Bericht über die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft an der mdw, 22. – 25. November 2017

Musik lehren
©Michal Grosicki / Unsplash, Archiv des Wiener Volksliedwerks

Die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft fand im Herbst 2017 an der mdw statt: Das Jubiläum der Universität aufgreifend, ging es dabei um Fragen des Musiklehrens und Musiklernens: Wie wurde und wird in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten, zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten, mal mit Lehrenden, mal autodidaktisch Musik erlernt und gelehrt? Drei eng miteinander korrespondierende Panels (Traditionsbildung in oralen Kulturen, Autodidaktischem Lernen und Orte des Musiklernens und -lehrens) wurden durch Vorträge der Jungen Musikwissenschaft ergänzt. In der Aula der mdw wurden außerdem derzeit laufende Forschungsprojekte an österreichischen Forschungseinrichtungen präsentiert.

In seiner Moderation des Panels Traditionsbildungen in oralen Kulturen führte Matteo Nanni in die Fragestellung von Oralität und Verschriftlichung in einer weiten historischen Perspektive ein. Im ersten Vortrag konkretisierte Julio Mendívil dies anhand der Frage, wie sich die Lehrmethoden der peruanischen Charango über Generationen hinweg veränderte: Der Charangospieler Guardia entwickelte zwar eine Tabulatur, trotzdem basierte der Großteil seiner Lehrmethode auf oraler Tradierung und künstlerischen Freiheiten. Diese Freiheiten wurden im Prozess der Professionalisierung durch immer stärker fixierte Versionen verdrängt, was die Frage nach Original und Authentizität aufwirft. Konträr dazu stellte Rinko Fujita in ihrem Vortrag die Form der oralen Tradition in Japan vor: Das Grundprinzip beruhe hier auf exakter Imitation. Der Unterricht kommt ohne Erklärungen, ohne Lehrbücher oder Noten aus. Vermittelt werden dabei kata, eine genau festgelegte Spielweise, die als künstlerische Norm gilt, wobei spezialisierte Schulen sicherstellen, dass die Tradition des gagaku (Musik an japanischen Kaiserhöfen) unverändert bestehen bleibt. Lena Nieper stellte einige Überlegungen zur Oral History als Methode der historischen Musikwissenschaft am Beispiel von Luigi Nono vor.

Imitation sei auch als wesentlicher Bestandteil des Autodidaktischen Lernens zu verstehen. So knüpfte Peter Röbke an das vorangegangene Panel an und leitete zum Schwerpunkt Autodidaktik über, dabei an formales/informelles Lernen und an Lernwelten erinnernd, die weit über den Regelunterricht hinausgedacht sind. „Wildes Lernen“, so Röbke, sei dabei ein prägender Begriff für ebendieses unabhängige, selbstständige Lernen. Dass dies nicht nur ein gegenwärtiges pädagogisches Konzept ist, autodidaktisches Lernen vielmehr lange in der Musikgeschichte wahrnehmbar ist, zeigten die ersten beiden Vorträge des Panels. Sie widmeten sich zwei unterschiedlichen Lehrbüchern aus dem 16. Jahrhundert: August Valentin Rabe referierte dabei über den komplexen Entstehungszusammenhang des Fundamentum von Johannes Buchner. Kateryna Schöning thematisierte ihrerseits das handschriftliche Lautenlehrbuch von Stephan Craus, das eher als didaktisches Manuskript diente und dabei mitunter eine standardisierte Stütze für mündliche Überlieferung darstellte. Mit dem Vortrag von Christiane Tewinkel stand das autodidaktische Lernen im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt, genauer: der amerikanische Pianist und Autodidakt Hugo Mansfeldt. Dieser bezeichnete sich selbst als Autodidakt und hatte wohl tatsächlich bis auf vereinzelte Klavierstunden nie regelmäßig Unterricht. Er selbst sah dies, möglicherweise auch aus Werbezwecken, allerdings nicht als Manko, sondern hob die markantesten Merkmale autodidaktischen Lernens positiv hervor: die Ungebundenheit gegenüber Lehrplänen, Werturteilsfreiheit und der geschickte Umgang mit dem Lerngegenstand. Paradox wirkt die Tatsache, dass Mansfeldt als sogenannter Autodidakt dennoch ein technisches Lehrwerk schrieb.

Dass formale Lernangebote oft zu langsam für individuelle technische und ästhetische Entwicklungen in der heute stark medialisierten und digitalisierten Zeit sind, meinte Michael Ahlers, der das Panel abschloss. Speziell in der Jazz- und Popmusik erscheinen Praktiken wie Imitation von Habitus, Nachspielen („Heraushören“) von Musik, Jammen oder Kopieren eines Stils wichtiger. Auch daraus ergab sich wiederum eine inhaltliche Brücke: mit dem Panel Traditionsbildung in oraler Kulturen, aber auch mit dem folgenden Panel Orte des Musiklernens und -lehrens.

Dieses leitete Susanne Rode-Breymann mit Hinweisen darauf ein, wie zentral die Kategorie Raum für das Musiklehren und –lernen insgesamt ist und wie produktiv der Perspektivwechsel auf Räume gerade auch für die Musikforschung sein kann. Gestützt wurde dies durch den den spatial turn reflektierenden Vortrag von Carolin Stahrenberg. Mit dem Begriff „ghosts of place“ erinnerte sie an die sozialwissenschaftliche Raumwissenschaft, die betont, dass Orte durch das Wissen über ihre Geschichte eine symbolische Komponente erhalten und dem Ort eine bestimmte Atmosphäre geben.

Der Fokus von Evelyn Buykens Vortrag lag dann auf der musikalischen Lehr- und Lernpraxis speziell im jüdisch-häuslichen Raum um 1800 in Berlin. Diesen analysierte Buyken anhand der Musiziersituationen in den Familien Mendelssohn-Bartholdy und Itzig. Bei der Familie Mendelssohn wurde allabendlich gemeinsam informell musiziert, wodurch eine Aneignung von Werken durch gemeinsames Tun geschah, während in der Familie Itzig großer Wert auf gute Privatlehrer gelegt wurde, durch die qualitativ hochwertiges Musizieren sichergestellt werden konnte. Carolin Krahn reflektierte über den Begriff der Heterotopie als Möglichkeit, die Schriften von Friedrich Rochlitz zwischen dem imaginierten Raum Italien und der konkreten Verortung in einer deutschen Ästhetik zu lesen. Nation als Raum stand im Vortrag von Dimitra Will im Blickpunkt: Sie untersuchte unterschiedliche Gesangsschulen aus Italien, Frankreich und Deutschland. Will differenzierte dabei, wie Stimme (und Sprache) als identitätsstiftendes Element wahrgenommen und wie mit diesem Organ entsprechend gesangsphysiologisch und -pädagogisch unterschiedlich umgegangen wurde. Die Raumkonstellation des CLAEM (Centro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales) war das Thema von Pablo Cuevas. Als Ausbildungsstätte für Komponisten in Buenos Aires von 1961-1971 konzipiert, bot das CLAEM Nachwuchskomponisten die Möglichkeit eines zweijährigen Studiums. Den Raum des CLAEM verstand Cuevas entsprechend als sozialen Raum und beschrieb ihn als Treffpunkt, in dem sich identitätsstiftende Prozesse abzeichnen. Chris Kattenbecks Vortrag widmete sich einem außerschulischen Lernort: dem Rockmobil. Kattenbeck stellte dabei seine explorative Studie zu diesem Rockmusik vermittelnden Lernort in Form eines umgebauten LKWs vor. Verena Liu sprach abschließend vom Beruf der Musikschuldirektorin im 19. Jahrhundert. Die „Klavierseuche“ im 19. Jahrhundert hatte nicht nur zahlreiche Pianistinnen hervorgebracht, sondern es entstand auf diese Weise auch eine große Nachfrage nach Pädagoginnen, eine Möglichkeit für Frauen mithin, mit Musikunterricht Geld zu verdienen und dadurch ökonomisch unabhängig zu sein. So waren zahlreiche Klavierlehrerinnen gewerblich im Adressbuch gemeldet, einige eröffneten sogar eigene Musikschulen, Orte des Musiklernens par excellence. Als Beispiel zog Liu Lina Ramann und Ida Volckmann heran, die von 1865 bis 1890 eine renommierte Musikschule betrieben. Ein Abschluss-Roundtable unter der Leitung von Melanie Unseld rundete das Panel ab.

Um dem wissenschaftlichen Nachwuchs eigens Raum zu geben, integriert die Österreichische Gesellschaft für Musikwissenschaft seit einigen Jahren das Panel Junge Wissenschaft in die Jahrestagung. Hier erhalten junge MusikwissenschaftlerInnen die Möglichkeit, ihre Forschungsthemen einem größeren Auditorium zu präsentieren. Sonja Tröster moderierte dieses Panel, das sich durch Vielseitigkeit auszeichnete und zum Teil sogar inhaltliche Brücken zum Hauptsymposium schlug. Aus der Vielzahl der Vorträge seien nur zwei herausgegriffen: Milena Amann-Rauter verschaffte sich durch eine ausgeklügelte Netzwerkanalyse, mit Hilfe von „distant“ und „close“ Reading, einen interessanten Überblick über die Verflechtungen von Exilmusikern vor und während des Zweiten Weltkrieges in Paris/Frankreich. Im Vordergrund stand dabei der antifaschistische Kampf der Front Populaire in Frankreich, konkret fokussierte Amann-Rauter den Sänger und Liedkomponisten Ernst Busch. Durch die digitale Verknüpfung einer Vielzahl von Daten und Quellen konnte sie Rückschlüsse auf das „musikgeographische Netzwerk“ zwischen den Ländern Spanien und Frankreich und den dort tätigen Dichtern und Komponisten ziehen. Anders angelegt war Walter Meixners Vortrag, der über die im Tiroler und Innsbrucker Raum stattfindenden Volksmusikwettbewerbe und deren Entwicklung sprach. In seiner Tätigkeit als Juror und Organisator sammelte Meixner über 30 Jahre lang Daten, die ein detailreiches Bild der Entwicklung in der gesellschaftlichen Volksmusiklandschaft und auch den damit verbundenen familiären Umgang mit Hausmusik aufzeigte.

Das Rahmenprogramm führte die TeilnehmerInnen der Jahrestagung in den Bockkeller zum Wiener Volksliedwerk. Hier fand, in Kooperation mit der Jahrestagung, das Gesprächskonzert Was die Alten sungen – wie zwitschern denn die Jungen? mit Edi Reiser (Kontragitarre), Ingrid Eder (Harmonika) und Tommy Hojsa (Klavier, Akkordeon, Gesang) statt. Susanne Schedtler moderierte den generationenübergreifenden Dialog.

 

Zum Programm des Symposiums auf der Website der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien:

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