Der Unterschied zwischen Lärm und Musik ist eine Frage des Geschmacks, der Hörgewohnheiten und der Zeit, in der man lebt. Musik, die sich dem Gewohnten widersetzte,die sich konventionellen Harmonien verschloss, die die Hörer _innen herausforderte, anstatt sie einzulullen und zu beruhigen, hatte es nie leicht. Da ging es Arnold Schönberg, Paul Hindemith oder Richard Strauss nicht viel besser als Jahrzehnte später den Einstürzenden Neubauten oder den Swans. Von „Krach“, gar „Krawall“ schrieben die Rezensent_innen da wie dort, auch wenn fast 60 Jahre dazwischen lagen. Musik, die neue Wege beschreitet, ist für die Zuhörer_innen zu Beginn wie eine neue Sprache, in die sie sich erst einhören müssen. Für die sie ein Gefühl entwickeln müssen, um nach ein paar Tagen in dem neuen, fremden Land zu erahnen, ob diese oder jene Phrase eher ein „Ja“ bedeutet, ein „Nein“ oder ob es sich um viele „Vielleicht“ handelt, die für das eine ebenso viel Platz lassen wie für das andere.
Schlägt jemand „andere Töne“ an, ist das fast immer negativ besetzt. Es bedeutet im besten Fall, dass sich jemand aufrafft, aufsteht und endlich Klartext spricht. Ohne Schnörkel, ohne Rücksicht zu nehmen auf Befindlichkeiten, ohne sich selbst einzuschränken. Im schlechtesten Fall jedoch haben die „anderen Töne“ etwas Grenzüberschreitendes, etwas Grobes, etwas Autoritäres, das nichts mehr neben sich duldet, keinen Aufstand, keinen Widerspruch, keine Verweigerung. Diese anderen Töne hört man aktuell lauter denn je, wenn man die internationale Politik verfolgt. Sie schleichen sich unaufhörlich in den täglichen Diskurs, sie verstimmen die Instrumente der Diplomatie, sie lärmen und machen Krach und übertönen die leisen Stimmen der Umsicht und Vorsicht, die bunten Stimmen des Miteinanders. Nie war es so wichtig wie heute, neue Musik zu hören, sie laut aufzudrehen und den Stimmen der Vielfältigkeit Raum zu geben. Denn sie sind unsere einzige Chance.