Einblick in die quantitative medien- und filmwissenschaftliche Forschungsarbeit Moving The Needle. Repräsentation und Darstellung von Gender und Diversität im österreichischen Spielfilm der Jahre 1997–2017 an der Filmakademie Wien.
Das Institut für Film und Fernsehen – die Filmakademie Wien der mdw, bekannt für exzellente künstlerische Ausbildung im Film und Entstehungsort vieler renommierter filmischer Arbeiten, ist seit 2012 ebenfalls wissenschaftliche Heimat für den kleinen, aber feinen Fachbereich für Medien- und Filmwissenschaft unter der Leitung von Claudia Walkensteiner-Preschl. Neben dem Modul Medien- und Filmwissenschaft, das die künstlerischen Bachelor und Masterstudien wissenschaftlich-theoretisch unterstützt und begleitet, liegt die Kernaufgabe des Fachbereichs im Bereich der Forschung durch die Doktoratsstudierenden. Diese Forschung umspannt ein diverses Feld von Filmanalyse, feministischer Filmtheorie, über filmhistorische Fragestellungen bis hin zu Artistic Research und neuerdings quantitativen Studien und Methodenentwicklung in der Forschung über Film.
Das Konzept der quantitativen Forschung über Film, um evidenzbasierte Daten sowohl auf methodischer, als auch inhaltlicher Ebene durch eine transdisziplinäre Methodologie zu generieren, ist ein relativ junger, aber sehr vielversprechender und teilweise zu stark vernachlässigter Teil der mehrheitlich qualitativ arbeitenden Filmwissenschaft und als solcher bisher eher in der Medienwissenschaft als Sozialwissenschaft verankert (Redfern, 2014).
Seit den Anfängen der feministischen Filmtheorie und -wissenschaft in den späten 1960er- und 1970er-Jahren, unter anderem eingeleitet durch den wegweisenden Essay Visuelle Lust und narratives Kino von Laura Mulvey (1975), hat sich zwar die Forschung im Feld der feministischen Filmwissenschaft, Genderstudies und Diversität gemeinhin universitär etabliert, in der Praxis besteht jedoch weiterhin eine klar feststellbare Ungleichheit in der Repräsentation von Geschlechtern sowie in der Darstellung von Diversität im Film (Friedman, Daniels & Blinderman, 2015) ebenso wie in der Repräsentation von Frauen als Autorinnen und Filmemacherinnen (Flicker & Vogelmann, 2018; Smith et al., 2018; Prommer & Linke, 2017). Vor allem im Bereich Kunst und Medien fehlen oft Fakten – quantitative Studien, die transparente Daten über herrschende Verteilungen in der Kulturbranche liefern sowie Methodologien, diese Daten reliabel zu generieren.
Die Doktoratsstudierende Barbara Wolfram widmet sich diesem Forschungsfeld in ihrer Dissertation, indem sie den Fokus auf die Erhebung der On-Screen-Faktoren (also das, was auf dem Screen zu sehen ist) legt. Transdisziplinär forschend, überträgt sie psychometrische Theorien zur Erfassung von latenten (nicht direkt beobachtbaren) Persönlichkeitsmerkmalen aus der differenziellen Psychologie (Stemmler et al., 2016) auf latente Eigenschaften von Filmen in Hinblick auf deren Darstellung und Repräsentation von Gender und Diversität auf deskriptiver (Besetzung, Dialoganteile, Bildanteile) sowie auf inhaltlicher Ebene (Dramaturgie, Figurencharakteristik, Aufbau des Films). Dies erfolgt durch die Entwicklung eines On-Screen-Erhebungsinstruments unter Einbeziehung testkonstruktivistischer Methodologie.
Eine quantitative Längsschnittanalyse der Spielfilmarbeiten in Österreich über einen repräsentativen Zeitraum (1997–2017) gibt die Möglichkeit, das Testinstrument methodisch auf seine Testgüte (Qualität eines Messinstruments) hin zu überprüfen und mit Off-Screen-Daten (Besetzung, Stabstellen, Budget) zu vergleichen. Bis dato gibt es kein Standardinstrument für die Erhebung solcher Daten, ebenso liegen keine quantitativen On-Screen-Daten für den österreichischen Raum über einen Zeitraum, der länger als fünf Jahre ist, vor. Die Erhebung schließt somit ebenfalls eine Lücke in der filmhistorischen Forschung über den österreichischen Spielfilm.
Film greift auf die Wirklichkeit zurück und kreiert in diesem Rückgriff wiederum eine mögliche Wirklichkeit. Wie diese Wirklichkeit aussieht, welche (Un-)Möglichkeiten sie in sich trägt und als (Un-)Möglichkeitsraum projiziert, hängt von den Menschen ab, die Filme machen. Dass dieser geschaffene Möglichkeitsraum ein offener, inkludierender und fairer Raum ist, hängt von der Forschung, von der Lehre und von einer Kulturpolitik ab, die evidenzbasierte Entscheidungen über die Geschichten und die Wirklichkeiten trifft, die durch Finanzierungen auch geschaffen und gesehen werden. Der Film und die darin gezeigten Geschichten, Inhalte und Menschen haben die Kraft, eine Vision für die Gegenwart und Zukunft zu geben. Ungleichheit, Diskriminierung und Marginalisierung haben in einem zeitgemäßen filmischen Schaffen keinen Platz mehr. Visuelle Repräsentation vermittelt Wertigkeiten, und Wertigkeiten eröffnen Möglichkeitsräume durch die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird. Film hat daher die Verantwortung, Verantwortung zu übernehmen.
Wolfram sieht in ihrer Forschung die Möglichkeit, einen wichtigen Teil zu dieser Vision beizutragen und durch die Forschungsarbeit andere Menschen und vor allem Film- und Kunstschaffende zu einer Verantwortungsübernahme im Sinne einer gleichgestellten, fairen und inklusiven Welt zu motivieren.
Quellen:
Flicker, E. & Vogelmann, LL. (2018). Österreichischer Film Gender Report 2012–2016. Österreichisches Filminstitut, Bundeskanzleramt Österreich, Sektion II Kunst und Kultur.
Friedman, L., Daniels, M. & Blinderman, I. (2015). Hollywood’s Gender Divide and its Effect on Films. Examining the Gender of Writers, Producers, and Directors who make films that fail the Bechdel Test. Polygraph.
Mulvey, L. (1975). Visual Pleasure and Narrative Cinema. Screen, 16 (3), 6–18.
Prommer, E. & Linke, C. (2017). Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland. Institut für Medienforschung, Universität Rostock.
Redfern, N. (2014). Quantitative methods and the study of film. Invited Lecture, Unversity of Glasgow.
Smith, S., Choueiti, M. Pieper, K., Case, A., & Choi, A. (2018). Inequality in 1,100 Popular Films: Examining Portrayals of Gender, Race/Ethnicity, LGBT & Disability from 2007 to 2017. USC Annenberg Inclusion Initiative, Los Angeles.
Stemmler, G., Amelang, M., Hagemann, D., Spinath; F., Hasselhorn, M., Kunde, W. & Schneider (Hrsg.), S. (2016). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. Kohlhammer, 8. Auflage, Stuttgart.