Jane Austen Meets Karaoke
Jane Austen und Karaoke – eine ungewöhnliche Kombination? Durchaus. Und das gelingt mitreißend. Mit Stolz und Vorurteil* (*oder so) lieferte die britische Autorin Isobel McArthur eine erfrischende Adaption des weltberühmten Romans von Jane Austen, in der fünf Schauspielerinnen auf der Bühne alles geben – in zahlreichen Rollen, mit musikalischen Einlagen und den scharfzüngigen Austen-Dialogen. Caroline Baas, Johanna Mahaffy, Maya Unger, Lili Winderlich und Wiebke Yervis, Studentinnen des Max Reinhardt Seminars, nehmen unter der Regie der aus London stammenden Regisseurin Lily Sykes das Publikum mit in das turbulente Liebesleben der Protagonistinnen, das geprägt ist vom gesellschaftlichen Druck auf Frauen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das mdw-Magazin hat mit Regisseurin Lily Sykes und Schauspielerin Wiebke Yervis gesprochen.
„Stolz und Vorurteil war mein absoluter Lieblingsroman als Jugendliche. Ich wollte diesen Stoff immer am Theater inszenieren“, sagt Lily Sykes. Für die Kooperation des Max Reinhardt Seminars mit dem Burgtheater schlug sie daher Isobel McArthurs erfolgreiche Bearbeitung vor. Im 1813 erschienenen Roman Stolz und Vorurteil geht es um die fünf Töchter der wohlhabenden Familie Benett. Das Wichtigste in ihrem Leben soll die Heirat mit einem reichen und hochrangigen Mann sein. Würde ihr Vater sterben und die Bennett-Töchter wären unverheiratet, wären sie mittellos, da gesetzmäßig das Erbe nur in männlicher Linie weitergegeben werden darf. „Keine andere Schriftstellerin hat ihren Blick so einzigartig auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und privaten Beziehungen in der damaligen Gesellschaft gerichtet wie Jane Austen“, sagt Lily Sykes.
In Isobel McArthurs Stück werden sämtliche Rollen von fünf jungen Schauspielerinnen gespielt und die Handlung wird aus der Perspektive der Dienstmädchen des Bennett-Haushaltes erzählt. Die Bediensteten wissen zwar alles aus dem Leben ihrer Vorgesetzten, selbst haben sie aber keine Chance auf Verwirklichung ihrer (romantischen) Träume. Die Herausforderung für die Schauspielerinnen ist zweifelsohne die Anzahl und Unterschiedlichkeit der Rollen. Jede Spielerin hat zwei bis fünf Rollen, männliche wie weibliche in unterschiedlichem Alter. Zwischen den Rollen wird im rasanten Tempo inklusive häufiger Kostümwechsel und großzügigem Einsatz von Requisiten changiert. Eine große Frage in der Erarbeitung der Rollen warf die Darstellung der männlichen Figuren auf. Lily Sykes dazu: „Es geht weniger um die Haltung oder Körperlichkeit, die für eine männliche Figur bestimmend sind, sondern vielmehr darum, dass ein Mann sich selbstverständlich seinen Platz im Raum nimmt, während eine Frau nicht mit dieser Selbstverständlichkeit tut.“ Die Arbeit mit der Regisseurin beschreibt Wiebke Yervis als sehr abwechslungsreich: „Ein zweitägiger Clown-Workshop vor Beginn der Proben stimmte uns darauf ein, wie die Proben sein werden: sehr viel Gesang und Improvisationsspiele mit dem Ziel, die Angst vor der Lächerlichkeit zu verlieren.“ Die Figuren im Stück erleben vielerlei Wendungen in ihren Liebesschicksalen und stellen sich dabei nicht gerade geschickt an. „Das Schöne am Stück ist, dass die großartigen Figuren durch ihre Fehler zu ihren Erkenntnissen gelangen. Verletzlichkeit auf der Bühne zu zeigen, ist in unserer auf Perfektion ausgerichteten Welt besonders spannend für mich“, erläutert Lily Sykes. Ein Vorteil in der Arbeit mit den Schauspielstudierenden war für die Regisseurin deren unbändige Spiellust. „Die Arbeit mit den Studierenden war inspirierend für mich. Ihr Ehrgeiz und ihre Spielfreude verleihen der Darstellung eine große Lebendigkeit“, sagt Sykes. Wiebke Yervis erzählt von den Proben: „Die Arbeit startete ungewöhnlich, indem wir wöchentlich das ganze Stück durchspielten, auch wenn wir den Text noch nicht beherrschten. Das war wie Hochleistungssport: Wir mussten vier Stunden auf der Bühne stehen, der Text wurde mit einem Beamer an die Wand projiziert und dann musste jede von uns – egal, was dann passierte – einfach weitermachen. Dadurch kamen wir gar nicht erst zum Denken, wir spielten einfach.“
Die fünf Schauspielerinnen sind im Stück musikalisch stark mit Karaoke-Gesang und Solo- sowie Bandperformances mit verschiedenen Instrumenten im Einsatz. „Die Figuren nutzen die Musik sehr bewusst, wenn die Sprache nicht ausreicht, um auszudrücken, was sie fühlen“, erklärt Sykes. „Dabei geht es nicht um musikalische Perfektion, sondern darum, das Innenleben aufzuzeigen“, ergänzt Wiebke Yervis. Gesang ist ein bedeutender Bestandteil des Schauspielstudiums am Max Reinhardt Seminar. „Der Gesangsunterricht zieht sich durch das ganze Studium, was wichtig ist, da Schauspieler_innen immer mehr gesanglich auf der Bühne eingesetzt werden“, so Yervis.
Im Stück werden die Figuren während ihrer musikalischen Darbietungen mitunter auf absurde Weise von den anderen unterbrochen. Absurdität und Komik – sind das besondere Herausforderungen für die Regie? „Das Wichtigste und zugleich Schwierigste am Stück ist das Timing. Die Schauspielerinnen müssen sehr schnell und punktgenau sein. Es ist fast wie ein Tanz, bei dem sich die Schauspielerin auf sich selbst und gleichzeitig auf ihre Partnerin fokussieren muss“, sagt Lily Sykes. Der Anspruch auf Perfektion wird im Stück bewusst außer Acht gelassen, da durch das irrwitzige Tempo der Inszenierung durchaus Fehler passieren, die wiederum Komik erzeugen. „Das Stück ist so geschrieben, dass niemals alles glattgehen kann. Es wird immer irgendein Kostümwechsel nicht funktionieren, ein Mikrofon außer Gefecht gesetzt sein oder eine Vase auf der Bühne unbeabsichtigt zerbrechen. Der Reiz liegt vor allem darin, mit solchen Missgeschicken umzugehen und sie gemeinsam zu nutzen“, erklärt die Studierende.
Die Aktualität von Austens Stoff bezieht sich auf den hohen Stellenwert von Geld und sozialer Zugehörigkeit und dem damit verbundenen „Erfolg“ auf dem sogenannten Liebes- und Heiratsmarkt. „Geld und Klasse sind immer noch bestimmend dafür, ob und wie Beziehungen funktionieren, in einer Welt, in der so getan wird, als wäre dem nicht so“, sagt Sykes. Der damalige gesellschaftliche Druck auf Frauen, den Normen zu entsprechen und die Stigmatisierung, wenn sie aus vorgegebenen Rollen ausbrechen wollen, zeigt sich anhand von Figuren wie Mary, die nicht heiraten will oder Elisabeth, die unverblümt unbequeme Wahrheiten ausspricht. In heutigen Frauenleben hat sich der gesellschaftliche Druck nicht verringert. „Das Gefühl, nichts wert zu sein, wird immer noch vielen Frauen vermittelt und die Vorstellung, dass Heirat das große Ziel im Leben einer Frau sein muss, ist immer noch präsent“, meint Sykes.
Dank der engagierten Theaterarbeit von Lily Sykes und dem temperamentvollen Spiel der fünf Schauspielerinnen des Max Reinhardt Seminars bekommen wir Einblicke in das Leben der Frauen zu Austens Zeit mit relevanten Erkenntnissen für moderne Geschlechterverhältnisse – witzig und effektvoll auf die Bühne gebracht im Kasino am Schwarzenbergplatz.