Performing Gender im Angesicht der Krise
Die Forschung zu Covid-19 ist in den letzten Monaten sprichwörtlich explodiert. Das betrifft nicht nur die Forschungsfelder der Infektiologie und Virologie, sondern auch die Geistes-, Sozial- und Kunstwissenschaften. Erfreulicherweise wurden zudem bereits mehrere Projekte auf den Weg gebracht, die sich mit geschlechtsspezifischen Problematiken im Kontext von SARS-CoV-2 befassen. Die Frage aber, wie die genderspezifischen Ungleichgewichte, die durch die aktuelle Krise zutage treten, von politischen Verantwortlichen kommentiert, legitimiert oder aber verschleiert werden, blieb bis dato unerforscht. Diese Frage ist jedoch nicht zuletzt deshalb von zentraler Bedeutung, weil bestimmte Geschlechterrollenklischees, die gemeinhin bereits überwunden geglaubt waren, in der aktuellen Pandemie wieder verstärkt zutage treten und neu konfiguriert werden. An diesem Punkt setzt das Projekt Performing Gender in View of the Outbreak an, das ich seit März 2021 am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der mdw leite. Das Forschungsvorhaben setzt sich am Beispiel Österreich mit der Performance politischer Repräsentant_innen angesichts von Covid-19 auseinander und fragt nach den genderbezogenen Identitätsentwürfen, die in diesem Zusammenhang kommuniziert werden. Das Projekt wird im Rahmen der „Akutförderung SARS-CoV-2“ finanziert, mit der der österreichische Wissenschaftsfonds (FWF) ausgewählte Projekte fördert, die sich mit der Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Epidemien und Pandemien am Beispiel von SARS-CoV-2 beschäftigen.
Im Fokus von Performing Gender in View of the Outbreak steht die intensive und auffallend männerdominierte Medienpräsenz der österreichischen Bundesregierung angesichts der aktuellen Gesundheits- und Wirtschaftskrise. Die politische und mediale Unterrepräsentanz von weiblichen Akteuren ist unter anderem deshalb besonders brisant, weil Frauen von der aktuellen Pandemie deutlich stärker betroffen sind als Männer. Tatsächlich konzentriert sich der durch Covid-19 bedingte Beschäftigungsrückgang auf Wirtschaftsbereiche, die für die Frauenbeschäftigung bedeutender sind. Gleichzeitig trifft die Doppelbelastung von Beruf und Betreuungspflichten infolge von Homeoffice oder aber einer Beschäftigung in sogenannten systemrelevanten Sektoren Frauen härter als Männer. Abgesehen von geschlechtsspezifischen Differenzen bringt die Pandemie auch Ungleichheit generierende Kategorien wie Klasse, Bildung, Ethnie und Nation zum Vorschein. Sozial benachteiligte Menschen trifft die Krise heftiger als andere – sie sind einerseits von einer Verschärfung ihrer finanziellen Situation bedroht und unterliegen andererseits einem deutlich höheren Risiko, im Falle einer Covid-19-Infektion schwer zu erkranken bzw. daran zu sterben. Die Pandemie macht mithin sichtbar, dass Ungleichheiten nie eindimensional operieren, sondern stets Resultat eines Zusammenspiels unterschiedlicher Kategorien und Faktoren sind. Ausgehend von diesen Beobachtungen verschreibt sich Performing Gender in View of the Outbreak zwei ineinandergreifenden Fragen: Inwiefern werden genderspezifische Problematiken von politischen Akteur_innen adressiert bzw. ausgeblendet, und welche Geschlechterbilder werden in diesem Zusammenhang (re-)konstruiert? Ausgehend von der These, dass die Performance der österreichischen Bundesregierung angesichts der pandemischen Krise eine Retraditionalisierung spezifischer Geschlechterrollen und -stereotype befördert, unterzieht das Projekt die damit im Zusammenhang stehenden Auftritte einer dramaturgischen und diskursanalytischen Untersuchung.
Erste Analysen im Rahmen des Akutprojekts haben ergeben, dass sich die Kriseninszenierung der österreichischen Bundesregierung eindeutig an männlich konnotierten Konzepten der aufgabenbezogenen Kompetenz und Instrumentalität orientiert. In diesem Zusammenhang sticht beispielsweise der gerade im österreichischen Kontext prominente und geradezu inflationäre Rekurs auf Metaphern des Sports ins Auge. Das Bild des Marathons etwa ruft eine bereits von Politikern der Antike mit Vorliebe bemühte Wettkampfrhetorik auf, die einerseits eine individuell-maskuline Dominanz untermauert, andererseits eine kollektiv operierende autochthone Männlichkeit herstellt. Ähnliches lässt sich hinsichtlich der symptomatischen Bezugnahme auf Narrative der Auferstehung und der Apokalypse beobachten, derer sich vor allem der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz bedient. Der Politiker fällt durch eine eschatologische Rhetorik auf, die sich im Spannungsfeld von Furcht und Hoffnung bewegt. Diese Rhetorik bringt Figurationen des Erlösers und des Übervaters hervor, mit denen gleichzeitig die beschriebene Zurückdrängung von Frauen in alte, passive Rollenbilder gestützt oder unterstützt wird. Diese spezifische Performance untermauert die Suppression genderspezifischer und durch die Krise verstärkt spürbar werdender Problematiken. So wenig Politikerinnen im Krisenmanagement sichtbar werden, so dominant ist ihre Rolle innerhalb der diskursiven Auseinandersetzung mit der Covid-19-Krise. Die Reden der medial in Erscheinung Tretenden stilisieren sie gerade während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 und oftmals im Rückbezug auf totgesagte Begriffe wie „Zusammenhalt“ und „Solidarität“ als „Heldinnen des Alltags“ und „Systemerhalterinnen“ hoch. Gerade dadurch aber kommt es zu einer perfiden Reproduktion paternalistischer Stereotype, die Frauen ganz selbstverständlich mit Mutterschaft und (unbezahlter) Care-Arbeit in Verbindung bringt. Die Verhaltenserwartungen, die durch derartige Strategien kommuniziert werden, fordern und fördern die Übernahme traditioneller Rollen durch Frauen. Gleichzeitig begünstigt die vordergründige diskursive Aufwertung von Frauen die Inszenierung antitoxischer Männlichkeit und unterstützt die auftretenden Akteure dabei, sich als frei von sexistischen Tendenzen zu gerieren.
Das Projekt Performing Gender in View of the Outbreak ist transdisziplinär ausgerichtet und kooperiert mit internationalen Partnerinnen aus den Theater-, Medien-, Literatur- und Sprachwissenschaften sowie mit Expertinnen aus den Politik- und Rechtswissenschaften. Mehr Informationen unter performinggenderoutbreak.wordpress.com.