und “How obliged are we to be a part of a performance practice, or should we be obliged to seek to challenge the performance practice?” Die künstlerische und Artistic Research outcomes von diesen Experimenten kamen beim Publikum ausgezeichnet an und die Publikumsdiskussion anschließend sprengte, ähnlich wie die Experimente, den vorgegebenen Rahmen und sind lange und enthusiastisch im Foyer bei der Pause weitergeführt worden.

Die vielen exzellenten Präsentationen kann ich nicht alle hier detailliert auflisten, aber eine letzte möchte ich noch erwähnen. Die Vocal Artist, Charulatha Mani ist eine Doctoral Studies Forscherin vom Queensland Conservatorium of Music bei Griffith University in Brisbane, Australien. Ihr Forschungsprojekt war zum Thema: Using the lens of South Indian Carnatic tradition (eine vokale Improvisations- und Erzähltradition aus Süd-Indien) to re-imagine Claudio Monteverdi’s writings for the voice in his musical dramas. Charulatha Mani hat auch bei der Academy of Music in Norwegen künstlerische Forschung zu ihrem Thema durchgeführt. Und es war die Direktorin des Arne Nordheim Center für Artistic Research, Dr. Darla Crispin, die die Relevanz dieser Forschung insbesondere und

Artistic Research im Allgemeinen wunderschön in Worte gekleidet hat, ich zitiere sinngemäß, „…through her research, Charulatha Mani finds meaningful parallels and common ground between the Eastern and Western musical traditions. In a world where cultural and politcal Nationalism threatens to re-emerge, this project illustrates perfectly the important role Artistic Research plays in enabling and promoting artistic and cultural Pluralism and interdisciplinary work in the Arts and Sciences, building bridges, not walls.“

Der prägendste Eindruck den ich von der Konferenz mitgenommen habe ist, dass Artistic Research für Musiker empowering ist. Ich verwende hier bewusst den englischen Ausdruck, denn ich finde keinen perfekt passenden deutschen Ausdruck. Empowering heißt so viel wie mit power erfüllend, oder mit Lebensenergie und schöpferischer Kraft erfüllend. In diesem Zusammenhang besteht das Empowerment darin, dass der Musiker/die Musikerin, anstatt in der passiven Rolle des zu-erforschenden-Objekts gefangen zu bleiben, er oder sie, mitsamt seinem oder ihrem eigenen musischen Tun, in die aktive Rolle des Forschers/der Forscherin gebracht wird. Die Resultate oder outcomes von dieser aktiven Forschung des eigenen Tuns erzeugen neues Wissen, bessere musikalische Aufführungen und Interpretationen, die sonst nie erreichbar gewesen wären.

Bei der Konferenz wurde deutlich gemacht, dass Artistic Research ein Weg ist, das schon vorhandene Talent und akademische Potential der Studierenden und Lehrenden zu nutzen, um neue und innovative künstlerische und intellektuelle Leistungen zu produzieren. Die Resultate von Artistic Research sind oft unerwartet und gerade dadurch inspirierend und faszinierend. An den diversen Präsentationen von outcomes bei der Konferenz hat man merken können, dass ein Großteil der Ressourcen an den Musikuniversitäten und ähnlichen Institutionen schon vorhanden ist. Man müsste sie nur einsetzen, um an diesen spannenden Forschungsprozessen teilzunehmen. Ein weiterer wichtiger Eindruck, den ich von der EPARM Konferenz mitgenommen habe ist, dass in Europa Artistic Research keineswegs in einem Vakuum stattfinden muss. Man ist nicht gezwungen das Rad neu zu erfinden. Man hat durch die EPARM die Möglichkeit, Teil einer aktiven und produktiven internationalen Community zu sein. Dieses Netzwerk unterstützt und fördert Artistic Research und forschende MusikerInnen weltweit.

Bei faszinierenden, spannenden Diskussionen mit Artistic Researchers aus aller Welt wurde mit klar, dass Artistic Research auf dem Doktorat Niveau eine wesentliche und für die Kunst und Musik unerlässliche Methode der neuen Wissenserzeugung sowie der Erschließung der Künste ist. Bedenkt man, dass Kunstuniversitäten nicht nur für die Berufsvorbereitung und das Erwerben von Berufsqualifikationen da sind, sondern auch um neue Rollen und Relevanz für Kunst und KünstlerInnen in der Gesellschaft zu etablieren und vor allem auch um neues Wissen zu erzeugen, so kann Artistic Research eine Rechtfertigung und Verstärkung der Bedeutung und Notwendigkeit von Kunstuniversitäten für die Gesellschaft sein.

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