Unterricht mit Friderikke-Maria Hörbe am Max Reinhardt Seminar
Friderikke-Maria Hörbe ist seit März 2020 Professorin für Ensemblearbeit/Rollengestaltung am Max Reinhardt Seminar. Mit dem mdw-Magazin sprach sie über ihren Unterricht und ihren eigenen Weg zur Schauspielerei.
Im Fach Rollengestaltung für Ensemblearbeit im zweiten Semester stehen Partner- und Ensemblespiel im Vordergrund. Die Studierenden lernen die Techniken des Improvisierens. „Wir lassen uns dabei von Situationen aus dem Alltag, von Gemälden, Fotos, Artikeln, Filmen und Theaterstücken inspirieren und erarbeiten die improvisierten Szenen. Durch Wiederholungen werden die Handlungen und Texte verdichtet und die Konflikte zugespitzt“, erklärt Hörbe. Ziel der Improvisationen ist auch, Spontanität und Spielfreude zu fördern. Die Schauspielprofessorin gibt ein Beispiel einer vorbereitenden Übung aus dem Unterricht: „Die Studierenden erzählen gemeinsam eine Geschichte, indem jede_r Studierende in einem vorgegebenen Rhythmus nacheinander reihum ein Wort in die Runde wirft. Das funktioniert nur, wenn man spontan auf das zuletzt Gesagte reagiert. Dabei entstehen die wildesten Geschichten, die direkt dem Unterbewusstsein entspringen.“
Für Schauspielstudierende ab dem dritten Semester bedeutet das Fach Rollengestaltung die spielerische Erarbeitung von Texten oder Szenen aus klassischen Stücken, Stücken der Antike und der Gegenwartsdramatik auf der Bühne. „Wir beginnen mit dem Lesen und Analysieren des Textes, um die Essenz der Situation, die Ziele und Widerstände der Figuren herauszufiltern, bevor die Studierenden die Szene spielen“, sagt Hörbe. „Schauspiel ist vor allem Reaktion. Es geht darum, im Moment zu sein. Die Figur verfolgt zwar ihr Szenenziel, aber jeder Spielzug verändert sich durch das Handeln des Spielpartners. Der Weg zum Ziel bleibt offen! Es ist wichtig, dass die Studierenden dieses Prinzip trainieren und verinnerlichen“, so Hörbe. Verschiedene Übungen und Techniken helfen den Studierenden dabei, die Selbstkontrolle aufzugeben und die Aufmerksamkeit auf das Gegenüber zu lenken, um spontan, aber trotzdem im Sinne der Logik der Figur reagieren zu können. Besonderen Wert legt Friderikke-Maria Hörbe in ihrem Unterricht darauf, dass die Studierenden Ängste ablegen können: „Es ist mir ein Anliegen, durch eine motivierende, unterstützende Herangehensweise einen angstfreien Raum zu schaffen, damit Vertrauen und Kreativität entstehen können.“
Der Schauspielnachwuchs sieht sich in der beruflichen Praxis mit komplexen, sich ständig ändernden Anforderungen konfrontiert. Schauspielerisches Handwerk bildet das Fundament, um damit umzugehen. „Handwerk ist vor allem wichtig, wenn es in der Arbeit schwierig wird. Dann hat man etwas, auf das man zurückgreifen kann“, sagt Hörbe. Die Entwicklung zu einer künstlerischen Persönlichkeit ist ebenso zentral in der Ausbildung. „Am Ende der Ausbildung ist nicht nur die Kunstfertigkeit einer Schauspielerin oder eines Schauspielers, alles spielen zu können, das alleinige Kriterium für künstlerische Qualität, sondern ob sie oder er eine faszinierende Persönlichkeit mit eigenen Visionen ist, die das Publikum in den Bann zieht.“ In der Ausbildung ist zudem die Schulung der sozialen Kompetenz der Studierenden wichtig. „Theater- und Filmarbeit ist meist Teamarbeit. Dem gegenüber steht die Notwendigkeit von gesundem Egoismus und Radikalität bei der Erschaffung von Kunst. Dies erfordert ein hohes Maß an sozialer Kompetenz“, betont Hörbe.
Eine der Besonderheiten in der Ausbildung am Max Reinhardt Seminar ist, dass Regie- und Schauspielstudierende in den ersten beiden Semestern eine gemeinsame Grundausbildung genießen. Hörbe sieht darin große Vorteile: „Die Zusammenarbeit zwischen Regie und Schauspiel ist der Kern der Theaterarbeit. Durch die frühe Begegnung von Schauspiel- und Regiestudierenden im Studium findet ein Perspektivenwechsel statt, sie können voneinander lernen und ein tiefes Verständnis füreinander entwickeln. Die Stärkung des Ensemblegedankens ist die Grundlage für gutes Schauspiel“, so Hörbe.
Die coronabedingten Einschränkungen stellen sich für den körpernahen und auf alle Sinne fokussierten Unterricht als herausfordernd dar. Hörbe und ihre Studierenden versuchen aber sich auf Möglichkeiten statt auf Unmöglichkeiten zu konzentrieren. Das gemeinsame Spielen in Online-Konferenzen wurde mit der Zeit selbstverständlicher, Monologe erarbeitete Hörbe mit Studierenden im Einzelunterricht, Theaterstücke wurden per Streaming gemeinsam angesehen und anschließend analysiert. Sie gibt sich optimistisch: „Aus den Beschränkungen, die für eine gewisse Zeit gelten müssen, können neue Kreativität und Kräfte entstehen, von denen wir noch nichts ahnen. Vielleicht werden wir erst später spüren, was wir auch dazugewonnen haben – und sei es ganz einfach die unbändige Lust, wieder richtig miteinander spielen zu können!“
Friderikke-Maria Hörbe hat die Lust am Schauspiel bereits in der Kindheit gepackt. 1971 geboren wuchs sie in einem kleinen Dorf in Thüringen auf. Obwohl sie in ihrer Kindheit weder mit Kino oder Theater in Kontakt kam und die Familie auch keinen Fernseher besaß, verspürte sie den Drang, Menschen nachzuspielen. „Ich konzentrierte mich dabei auf die Dorfbewohner, den Pfarrer und alle Lehrer. Ich spielte sogar meinen verstorbenen und mit Blumen aufgebahrten Opa nach, weil mich sein würdevolles Aussehen so faszinierte. Damals sagte man mir immer wieder: ,Du musst Schauspielerin werden!‘“, erzählt sie. „Ich weiß nicht, ob der Wunsch, Schauspielerin zu werden oder der Glaube an diese Prophezeiung zuerst da war. Aber als ich durch Zufall ein bekanntes Schauspielerehepaar kennenlernte, das mir Talent bescheinigte, war mein Ziel klar: Ich wollte auf die Bühne!“
Ihr Schauspielstudium absolvierte sie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Sie gastierte an verschiedenen Theatern in Deutschland und nahm parallel dazu Filmengagements an. Es folgte ein mehrjähriges Festengagement am Schauspiel Leipzig, wo sie mit Regisseur_innen wie Michael Thalheimer, Karin Henkel, Johanna Schall und Wolfgang Engel arbeitete und viele stücktragende Rollen spielte. Ihre Lehrtätigkeit führte sie auch an andere renommierte Ausbildungsstätten für Schauspiel im deutschsprachigen Raum. Zudem coacht sie regelmäßig Schauspieler_innen bei der Rollenvorbereitung. Die Professur am Max Reinhardt Seminar ist ein weiterer Meilenstein in ihrer Vita.