Unter dem Motto „Veränderung als Motor“ kämpft die erfolgreiche und authentische Sängerin, Bandleaderin und Komponistin für bessere Arbeitsbedingungen in ihrer Branche sowie für soziale Gerechtigkeit. Eine couragierte, kraftvolle Frau, die mit ihrer Kunst – im wahrsten Sinne des Wortes – Grenzen überwindet.
„Ich bin von Natur aus ein neugieriger und flexibler Mensch. Diese Eigenschaften wurden bestärkt durch meine Lebenserfahrung und die verschiedenen Kulturen, in denen ich gelebt habe.“ Geboren und aufgewachsen im Iran mit Persisch als Muttersprache, setzt die vielseitige Künstlerin ihren Lebensweg später in Kanada und Österreich fort. Im vierten Jahr ihres Biologiestudiums an der York Universität in Toronto, entdeckt Golnar Shahyar eine enorme kreative Energie in sich sowie den brennenden Wunsch, sich auszudrücken und anderen mitzuteilen. Sie beschließt ihr Leben der Musik zu widmen und verlegt ihren Lebensmittelpunkt nach Wien. Bis sie sich schließlich in ihrer Identität als Musikerin findet, dauert es jedoch viele Jahre. „Musikerin zu sein ist ein Lebensstil und eine Philosophie. Ich lebe, was ich tue und ich tue, was ich lebe. Für mich ist der Prozess immer noch im Gang.“
Ich habe die Rebellion aus dem Iran, die Freiheit und den Mut aus Kanada und den Widerstand und den Wunsch nach Selbstdarstellung aus Österreich.
Am Vienna Konservatorium widmet sie sich zunächst den klassischen Arien und Liedern. „Ich war ein besonderer Fan der Oper Carmen und ich mochte die Art, wie es sich in meinem Körper beim Singen anfühlte.“ Schnell wird ihr jedoch klar, dass sie in der europäisch klassischen Musiktradition nicht sie selbst sein kann. Sie beginnt ihre musikalischen Wurzeln mit Folklore, Jazz, Experimental- und improvisierter Musik zu verbinden. Ihre musikalische Muttersprache ist das mikrotonale System, auf das sie sich jedoch nicht begrenzt. „Ich bin ein Mensch, der sich für vieles begeistern kann, und ich betrachte musikalische Ausdrucksformen als Schätze. Diese Vielfalt ist für mich sehr faszinierend, und ich werde mein Verständnis für diese Sprache weiter ausbauen, bis zu dem Tag, an dem ich keine Musik mehr spielen kann.“
Kultur ist das Herz einer Gesellschaft.
Durch ihren damaligen Partner kommt Golnar Shahyar mit Elfi Aichinger, Professorin an der mdw, in Kontakt. Sie beginnt ihr Studium am ipop der mdw. „Elfi Aichinger ist für mich das Beispiel einer Frau, die ihren Weg des musikalischen Ausdrucks gefunden hat und sich damit durchsetzen konnte. Das war sehr inspirierend für mich.“ Heute zieht sie ihre Inspiration zum einen aus der Zeit mit sich selbst, in der Natur, und der Verarbeitung der Ereignisse um sie herum, aber auch aus der menschlichen Interaktion und sozialen Konflikten. „Ich lerne so viel vom Spielen mit anderen Musiker_innen. Das ist meiner Meinung nach die wahre Schule der Musik.“ Den kulturellen und musikalischen Dialog betrachtet sie dabei als Teil ihrer Arbeit. „Musik schafft diesen Raum, in dem Menschen ihre Träume, Ideen und ihre Lebensweisen miteinander teilen.“
Ihre Gedanken und sich selbst über ihre Musik auszudrücken, ist ein zentraler Aspekt ihres Schaffens. Sich selbst bezeichnet die Ausnahmekünstlerin als Geschichtenerzählerin, die Texte zu ihrer Musik schreibt sie selbst. „Ich interessiere mich sehr für die Identitäten, die persönlichen Geschichten von Menschen und wie sich Kulturen entwickeln. Das gibt mir in meinem persönlichen Leben so viel Inspiration.“
Es ist schwer zu glauben, dass unser Musikausbildungssystem bis heute die unendlichen musikalischen Schätze, die es auf der Welt gibt, einfach ignoriert, um eine exklusive und elitäre Kultur zu reproduzieren, die nur einer bestimmten sozialen und kulturellen Klasse vorbehalten ist.
Neben ihrer umfassenden künstlerischen Tätigkeit setzt sich die engagierte Sängerin für soziale Gerechtigkeit und bessere Arbeitsbedingungen in der Musikbranche ein. „Ich bin seit zehn Jahren eine Überlebende dieser Industrie und ich habe festgestellt, dass es nicht ausreicht, nur Musik zu spielen. Deswegen habe ich begonnen, mich noch intensiver in sozialen und politischen Fragen zu bilden.“ Als marginalisierte Künstlerin und jemand, der das Musikausbildungssystem in Österreich erlebt hat, sieht sie es als ihre Aufgabe über Missstände zu sprechen. Damit setzt Golnar Shahyar Schritte im Kampf gegen systematische Diskriminierung sowie schlechte Arbeitsbedingungen. In ihrem offenen Brief an Österreichs Musik- und Kulturjournalist_innen sprach sie das Fehlen von Wissen und Interesse an der Vielfalt der Musikgemeinschaft an und erhielt dafür zahlreiche positive Reaktionen ihrer Kolleg_innen aller Genres und Nationalitäten. Die Reaktionen der Medienlandschaft blieben jedoch verhalten.
„Wir als Musikgemeinschaft sollten wissen, dass niemand diese Situation für uns besser machen wird, außer wir selbst. Wenn ich ein Problem anspreche, arbeite ich daran, es zu lösen und schaue nicht einfach weg.“ Die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns haben Golnar Shahyar und ihren Kolleg_innen, wie mdw-Studentin, Komponistin und Klangkünstlerin Rojin Sharafi und Dirigentin Yalda Zamani, die Zeit gegeben, ihre Standpunkte zu diskutieren und erste Konzepte zu entwickeln. Mit der neu gegründeten Plattform WE:Shape sollen erste Schritte zur Verbesserung der Kommunikation untereinander sowie erste Maßnahmen, wie Bildungsprogramme und Live-Musikveranstaltungen, gesetzt werden. „Wir möchten Dialoge eröffnen sowie Konzerte und Aktivitäten organisieren, um all die wichtigen Themen anzusprechen.“
Musikalische Sprache darf kein Mittel sein, um sich gegen andere Kulturen oder Identitäten zu definieren.
Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit in der Gemeinschaft ist für Golnar Shahyar mittlerweile genauso wichtig geworden wie ihre musikalische Arbeit.
„Musikalische Sprache darf kein Mittel sein, um sich gegen andere Kulturen oder Identitäten zu definieren. Wir sind Menschen, bevor wir Musiker_innen sind, und unsere Musik ist das Spiegelbild unserer Lebensgeschichte. Man muss also sich selbst und die Welt um sich herum kennenlernen. Mit etwas Disziplin und Empathie wird sich die eigene Musik zwangsläufig mit anderen verbinden und das Leben und die Umgebung zum Besseren verändern.“