Mit der vor mittlerweile 25 Jahren erfolgten Einrichtung eines Archivs an der mdw wurde eine Verwaltungstradition wiederaufgenommen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Verstaatlichung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde beendet worden war.
Das Bewusstsein um die historische Dimension des eigenen Handelns geriet bei der damaligen Gründung der Akademie ins Hintertreffen. Brüche in der Geschichte des Hauses sollten sich in der Folge noch des Öfteren – meist verbunden mit politischen Ereignissen – negativ auf die Überlieferungstradition auswirken: So verzichtete man nach dem Zusammenbruch der Monarchie auf die Führung von Jahresberichten, vernichtete im Gefolge einer Reorganisation 1932 Teile älterer Aktenbestände und übergab nach dem Zweiten Weltkrieg das gesamte vorhandene alte Aktenmaterial dem Österreichischen Staatsarchiv.
Ein Umdenken nach vielen Jahren ist vor allem Altrektor Gottfried Scholz zu verdanken, auf dessen Initiative die Einrichtung des Archivs zurückzuführen ist.
„Da das Hochschularchiv nicht durch konsequente Archivierung seit der Entstehung der Anstalt entstanden ist, sondern nur teilweise über gewachsene Bestände verfügt, ist auch eine wesentliche Arbeit im organisatorischen Aufbau, in der Eruierung und Sammlung relevanter Materialien zu leisten […].“
Dieser Textabschnitt in der Ausschreibung für den Posten der Archivleitung zeigt, dass die Ausgangslage für die neu zu gründende Einrichtung keineswegs einfach war: Aus den über die unterschiedlichen Standorte der mdw verstreuten Beständen galt es, ein Archiv neu aufzubauen, und selbst heute noch liegt wegen des jahrzehntelangen, nicht fachgerechten Umgangs mit dem historischen Material ein Teil der Aufgaben des Archivs darin, rekonstruierend tätig zu sein und Lücken des Bestandes ebenso zu verorten wie nach Möglichkeit zu schließen.
Aufgrund der Einrichtung des Archivs konnte jedoch bereits nach kurzer Zeit mit der Übernahme des Aktenbestandes der mdw aus dem Österreichischen Staatsarchiv die größte Lücke geschlossen werden. Seither verfügt das Haus über das seit dem Jahr 1909 erhaltene historische Quellenmaterial zu seiner Geschichte.
Gedächtnis einer Institution
Sicherung, Konservierung, Speicherung, Sammlung
Zu den grundlegenden Aufgaben des Archivs zählen die Erhaltung und Sicherung des historischen Schriftguts und die Ergreifung bestmöglicher konservatorischer Maßnahmen, um durch optimale Speicherung die Basis dafür zu schaffen, das Gedächtnis des Hauses zu bewahren. Die Bewahrung des Gedächtnisses bedarf zudem der Ordnung, Verdichtung und Strukturierung der Bestände. Die archivische Bewertung, die fachliche Beurteilung über die Archivwürdigkeit, ist somit die Entscheidung über die Aufbewahrung oder das Ausscheiden von Schriftgut. Die Aufnahme unterschiedlicher, den Aktenbestand ergänzender Materialien wie Fotos, Zeitungsberichte, Publikationen, Plakate u. dgl. ist ebenso wie die Übernahme von Nachlässen ehemaliger mdw-Angehöriger Teil einer aktiven Sammlungs- und Dokumentationstätigkeit des Archivs.
Öffnung
Ebenso wichtig wie die Bewahrung ist die Öffnung des Archivs nach außen: Die Beratung und Betreuung interner und externer Forschender sowie die Beantwortung von Anfragen von Kolleg_innen aus Verwaltung und künstlerischen, wissenschaftlichen und pädagogischen Instituten der mdw gehören ebenfalls zum Archivalltag.
Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft
Die Funktion des Archivs geht jedoch weit darüber hinaus, nur Gedächtnis zu sein oder sich allein auf das Hüten alter Papiere zu beschränken. Das Archiv sieht sich mit Blick in die Zukunft fest in der Gegenwart verankert, deren archivische Standards ebenso wie gesetzliche Bestimmungen zu erfüllen sind.
Digitalisierung
Ein die Gegenwart wie die Zukunft bestimmendes Thema ist die Digitalisierung, die die zeitgemäße Bereitstellung von Quellen beziehungsweise die Schonung und Erhaltung wertvoller oder schlecht erhaltener Stücke inkludiert.
Das Archiv ist – wie z. B. bei der Einbindung in das Verfahren zur Auswahl eines universitätsinternen Enterprise-Content-Management-Systems – maßgeblich in Entscheidungen eingebunden, die aktuelles ebenso wie zukünftiges Schriftgut betreffen.
Vernetzung
Durch die Doppelrolle des Archivs als Organisationseinheit der universitären Verwaltung und als Forschungsstelle ist es auf unterschiedlichen Ebenen mit Instituten und Dienstleistungseinrichtungen der mdw vernetzt. Das Spektrum der internen Zusammenarbeit reicht von der Aushebung von Akten über die Beratung zur Ablage von Dokumenten bis zur Mitarbeit bei künstlerischen und wissenschaftlichen Projekten.
Im Rahmen der Mitgliedschaft in der Fachgruppe der UniversitätsarchivarInnen und ArchivarInnen wissenschaftlicher Einrichtungen des Verbands Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA) nimmt das Archiv aktiv an Tagungen und Workshops teil. Diese bieten Raum für Austausch, Weiterbildung und Vernetzung in allen archivfachlichen Fragen. Darüber hinaus werden auf Basis verbindender Forschungsinteressen enge Kontakte mit Archiven im In- und Ausland gepflegt.
Lebendiger Wissensspeicher
Ausstellungen, Vorträge und Publikationen sind ebenso wie Kooperationen und Projekte mit Kolleg_innen an der mdw, externen Forschungseinrichtungen und anderen Archiven ein zentraler Teil der Tätigkeit. Mit der Erforschung der mdw-Geschichte aus verschiedenen historisch-kulturwissenschaftlichen Perspektiven werden Wandlungsprozesse der Institution aufgezeigt und stets neue Blicke in die Vergangenheit ermöglicht. Das Archiv verfolgt einen breiten methodisch-wissenschaftlichen Ansatz und leistet durch die Einbeziehung der am Haus vertretenen Disziplinen einen wichtigen Beitrag zur transdisziplinären Forschung an der mdw.
Erweiterung des „Wissensspeichers“
Um die unterschiedlichen Handlungsebenen in die historische Überlieferung der Universität einzubeziehen und damit einen erweiterten Blick sowohl auf die Geschichte als auch auf die einzelnen Geschichten der mdw zu erhalten, führt das Archiv laufend Interviews mit Angehörigen der mdw (Lehrenden, Studierenden und Verwaltungspersonal). Damit werden neue Quellen generiert, die das von den Menschen verschiedener sozialer und kultureller Herkunft gestaltete und geprägte Haus auf vielschichtige Weise darstellen. Die damit gewonnene Vielfalt von Meinungen und persönlichen Sichtweisen trägt dazu bei, die Diversität des Hauses und das Beziehungsgeflecht, das aus der Interaktion heraus entsteht, sichtbar zu machen.
Die Forschungseinrichtung Archiv bezieht stets unterschiedliche Quellenzugänge, aktuelle Entwicklungen der Geschichtswissenschaft und neue Erkenntnisse aus historischer Forschung und Archivwissenschaft in die Überlieferung der Geschichte des Hauses mit ein und versteht sich als innovative Institution, die, basierend auf der Tradition und dem Rückblick auf die Geschichte, Neuem stets offen gegenübersteht.
Auswahl von Ausstellungen und Publikationen der letzten Jahre
„Nun bin ich Musiker mit Ernst und ohne Reue.“ Der Komponist & Pädagoge Richard Stöhr (2017)
Im Netzwerk der NS-Kulturpolitik. Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 1938–45 (2014)
spiel|mach|t|raum mdw-Ausstellung anlässlich 100 Jahre Internationaler Frauentag (2011)
Severin Matiasovits und Erwin Strouhal, Innen(an)sichten – Außenwirkungen, in: Cornelia Szabó-Knotik und Anita Mayer-Hirzberger, „Be/Spiegelungen“. Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien als kulturvermittelnde bzw. -schaffende Institution im Kontext der Kultur- und Sozialgeschichte (= Anklänge. Wiener Jahrbuch für Musikwissenschaft 2017), Wien 2018
Erwin Strouhal und Lynne Heller, „dass auch unsere Leute […] in Position gebracht werden“. Personalpolitik an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 1918–1945, in: Johannes Koll (Hg.), „Säuberungen“ an österreichischen Hochschulen 1934–1945, Wien/Köln/Weimar 2017
Lynne Heller und Erwin Strouhal, Von der Registratur zum Archiv, in: Antje Kalcher und Dietmar Schenk (Hg.), Archive zur Musikkultur nach 1945. Verzeichnis und Texte, München 2016
Erwin Strouhal, Zusammenspiel. Das „Professoren-Konzert“ der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vom 12. Dezember 1938 als Beispiel für Repräsentation, Macht und Institution, in: Juri Giannini, Maximilian Haas und Erwin Strouhal (Hg.), Eine Institution zwischen Repräsentation und Macht. Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Kulturleben des Nationalsozialismus (= Musikkontext Bd. 7), Wien 2014
Lynne Heller, „Ich lege auf die Rückberufung der obgenannten ehemaligen Lehrkräfte keinen besonderen Wert.“ Zur Wiedereinstellungspolitik an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien, in: Matthias Pasdzierny/Dörte Schmidt (Hg.), Zwischen individueller Biographie und Institution. Zu den Bedingungen beruflicher Rückkehr von Musikern aus dem Exil (= Forum Musikwissenschaft 9), Schliengen 2013
Wanted!
Das Archiv ist zur Erweiterung seiner Bestände auf der Suche nach persönlichen Memorabilien aus Studien-, Unterrichts- und Verwaltungstätigkeit an der mdw.
Kontaktieren Sie uns unter archiv@mdw.ac.at oder unter +43 1 711 55 – 6500