Die Lehrenden des neu gegründeten Instituts für Alte Musik an der mdw sind erfahrene Profis mit langjährigen Expertisen auf diesem Gebiet. Dem mdw-Magazin geben sie vielfältige Einblicke in ihr Verhältnis zur Alten Musik.
Seit den 1950er-Jahren entwickelte sich die historische Aufführungspraxis samt wissenschaftlich fundierter Auseinandersetzung mit Alter Musik stetig wachsend zu einer Sparte, die auch im täglichen Konzert- und Festivalbetrieb ein fixer Bestandteil unserer Kulturlandschaft geworden ist. Ob Originalklang-Abonnements an den großen Wiener Konzerthäusern, ob traditionsreiche Festivals in Wien, Innsbruck, Melk und an vielen anderen Standorten – die Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks erklingt vielerorts neu und überraschend lebendig.
Kammersänger Michael Schade bringt es auf den Punkt. „Die sogenannte Alte Musik lebt extrem in der Gegenwart oder besser gesagt im Moment, da die Instrumente damals einen im Vergleich zu heutigen ‚modernen‘ Instrumenten zerbrechlicheren Klang hatten“, erklärt er. Und weiter: „Es kommt auf die Schulung in der Alten Musik an. Die stilistische und technische Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis ist der Schlüssel zu schönem Singen überhaupt.“
Der persönliche Weg zur Alten Musik verlief bei den Lehrenden jeweils unterschiedlich. War es bei Schade die Schallplattensammlung des Vaters sowie das Musizieren als Chorknabe, die seine Klangvorstellungen prägten, so fand der Geiger Hiro Kurosaki später im Leben, nach seiner klassischen Ausbildung bei Franz Samohyl, zu diesem Weg. „Als ich mich der historischen Aufführungspraxis zuwandte, wurden mir die Vorteile dieser noch aus dem 18. Jahrhundert tradierten Violintechnik bewusst“, erläutert Kurosaki und nennt als Beispiele „historische Fingersätze, Portamenti, gute Artikulation“ und „einen vollen, aber niemals forcierten Ton“. Augusta Campagne berichtet gar, dass das „typische Klavierrepertoire“ sie „nie sonderlich interessiert“ habe. Stattdessen verliebte sie sich in ein Cembalo, nahm Unterricht und ging nach Basel an die Schola Cantorum Basiliensis. Johannes Weiss wiederum war als Chorleiter und vielseitig Musizierender sehr beschäftigt, als „plötzlich mehrere CD-Aufnahmen in dieses Tausendsassa-Leben platzten“. „Sie veränderten meine Hörgewohnheiten, mein Verständnis von Musik und mein Selbst unwiderruflich“, beschreibt der Cembalist, Sänger und Gambist diese Erfahrung eindringlich.
Als Vorbilder und Weggefährten nennen die Lehrenden des neuen Instituts unter anderen Eugen Jochum, Frans Brüggen, Trevor Pinnock, Christopher Hogwood, John Eliot Gardiner, Neville Marriner, Gustav Leonhardt, René Clemencic, Bernhard Klebel, Paul McCreesh, Lars Ulrik Mortensen, John Holloway, Jaap ter Linden und Gérard Lesne.
Einer war und ist für alle eine wesentliche Leitfigur: Nikolaus Harnoncourt. Für den Cembalisten Erich Traxler haben „Harnoncourt und die Alte-Musik-Pioniere seiner und der Vorgänger-Generation den ästhetischen Zugang zu ganzen Epochen von Musik revolutioniert“.
Zu den spezifischen Werten im Unterricht am neuen Institut hat Traxler eine klare Vision. Er will „jungen Menschen dabei helfen, substanzielle und fruchtbare Quellen für ihre individuelle Suche nach dem Unerhörten zu finden“. Auf der Basis von Harnoncourts wegweisendem Buch Musik als Klangrede und einer Vielzahl von musikalischen Dialekten, verbunden mit einer „schier unerschöpflichen Quellenlage“ sieht er „für junge Studierende die große Chance, ihre eigene Ausdrucksweise durch die Beschäftigung mit den subtilen Details und Nuancen dieser musikalischen Klangrede zu verfeinern und zu schärfen“.
Johannes Weiss zeigt sich begeistert von den „unglaublich vielen interessanten und interessierten Studierenden“ sowie vom reichen Instrumentenangebot der mdw: „Ein Haus voller fantastischer Cembali, mit Barockgeigen, -bratschen und -celli, mit Chalumeaus, Naturtrompeten, Barockoboen und historischen Flöten.“ Das Generalbass-Spiel, wie es Augusta Campagne praktiziert und lehrt, versteht sie als „geführte Improvisation, wofür man sich einiges an Wissen aneignen muss über Stil, Stimmführung und Kompositionstechniken“. Ihre Studierenden sollen „verstehen lernen, was die anderen Musiker_innen wollen, und das in ihrem Spiel umsetzen, aber gleichzeitig auch die Oberstimmen-Spieler_innen führen“. Auch für Michael Schade ist die Flexibilität ein wichtiger Faktor. Ihm geht es darum, „wie ich meine Stimme auf verschiedenes Repertoire anpasse – sprich, wie singe ich Mozart im Vergleich zu Schubert, Bach, Telemann, Dowland oder Byrd. Es hilft extrem, sich auf die verschiedenen harmonischen, sprachlichen und stilistischen Sprachen der Komponisten und ihrer Zeit einzulassen und diese zu verstehen.“
Und die Zukunft der Alten Musik? Augusta Campagne sieht sie „mittlerweile teilweise schon im Mainstream angekommen, vor allem in Westeuropa“. Sie steht dieser Entwicklung kritisch gegenüber: „Leider heißt das auch, dass die Musik oft in Sälen gespielt wird, die dafür eigentlich gar nicht geeignet sind. Dann macht man wieder Kompromisse, wodurch einiges verloren geht.“ Nach Erich Traxlers Befund „ist die Alte-Musik-Bewegung bereits selbst zu einer Institution geworden, die zunehmend auch kritisch betrachtet wird“. Die Gründe dafür: „Ein gewisses Standardrepertoire, vor allem des frühen 18. Jahrhunderts, und etablierte dazu gehörende Parameter wie Instrumentarium, Besetzungen und Spielweisen.“ Michael Schade zufolge ist die Zukunft der Alten Musik bereits hier, denn traditionsreiche Orchester wie die Wiener Philharmoniker und andere in Europa, den USA und Japan „haben längst ihren Klang und ihre Spielweise geändert und angepasst. Große Sänger_innen nehmen mit Vorliebe Dirigent_innen sowie Ensembles aus der Alten Musik, um tolle Alben und Projekte zu verwirklichen. Oft ist es das Wendige und Spritzige oder das besonders zerbrechlich Innige in der Alten Musik, das uns besonders anspricht. Genau dies an meine Studierenden weiterzugeben, ist mein persönliches Ziel.“
Dass alle Lehrenden hoch motiviert an ihre Aufgaben herangehen, bringt Erich Traxler in seinem Statement zum Ausdruck: „Meine Vision ist, dass das Institut für Alte Musik an der mdw profilierte Musiker_innen in das Konzertleben entlässt, die diese Ästhetik der vergangenen Jahrhunderte allgemein auf hohem Niveau verinnerlicht haben und zugleich in Teilbereichen Expert_innen mit tiefgründiger Erfahrung geworden sind. Damit werden sie Werte und Qualitäten an das Publikum vermitteln, die substanziell und von Dauer sind.“ Für Hiro Kurosaki „schließt sich mit der Gründung des Instituts der Kreis der langen Geschichte der mdw, der über hundert Jahre alten Beschäftigung mit der Alten Musik in Wien und mit dem meines eigenen Lebensweges“.