Was kann die Ausbildung für angehende „Kameraleute/Cinematographer“ leisten?

Nachfolgend wird der international gebräuchliche Begriff Cinematographer verwendet. Als Director of Photography (DOP/DP) ist er oder sie als Head of Department für die visuelle Gestaltung eines Filmprojekts verantwortlich.

© Ewald Grabenbauer

Im Zentrum der Ausbildung steht die Freiheit der Studierenden zum spielerischen Lernen. Sie brauchen Zeit und Raum, um künstlerisch zu wachsen, Experimente zu wagen, Grenzen auszuloten, Bildsprachen zu erforschen und gestalterisch neue Wege zu gehen. Neben der Vermittlung der Grundlagen des visuellen Gestaltens, lege ich mein Augenmerk darauf, Studierende in ihrer künstlerischen Entfaltung und Entwicklung – auch im Scheitern! – zu begleiten, zu unterstützen und zu fördern. Ein Übermaß an Wettbewerb und Konkurrenzdenken kann dieses kreative Wachsen behindern. Die Filmakademie Wien hat in ihrer Struktur eine ideale Größe, um den 15 bis 20 Studierenden eines Jahrgangs während der zweijährigen gemeinsamen Grundausbildung fächerübergreifend einen Überblick zu geben. Das erlaubt Kamera-Studierenden vor der Spezialisierung praktische und wertvolle Erfahrungen in den Fachbereichen Buch/Dramaturgie, Regie, Schnitt und Produktion zu erwerben und vice versa. Die Studio-Übung im dritten Semester ermöglicht filmische Praxis als umfassende Team-Übung vom Studiobau bis zum Dreh und von der Ausstattung bis zur Tonaufnahme.

Film wird als Teamarbeit praxisnah erlebbar: je präziser beispielsweise Focus Puller die Schärfe ziehen, desto freier sind Cinematographer in ihrer Kadrage und in der Bewegung der Kamera innerhalb einer Einstellung. Diese Teamarbeit fördert gleichzeitig einen weiteren wichtigen Aspekt in der Ausbildung: das Voneinander-und-Miteinander-Lernen – von den Gesprächen während der Vorbereitungsphase über jeden einzelnen Drehtag am Set bis zur Farb- und Lichtbestimmung in der Grading Suite. Durch das gemeinsame Arbeiten an verschiedenen Projekten innerhalb und außerhalb der Filmakademie entstehen tragfähige Netzwerke für den späteren Berufsweg.

Educating the eye – Schauen lernen
© Gabriella Reisinger

Bilder haben eine große Kraft in unserer Wahrnehmung. Angesichts der Bilderflut, die tagtäglich via Medien aller Art über uns hereinbricht, kommt der Verantwortung der Cinematographer eine immer größere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang erachte ich die Sensibilisierung der visuellen Wahrnehmung als ein wesentliches Instrument für die bewusste Bildgestaltung. Bilder, die Inhalte wesentlich erfassen und/oder im Subtext transportieren, sind den ausschließlich „schönen“ Bildern vorzuziehen. Beobachtungsübungen von Lichtstimmungen sowie das Entdecken und Sammeln von Magie im Alltag dienen als mentales Archiv für das spätere Erzählen in Bildern.

Educating the eye meint: „Open the eye – close the eye to open up the mind.“ Ganz wesentlich erscheint mir die Einbindung der Kunst als Inspirationsquelle für die Erforschung und Entwicklung individueller Bildsprachen sowie als Kommunikationsmittel im Austausch mit der Regie. Die Beschäftigung mit klassischer Malerei ist unverzichtbar, um Lichtgestaltung und Kadrage zu studieren. Gemeinsame analoge oder virtuelle Museumsbesuche dienen als Ausgangspunkt für Bildanalysen und Bildbesprechungen.

Es ist mir wichtig, die Studierenden bereits in der Ausbildung über die Tragweite ihrer sozialen Verantwortung und ihrer Haltung gegenüber komplexen Themen zu sensibilisieren. Das gewonnene Vertrauen von Protagonist_innen, Schauspieler_innen und Kolleg_innen erfordert einen wertschätzenden Umgang als Basis für gelingende Teamarbeit. Die Studierenden sollten ihre soziale Kompetenz auch im Themenbereich Gender/Queer/Diversity schärfen.

Kamera, Licht und Digital Art – Compositing
© Ewald Grabenbauer

Kamera-Lehrende mit Wurzeln in der analogen Aufnahmetechnik vermitteln ihr Wissen und ihre Erfahrung aus beiden Welten. Das ermöglicht den Studierenden profunde Kenntnisse und Fertigkeiten, um den individuellen künstlerischen Ausdruck zu stärken (Belichtung, Gradationskurven, bewegte Kamera etc.). Lichtgestaltung dient der visuellen Dramatisierung von Filmstoffen und Protagonist_innen. Die Vermittlung dieser Grundlagen mit herkömmlichen Leuchten, aber auch neuester LED-Lichttechnik erfolgt praxisnah im Filmstudio. Studierende erarbeiten sich individuelle Werkzeuge zur Lichtgestaltung des jeweiligen Drehvorhabens. Durch die Zusammenarbeit mit den Studierenden des Masterstudiums Digital Art – Compositing entstehen zusätzlich Synergien beim Erschaffen und Erweitern von filmischen Räumen und der Realisierung von visuellen Effekten. Poesie und Magie der Bildsprache können nun auch virtuell unterstützt werden.

Postproduktion
© Martin Harald Weiss

In analogen Zeiten wurde die Fertigstellung von Filmkopien in externen Filmkopierwerken realisiert. Durch die in den letzten Jahren erfolgte Digitalisierung im Bereich der Film- und Videotechnik kann die Filmakademie heute Projekte der Studierenden von Kameratests über die eigentlichen Dreharbeiten und die Postproduktion (Schnitt und Einfügen der Visual Effects) bis zur digitalen Kinokopie DCP (Digital Cinema Package) hausintern herstellen. Mit dem im Future Art Lab eingerichteten Arthouse-Kino steht für Lehrzwecke bzw. professionelle Vorführungen ein 4K-Laserprojektor im Digital Cinema Standard samt Dolby-Atmos-Kinoton zur Verfügung.

Die Tätigkeit der Licht- und Farbbestimmung (Color Grading) wird im Rahmen von Lehrveranstaltungen professioneller Colorist_innen in den Grading Suiten und im neuen Arthouse-Kino vermittelt und geübt. Die Studierenden erwerben dadurch wertvolle Grundkenntnisse über dieses wesentliche Gestaltungs-Tool und verfeinern praxisnah ihre zielgerichtete Kommunikation mit Colorist_innen; ein Vorteil für ihr weiteres Berufsleben. Zusätzlich können kleinere Projekte direkt im Haus im professionellen Standard des Digital Cinema fertiggestellt werden. Das ermöglicht eine „gelebte Praxis“, denn die angehenden Cinematographer sind von der Vorbereitung über die eigentlichen Dreharbeiten bis zur visuellen Fertigstellung des Filmprojektes inkl. der Licht- und Farbbestimmung für die Qualität des Bildes als Director of Photography verantwortlich.

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