Körperliche Gestaltung, bestehend aus Basistraining, Gestaltung, Tanz und mehr, ist für die Studierenden am Max Reinhardt Seminar wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. Wir baten vier Lehrende, Fabiana Pastorini, Doris Uhlich, Barbara Hagg-Ratheiser und Jevenij Sitochin, zum Gespräch mit dem mdw-Magazin über die Möglichkeiten der Körper, die Bedeutung von Improvisation und was die Studierenden im Unterricht erwartet.

Koerperarbeit
©Petra Gruber

Was bedeutet Körperarbeit?

Fabiana Pastorini (FP): Ich möchte den Körper als Instrument verstehen. Körperarbeit heißt, mit dem eigenen Körper in Dialog zu treten. Ich nenne es auch ,geistiges Training mit dem Körper‘, bei dem unsere Gedanken ganz bewusst in die Bewegung mit hineinfließen sollen.

Jevgenij Sitochin (JS): Für mich bedeutet Körperarbeit Freiheit und Kontrolle zugleich. Als ich in Sibirien mit dem Theaterspielen angefangen habe, habe ich bald gemerkt, dass die Wörter zwar aus meinem Mund kommen, ich mit meinem Körper aber nichts anfangen kann. Später, in Moskau, bin ich in einer kleinen Theatergruppe gelandet, wo ich neben Tanz, Slapstick, Clownerie und Akrobatik auch viel mit Requisiten gearbeitet habe. Dabei habe ich etwas Entscheidendes gelernt: Befreie dich von deinem Körper, damit du ihn kontrollieren kannst. Die meisten kontrollieren ihren Körper mit dem Kopf. Mir geht es darum, mit dem Körper zu denken.

Doris Uhlich (DU): Wenn es um die Kontrolle über meinen eigenen Körper geht, dann empfinde ich, dass mein Körper und ich ein Team sind. Wir sind ständig im Wechselspiel zwischen Freiheit und Kontrolle. In meinem Körper kann ich Freiheit erleben. Das ist befreiend und wunderschön.

Barbara Hagg-Ratheiser (BHR): Körperarbeit heißt für mich, auf spielerische Art und Weise in einer Atmosphäre der Neugier zu lernen – eigenständig und aus sich selbst heraus. Jeder soll sich dabei eigenständig organisieren und auf seine individuelle Art erforschen, nach seinem eigenen Tempo und Interesse.

Wie denkt man denn mit dem Körper?

Koerperarbeit
©Petra Gruber

JS: Es ist ein bisschen wie beim Lego. Man kann den Figuren den Kopf abnehmen und mit ihnen spielen. Das Gleiche versuche ich mit den Studierenden zu machen: anhand von Übungen die unterschiedlichen Körperteile getrennt voneinander zu betrachten und zu beherrschen. Zuerst den Kopf, dann die Schultern, die Ellenbogen, die Hände, das Becken, die Knie und die Füße.

DU: Es gibt den Moment, in dem der Körper beginnt sich zu bewegen und einer körperlichen Intuition folgt. Man lässt den Körper in Aktion treten, lebt in Transformationen, nimmt das Potenzial der körpereigenen Energie wahr, vernetzt sich mit der Gegenwart und folgt inneren Impulsen, ohne auf die Bremse zu steigen. Für mich ist der Körper ein Einlagerungssystem, ein Archiv unserer Geschichte und auch der Geschichte der Welt. Ich liebe es, das Archiv aufzurütteln und das körperliche Denken anzukurbeln beziehungsweise weiterzuentwickeln. A body is a brain, boom tschak! Remix the brain, boom tschak! Activate the brain, boom tschak!

BHR: Mit dem Körper zu denken heißt auch immer sich selbst zu begegnen. Dazu muss man mit Körper, Geist und Seele gleichermaßen anwesend sein.

Welche Rolle spielt dabei die Improvisation?

JS: Für mich gibt es drei Ebenen. Zuerst muss man den Kontakt mit seinem eigenen Körper wiederherstellen. Die zweite Ebene passiert im Kontakt mit dem Partner/der Partnerin. Hier beginnt bereits die Improvisation. Die dritte Ebene bezieht sich auf räumliche Faktoren wie Bühne, Licht oder Ausstattung. Ich arbeite gerne mit Requisiten. Was kann ich mit einem Heft machen? Wie schwer ist es? Wie fühlt es sich an? Wie riecht es? Was macht es für ein Geräusch? Irgendwann entsteht daraus eine eigene, improvisierte Geschichte.

DU: Improvisation ist essenziell, um eigenes Material zu entwickeln und nicht in Mustern stecken zu bleiben. Ich arbeite gerne mit längeren Improvisationen, um den Körper durch viele Stadien zu schicken: von Inspiration bis Langeweile, von Aufladung bis Erschöpfung, von der Konfrontation mit Mustern und Schleifen bis hin zu Überraschungen, Neuentdeckungen und noch nie dagewesenen Qualitäten von Bewegung.

BHR: Wenn man Improvisation als Kunst des Augenblicks begreift, dann muss man Entscheidungen oft in Sekunden treffen, um den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. Die verfeinerte Wahrnehmung und eine freie innere Haltung ermöglichen es dem Schauspieler/ der Schauspielerin, sich auf seine MitspielerInnen sensibel einzulassen und zu kommunizieren. Auch Spontanität als Qualität in der Erarbeitung einer Rolle ist im Zusammenhang von Improvisation zu nennen. Moshé Feldenkrais hat Spontanität als den höchsten Grad von menschlicher Reife bezeichnet.

Koerperarbeit
©Petra Gruber

Körperarbeit bedeutet immer auch ein Stück Intimität. Wie schwierig ist es, sich darauf einzulassen?

DU: Ich erlebe die Studierenden in meinem Unterricht sehr offen und motiviert, Neuland in sich zu entdecken. Dafür ist es wichtig, einen angstfreien Raum zu schaffen, in dem auch Hemmschwellen willkommen sind, sollten sie sich bemerkbar machen. Nur wenn man Hemmungen ins Auge schaut und sie in Bewegung versetzt, können aus ihnen Kraftquellen werden.

Koerperarbeit
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Als Schauspieler/Schauspielerin setzt man sein ganzes Sein ein, um eine andere Person darzustellen. Wie geht man mit diesem Paradoxon um?

FP: Der japanische Schauspieler und Theaterregisseur Yoshi Oida schreibt in seinem Buch Der unsichtbare Schauspieler, dass es im Prinzip darum geht, als DarstellerIn mit dem Dargestellten vollkommen zu verschmelzen. Das Ziel muss sein, diesen Widerspruch nicht mehr ständig zu hinterfragen.

JS: Das ist natürlich der Idealfall. Die unterschiedlichen Techniken können dabei helfen zu begreifen, wohin die Reise auf der Bühne gehen soll. Wie man sie anwendet, hängt von der jeweiligen Rolle, den PartnerInnen und letztendlich auch dem Regisseur/der Regisseurin ab.

DU: Mich interessiert die physische Kommunikation, das Verhältnis zwischen Gruppe und Individuum. Das Leben ist kein Solo, das Leben ist ein Ensemblewerk. Eines der wichtigsten Ziele meines Unterrichts ist es, in einem glücklichen Körper zu leben. Ein glücklicher Körper ist gerne in Aktion.

BHR: Menschliches Handeln basiert auf vier Komponenten: Sinneswahrnehmungen, unsere geistige Kapazität, unsere emotionale Intelligenz und die Bewegung. Übersetzt auf Bühnenabläufe bedeutet das, die Art, wie man denkt, beeinflusst auch die Art, wie man sich bewegt. Der Schauspieler/die Schauspielerin ist im Bühnengeschehen ständig gefordert bei sich zu sein und nach außen zu agieren – ein ständiger Wechsel zwischen Innenwahrnehmung und Außenwahrnehmung. Das ist ein herausfordernder Zustand, den ich „öffentlich einsam sein“ nenne. Man kann mit der Feldenkrais-Methode trainieren, damit umzugehen.

Koerperarbeit
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Was nimmt man von der Körperarbeit in den Berufsalltag mit?

DU: Ich denke, dass die Präsenz eines Schauspielers/einer Schauspielerin mit einem intelligenten Körper in Verbindung steht. Der Körper ist nicht nur ein Instrument, er ist Sender und Empfänger von unterschiedlichen Informationen auf der Bühne. Mit Körperarbeit gibt es ein ganzheitliches Verständnis für Raum, Zeit und Mitmenschen.

BHR: Eines meiner Lieblingszitate von Moshé Feldenkrais ist: „Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst.“ Ich möchte den Studierenden einen Denk- und Arbeitsansatz mitgeben, der ihnen hilft, sich als Menschen zu erfahren, die fähig sind, das zu tun, was ihnen entspricht.

FP: Nicht das Was ist entscheidend, sondern das Wie. Die Studierenden sollen lernen den eigenen Lebensraum – nämlich den eigenen Körper – zu entdecken und bewusst wahrzunehmen. Der Körper schickt uns ständig Botschaften darüber, was für uns stimmig ist und was nicht. Die unterschiedlichen Techniken helfen dabei, diesen Botschaften nachzugehen.

Koerperarbeit
©Petra Gruber

Gibt es auf der Bühne so etwas wie falsche Körpersprache?

DU: Wenn, dann gibt es oberflächliche Körpersprache, eine unmotivierte Körpersprache, eine zu gewollte Körpersprache, eine forcierte Körpersprache, eine unsensible Körpersprache, eine zu vorgefertigte Körpersprache.

JS: Wie definiert man richtig oder falsch? Es ist alles eine Frage der Perspektive. Die meisten ZuschauerInnen erfahren eine Geschichte zuerst über den Text. Erst dann kommt der Körper dazu. Der Körper kann den Text verstärken oder einen Kontrast dazu bieten. Letztendlich kann der Körper den Text aber auch zerstören.

BHR: Als Feldenkrais-Lehrerin gehe ich davon aus, dass jeder Mensch bis an sein Lebensende lernfähig ist. In den Feldenkrais-Lektionen wird vor allem mit den Bewegungsmustern gearbeitet. Es geht darum, sie zunächst einmal bewusst wahrzunehmen, durch geführte Aufmerksamkeit und einer wertfreien Betrachtung. Ganz wesentlich ist es, nicht über Korrekturen zu lernen und sich selbst nicht in Kategorien wie ,richtig‘ oder ,falsch‘ einzuordnen.

Was erwartet die Studierenden im Unterricht?

FP: Ich arbeite viel mit Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Körper und dem Raum, der uns umgibt. Das funktioniert ganz gut mit langen Sequenzen oder Dehnungen, bei denen wir bis an unsere körperlichen Grenzen gehen.

JS: Bloß keine Erwartungshaltungen! Ich bin ein Fan von Überraschungen. So wie bei Charlie Chaplin. Der geht dreimal geradeaus und beim vierten Mal biegt er plötzlich links ab. Ich sehe den Unterricht als ein Geben und Nehmen. Auch ich lerne von meinen Studierenden.

BHR: Ich möchte meinen Studierenden anbieten, sich auf einen lebendigen, kreativen Prozess mit sich selbst einzulassen. Im Grunde verhalten wir uns dem Bild entsprechend, das wir von uns selbst gezeichnet haben. Meistens ist das ein sehr unvollständiges. Als Feldenkrais-Pädagogin lenke ich die Aufmerksamkeit durch verbales Anleiten von Bewegungsabläufen oder über Berührung darauf, wie wir uns bewegen.

DU: Ich möchte in meinem Unterricht einen angstfreien Raum schaffen, in dem experimentiert und ein Bewusstsein für die Gegenwart geschafften wird. Ich will vermitteln und erfahrbar machen, wie essenziell der Körper ist. Er ist das Epizentrum unserer Handlungen. Ich möchte den Körper öffnen, deshalb trainiere ich mit den Studierenden, inneren Impulsen zu folgen und nicht die Bremse zu ziehen.


Fabiana Pastorini

Fabiana Pastorini wurde in Buenos Aires geboren, wo sie im Alter von neun Jahren ihren ersten Tanzunterricht erhielt. In New York entdeckte sie ihre Leidenschaft für zeitgenössischen Tanz. Seit 1992 lebt die Tänzerin, Choreografin und Pädagogin in Wien. Im Jahr 2000 erlitt Fabiana Pastorini einen Bandscheibenvorfall. Hilfe fand sie damals in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie machte eine Ausbildung zur Kinesiologin und entwickelte mit Dance for Health ihre eigene Technik, die Elemente aus Tanz und Körperarbeit verbindet.

Barbara Hagg-Ratheiser

Barbara Hagg-Ratheiser studierte Schauspiel am Konservatorium Wien Privatuniversität (heutiges MUK), wo sie erstmals mit der Feldenkrais-Methode in Berührung kam. Nach einigen Jahren als freischaffende Schauspielerin im In- und Ausland absolvierte sie ihre Ausbildung zur Feldenkrais-Pädagogin in der Schweiz. Seitdem praktiziert sie die Feldenkrais-Methode in verschiedenen Kontexten. Barbara Hagg-Ratheiser lebt mit ihren zwei Söhnen in Wien.

Doris Uhlich

Doris Uhlich ist am Attersee aufgewachsen. Zum Tanz gekommen ist sie über das Fernsehen: Anna, Flashdance, Dirty Dancing. Sie fängt Feuer, nimmt Tanzunterricht an der Musikschule und studiert später „Pädagogik für zeitgenössischen Tanz“ am Konservatorium in Wien. Um sich weiterzubilden, besucht sie regelmäßig Workshops, etwa bei ImPulsTanz, und geht ins Ausland, um verschiedene Techniken zu lernen. Als Künstlerin sucht Doris Uhlich nach Kunst, die stärkt. Sie erforscht die Archäologie von Energie in unterschiedlichen Körpern und den Energieaustausch zwischen Bühne und Zuschauerraum.

Jevgenij Sitochin

Geboren in Sibirien, studierte Jevgenij Sitochin Regie in Moskau. Nach zahlreichen Engagements in Moskau und Leningrad (St. Petersburg) übersiedelte er 1991 nach Westeuropa und stand hier u. a. in Wien, Zürich, Hamburg und Berlin auf der Theaterbühne. Darüber hinaus ist Sitochin in zahlreichen Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen. Als Regisseur inszenierte er zahlreiche Musik- und Sprechtheaterproduktionen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.

 

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