Jedes Sommersemester lädt das Joseph Haydn Institut einen bedeutenden Komponisten ein, der mit Instrumentalist_innen an der mdw sein Werk erarbeitet. Heuer stellt sich das Webern Ensemble Wien unter der künstlerischen Leitung von Jean-Bernard Matter dem Doyen der österreichischen Musik: Friedrich Cerha. Sein Lebenswerk umfasst mehr als sieben Jahrzehnte der Produktion in allen Genres zeitgenössischer Musik.

Cerha Noten studierend
©Hertha Hurnaus, Archiv der Zeitgenossen
Cerha Klavier
©Hertha Hurnaus, Archiv der Zeitgenossen

„Du machst ja mit unseren Mitteln Alte Musik!“, soll Luigi Nono nach der Aufführung einer Komposition Friedrich Cerhas konsterniert bemerkt haben. Das war im Jahr 1958 in Darmstadt, als Cerha gemeinsam mit Iván Eröd seine beiden neuen Werke Deux éclats en réflexion und Formation et solution für Violine und Klavier im Rahmen der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik aufgeführt hatte. Dass man bei beiden Kompositionen so etwas wie musikalische Entwicklungen hörend nachvollziehen konnte, war im damaligen Zentrum für serielle Musik bekanntlich nicht gerade en vogue, für Cerha jedoch eine Prämisse seines Schaffens, von der er nie bereit war abzuweichen. „Der Einsatz technischer Verfahren, wie das Komponieren mit Reihen, ist somit bis heute immer ein Mittel zum Zweck geblieben, ein Instrument, um klangliche Fantasien zu realisieren“, so der Komponist in einem Interview.

Friedrich Cerha, der heuer 93 Jahre alt geworden ist, kann auf rund 85 Jahre Kompositionserfahrung zurückblicken, denn als erstes Werk fand ein Duo für 2 Violinen, datiert auf das Jahr 1934 Eingang in das Werkverzeichnis. Gemeinsam mit Gschwandtner Tänze, die er als 12-Jähriger komponierte, verweist es auf Cerhas frühe musikalische Sozialisation als Geiger in den Heurigenlokalen von Hernals. In den „Wienerischen“ Werken der 1980er-Jahre, wie seine Keintaten oder Eine Art Chansons nach Texten von Ernst Jandl und anderen Dichtern der Wiener Gruppe, setzt sich Cerha Jahrzehnte später erneut und in anderer Form mit dem Genre auseinander. Querverbindungen, Rückgriffe und intermusikalische Bezüge dieser Art sind charakteristisch für Cerhas vielseitige kompositorische Ausdrucksweise.

Cerha Partitur
Partiturausschnitt aus dem Werk „Eine Art Chansons“ ©Archiv der Zeitgenossen
Cerha Lineal
©Hertha Hurnaus, Archiv der Zeitgenossen

Der eigene Blick auf das Geschaffene verändere sich mit der zeitlichen Distanz: „Es gibt Dinge aus den 1950er-Jahren, die mir heute noch sehr nahe liegen, und es gibt Stücke aus den 1970er-Jahren, die ich schon halb vergessen habe“, so der Komponist anlässlich seines 90. Geburtstages. Stets präsent sei etwa der siebenteilige Orchesterzyklus Spiegel, entstanden 1960/61. Als eine der ersten Kompositionen, in denen mit großen Klangflächen gearbeitet wurde, gab Spiegel nicht nur Cerhas eigenem Komponieren eine entscheidende Wendung. In die Entstehungszeit dieses
elementaren Werks fällt der Beginn der Unterrichtstätigkeit an der heutigen mdw, damals Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien, wo Cerha ab 1959/60 unter anderem das Praktikum für zeitgenössische Musik und später den Sonderlehrgang für elektronische Musik leitete. 1976 wurde er zum ordentlichen Professor für Komposition, Notation und Interpretation Neuer Musik ernannt, zu seinen Schülern zählten Karlheinz Essl, Christian Ofenbauer und Georg Friedrich Haas.

Forscht man im umfangreichen Vorlass des Komponisten nach seiner Tätigkeit an der mdw, stößt man neben den Gutachten von Friedrich Wildgans, Hanns Jelinek oder Karl Schiske, die anlässlich der Bewerbung um den Lehrauftrag erstellt wurden, auch auf ein Subventionsansuchen zur Finanzierung eines Ausbaus des „Akaphons“, jenes elektronischen Musikinstruments, welches im elektroakustischen Studio entstand und heute im Technischen Museum Wien zu besichtigen ist. Unter den zahlreichen handschriftlichen Entwürfen findet sich auch jener zu einem Exposé aus dem Jahr 1966, in dem sich Cerha unter anderem für die Beteiligung der Schlagzeugklassen an seinem Praktikum und die Anschaffung von Schlagwerken einsetzt – im Übrigen mit Erfolg. Unter dem Titel Zum Problem eines sinnvollen Unterrichts in Neuer Musik an unserer Hochschule fragt sich Cerha in gewohnt direkter und pointierter Manier, „warum die erste Musikschule des Landes schlechter ausgestattet sein muß als irgendein Kurorchester oder die Band im erstbesten Nachtlokal um die Ecke […]“, denn mit den vorhandenen Instrumenten könne kein Werk der Neuen Musik aufgeführt werden.

Cerha Handschrift
Ausschnitt aus dem handschriftlichen Entwurf aus „Zum Problem eines sinnvollen Unterrichts in Neuer Musik an unserer Hochschule“ ©Archiv der Zeitgenossen

Passend dazu der Tätigkeitsbericht des Praktikums für zeitgenössische Musik, in dem Cerha deutlich macht, wie wichtig es sei, dass Neue Musik tatsächlich „musiziert“ werde, „offen und unbeschwert von Vorurteilen und frei vom Ballast theoretischer oder pseudowissenschaftlicher Schlagworte“. Historisch gesehen als Reaktion auf damals aktuelle Strömungen in der Neuen Musik lesbar, klingen die Formulierungen Cerhas aus dem Jahr 1959 noch immer aktuell und gültig: „Gewiß ist der geistige Kontakt von eminenter Bedeutung, aber um mit den Sinnen Zugang zu finden – und das ist Voraussetzung einer echten Zuneigung –, dazu muß man sein Instrument in der Hand haben.“

  • Der Vorlass von Friedrich Cerha ist im Archiv der Zeitgenossen – Sammlung künstlerischer Vor- und Nachlässe an der Donau-Universität Krems öffentlich zugänglich.
    archivderzeitgenossen.at
  • Aktuell ist eine Aufnahme von Friedrich Cerhas Eine Art Chansons mit HK Gruber als Chansonnier bei Kairos erschienen.
    kairos-music.com

 

Veranstaltungshinweis

Porträt-Konzerte mit Friedrich Cerha inkl. Komponistengespräch

Mittwoch, 22. Mai 2019, 18.00 Uhr
Arnold Schönberg Center
Zaunergasse 1-3
1030 Wien

Freitag, 24. Mai 2019, 18.00 Uhr
Joseph Haydn-Saal
mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Anton-von-Webern-Platz 1
1030 Wien

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