Am 29. November 2019 wurde das Music and Minorities Research Center (MMRC) nach einer mehrmonatigen internen Konzeptionsphase feierlich eröffnet. Vorhergegangen war dem im Jahr 2018 die Auszeichnung Ursula Hemeteks mit dem Wittgenstein-Preis für ihre Pioniertätigkeit auf dem Gebiet der ethnomusikologischen Minderheitenforschung mit gesellschaftspolitischer Relevanz. Mit dem Preisgeld von 1,4 Millionen Euro soll diese Forschungsrichtung nachhaltig verankert werden und nun ist der erste Schritt dazu getan.

Ursula Hemetek © Stephan Polzer

Von Mai bis November 2019 arbeiteten Ursula Hemetek und ihr Team an der Konzeptualisierung des Forschungszentrums. Dabei wurden insbesondere Definitionen zentraler Begriffe, Leitlinien für die Forschung, aktuelle Schwerpunkte sowie die Grundstruktur des Zentrums entwickelt. Ganz wesentlich ist die internationale Ausrichtung des Zentrums. Demzufolge wurde ein Beirat installiert, der renommierte Forscher_innen auf dem Gebiet der ethnomusikologischen Minderheitenforschung aus vier Kontinenten vereinigt. Dieser Beirat trug wesentlich zur Konzeptualisierung bei und wird auch weiterhin beratend tätig sein.

Die Minderheitendefinition des MMRC ist sehr breit angelegt und umfasst alle marginalisierten Gruppen/Individuen einer Gesellschaft, die Diskriminierung ausgesetzt sind. Diese Definition bleibt Gegenstand von Diskussionen, weil sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen ständig ändern und somit eine Anpassung der Definition notwendig sein kann.

© Stephan Polzer

Die definierten Leitlinien der Forschung im MMRC sind innerhalb des internationalen Mainstreams des Faches Ethnomusikologie als sehr fortschrittlich anzusehen. Hier wird „engaged ethnomusicology“ betrieben, eine Forschung, die nach Möglichkeiten sucht, auch außerhalb des universitären Bereichs eine Zuhörer_innenschaft zu finden. Sie möchte zur Verringerung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt über kulturelle Ausdrucksformen, insbesondere Musik, beitragen.

Ethnomusikolog_innen arbeiten gleichermaßen mit Menschen und mit deren Musik. Das MMRC versteht Feldforschung als einen Prozess, der unterschiedliches mitgebrachtes Wissen umfasst – das Wissen der Forschungspartner_innen ebenso wie jenes der Forscher_innen –, das jeweils gleichberechtigt in die Forschung einfließt. Dieses Prinzip wird als dialogische Wissensproduktion bezeichnet.

Ulrike Sych © Stephan Polzer

Drittens ist es für das MMRC wesentlich, Machtungleichheiten entgegenzuwirken. Im Bewusstsein darüber, dass beispielsweise struktureller Rassismus, Kolonialismus und Heteronormativität auch in musikalischen Zusammenhängen Machtungleichgewicht und Hegemonie erzeugen und aufrechterhalten, denkt das Forschungszentrum ethnomusikologische Theorien und Methoden neu, um Zugänge, die solche Strukturen stützen, sichtbar zu machen und zu vermeiden. Alle Forschungsprojekte, die am MMRC in der Zukunft stattfinden werden, folgen diesen drei Grundprinzipien.

Cornelia Kogoj © Stephan Polzer

Die generelle Forschungsfrage für alle Unternehmungen im MMRC lautet: Was sind die (sich ständig verändernden) Bedeutungen und Werte von Musik von und für marginalisierte Gruppen und Einzelpersonen?

Die Themen der nächsten Zukunft orientieren sich einerseits an politischer Aktualität – so werden Musik und Flucht im Fokus stehen – und andererseits an bereits vorhandener Expertise: Musik und Migration im urbanen Raum Wien ebenso wie Romamusik. Die beiden letzteren Themen wurden in Forschungsprojekten am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie bereits bearbeitet, und so kann auf fundierten Ergebnissen aufgebaut werden.

Neben den Forschungsprojekten, die, um die Nachhaltigkeit des Zentrums zu sichern, vor allem von Nachwuchswissenschaftler_innen durchgeführt werden, sind ein Journal sowie eine jährliche MMRC Lecture geplant, beide inhaltlich miteinander verwoben.

musicandminorities.org

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