Seit Mitte Mai ist Burgschauspielerin Maria Happel offiziell die neue Leiterin des Max Reinhardt Seminars. Mit ihrer Stellvertreterin Annett Matzke, Professorin für Sprachgestaltung, will sie an der legendären Schauspiel- und Regieschule in den kommenden Jahren vor allem den Ensemblegedanken stärken. Mit dem mdw-Magazin sprachen Happel und Matzke über das Seminar als Schiff, die Aufgabe alter Zauberer und über die Frage, warum das Du am Haus abgeschafft wurde.
Ihr neues Eckbüro im Max Reinhardt Seminar ist Maria Happel mittlerweile wohlvertraut. Doch in ihrer neuen Position ist der Publikumsliebling des Burgtheaters in gewissem Sinne Erstsemestrige. Schließlich wurde die 57-Jährige am 18. Mai offiziell zur neuen Leiterin der legendären Schauspiel- und Regieschule bestellt. Der Nimbus der Eliteschule sei dabei für sie durchaus ambivalent, gesteht Happel: „Es geht einerseits darum, sich an unserem Gründer Max Reinhardt zu orientieren, andererseits kann ich nicht erstarren unter der Last und dem Druck, dass wir hier einen so großen Namen haben.“ Tradition schließe für sie Innovation aber nicht aus, sondern bewirke diese geradezu.
Sie wolle dem großen, renommierten Tanker vorsichtig eine neue Richtung geben, greift Happel zur nautischen Metapher. „Das Reinhardt Seminar ist ein Schiff in voller Fahrt. Da kann man nicht plötzlich kommen und sagen: ,Hallo, ich bin der neue Kapitän, und wir machen nun eine vollkommene Kehrtwende.‘ Das würde das Ganze zum Kentern bringen.“ Als erfahrene Steuerfrau steht der neuen Kapitänin Annett Matzke zur Seite, die bereits seit dem Jahr 2004 am Haus unterrichtet. Auch wenn beide unabhängig voneinander in ihren neuen Ämtern bestätigt wurden, war Matzke doch Happels Wunschkandidatin.
Die Teamarbeit gilt dabei nicht nur für die Spitze, sondern ist für die gebürtige Deutsche zentraler Kern ihrer Vision einer idealen Schauspielschule: „Für mich ist der Ensemblegedanke entscheidend. Und das erste Ensemble in der Karriere der angehenden Schauspieler_innen lernen sie hier kennen.“ Dieses respektvolle Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, sei die Aufgabe des Seminars: „Niemand kann allein einen König spielen. Den spielen immer die anderen.“ Sie selbst habe noch viele Theaterensembles erleben dürfen, in denen man als junge Künstlerin an die Hand genommen wurde. „Das ist vielleicht ein wenig verloren gegangen“, bedauert Happel.
Der respektvolle Umgang miteinander dürfe dabei nicht mit Distanzlosigkeit verwechselt werden, unterstreicht die neue Leiterin: „Deshalb habe ich im Reinhardt Seminar die Sie-Form wieder eingeführt.“ Das berge die Möglichkeit eines theatralen Vorgangs zum Abschluss der Schule in sich: „Wenn wir einen Jahrgang verabschieden, können wir uns verbrüdern. Ich biete dann als ältere Kollegin das Du an. Ab diesem Zeitpunkt ist man auf Augenhöhe.“ Denn letztlich lasse sich die Grundidee des Reinhardt Seminars in einem Satz zusammenfassen: „Wir wollen kluge und gebildete Menschen in die Welt schicken.“
Dieser ganzheitliche Ansatz schließt dabei das eigentliche Rüstzeug des angehenden Schauspielers oder der künftigen Regisseurin keineswegs aus, im Gegenteil. „Wichtig ist, dass die Studierenden ein gutes Handwerk lernen. Das ist zeitlos – unabhängig von den Moden am Theater“, stellt Matzke klar. Ein abgehender Reinhardt-Absolvent oder eine -Absolventin müsse die unbewusste Kompetenz erworben haben, Körper und Stimme als Instrumente einzusetzen.
Dies ist ohne Disziplin und Fleiß nicht zu erreichen. So stünden bisweilen jene mit 30 Prozent Begabung, aber großem Fleiß am Ende bei 90 Prozent, während diejenigen mit 70 Prozent Begabung und dem Hang zur Faulheit stagnierten. Welche ihr am Ende lieber sind? „Diejenigen, die 70 Prozent Begabung haben und fleißig sind. Die gibt es nämlich auch“, lacht Happel.
Zugleich bleibt auch für die beiden erfahrenen Theaterexpertinnen stets ein gewisses Momentum des Undefinierbaren. „Das ist der Punkt der Ausstrahlung. Manche haben sie nicht, auch wenn sie noch so viel ackern und arbeiten“, versucht Matzke sich an einer Umschreibung. Es gebe eben Unerklärliches wie etwa den Idealzustand, dass ein Theaterabend „flirrt“, pflichtet auch Happel bei: „Das lässt sich nicht planen, aber diesen Moment herzustellen, das versuchen wir mit unserem Handwerkszeug. Wir kommen immer nahe ran – und manchmal klappt es.“
Am Ende müsse man konstatieren, dass der Schauspielberuf einfach viel mit Magie zu tun habe – weshalb man am Reinhardt Seminar auch auf die erfahrene Magiergilde setzt. „Zu meiner Vision der Schauspielschule gehört, dass die alten Zauberer den Jungen die Geheimnisse ins Ohr flüstern müssen“, greift Happel zu einem poetischen Bild. In diese Kerbe schlägt etwa ein neues Format unter dem Titel „Alte Meister“, bei dem Größen der Theaterwelt dem Nachwuchs ihre Ideen vermitteln.
Denn auch wenn der Bereich Film unter der Ägide von Happel und Matzke in der Ausbildung gestärkt werden soll, steht für die neue Seminarchefin das Theater als solches im Fokus: „Für Max Reinhardt war es ein Urtrieb des Menschen, Theater zu spielen und zu schauen. Und diesen Glauben an die Unsterblichkeit des Theaters haben wir übernommen.“
Dass zu dieser Glaubensgemeinschaft im Falle des Max Reinhardt Seminars auch Regie-Studierende gehören, ist für Happel ein Alleinstellungsmerkmal, das essenziell für das Selbstverständnis des Hauses ist. „Wir gehen wie Reinhardt davon aus, dass in jedem guten Regisseur und jeder guten Regisseurin auch ein guter Schauspieler bzw. eine gute Schauspielerin steckt. Und es kann keinem Regisseur und keiner Regisseurin schaden, zu wissen, was die Arbeit für die Schauspieler_innen bedeutet.“
Und dann birgt dieser Umstand für die große Schauspielerin Maria Happel augenzwinkernd auch noch einen positiven Nebenaspekt: „Wir haben die Regisseurinnen und Regisseure der Zukunft hier am Haus, die uns dann hoffentlich auch im Alter besetzen. Ich arbeite also auch an meiner eigenen Altersvorsorge.“