Das Leben war leicht, als es Löwen in unserer Umgebung gab. In der Steinzeit. Man wusste ganz klar, was man tun soll: Große Tiere mit großen Zähnen meiden. Die Angst „unerwünscht verdaut zu werden“ war überall zu spüren und sie war durchaus begründet, da aus dem Gebüsch immer wieder ein Löwe auftauchte und man schnell vom Homo sapiens zum Schnitzel wurde. Das waren die guten alten Zeiten. Da war die Angst eine durchaus nützliche Königin, die uns begleitete und uns durchs Leben lotste. Es war ganz klar, was sie von uns wollte. Sie hat uns geliebt, wir haben sie geliebt und die Erde war eine riesige, angstschwangere Party.
Heutzutage ist sie immer noch da, aber sie trägt Kopfhörer und wartet in einer Ecke, dass endlich irgendetwas passiert. Die Löwen sind seit Tausenden von Jahren weg und sie kennt sich nicht mehr richtig aus. In unserer 50-Quadratmeter-Wohnung findet die Angst eine Beschäftigung, indem sie höchstens zur sozialen Angst wird. Dann nervt sie nur. Sonst entspannt sie sich und taucht bestenfalls bei einem Erdbeben oder einer kommissionellen Prüfung auf. Ich vermisse sie. Immer, wenn ich etwas geschafft habe, hat sie mich begleitet. Immer, wenn ich ein wirklich gutes Konzert gespielt habe, war sie im Einspielraum in all ihrer Pracht da. Immer, wenn ich meine Komfortzone verlassen habe, hing sie an mir dran. Und ich liebe sie dafür. Ich liebe sie und ich mache mir Sorgen. Während sie schläft, sitze ich am Fenster und grüble.
Ich habe Angst, dass es in dieser Stadt zu gemütlich wird. Ich habe Angst, dass wir aus unseren Zig-Quadratmeter-Wohnungen Nester machen, aus denen wir schwierig herauszuholen sind. Ich habe Angst, dass wenn wir vierzig sind und uns jemand nach unseren jungen Jahren in Wien fragt, wir „es hat eh alles gepasst“ sagen werden. Ich habe Angst, Geld zu gewinnen, aber „geschichtenarm“ zu bleiben. Ich habe Angst, dass ein Monster – viel größer als ein Löwe – uns seit Jahren langsam verdaut, ohne dass wir es merken. Ich habe Angst, dass wir alle gemeinsam im Bauch einer überdimensionierten Gemütlichkeit drinnen stecken … Mittlerweile ist die arbeitslose Königin aufgestanden, steht am Fenster und wartet auf Löwen. Ich hoffe die kommen bald. Es war so leicht, als sie da waren …