Während eines Auslandssemesters lernen Studierende für gewöhnlich viele neue Menschen aus aller Welt kennen, erkunden ihre Gastuniversität, genießen das Kulturleben der Stadt, machen Ausflüge, gehen auf Partys – kurzum: sammeln neue und einprägsame Eindrücke und Erlebnisse. Trotz Pandemie fanden an der mdw Studierendenmobilitäten statt. Wie war es für die Studierenden, ihr Auslandssemester während einer globalen Pandemie zu verbringen? Was half ihnen, die Lockdowns und Einschränkungen allein in einer fremden Stadt zu überstehen? Drei Incoming-Studierende erzählen über ihre Erfahrungen.
Francesco Appollonio absolvierte bereits zwei Auslandssemester an der mdw, sein letztes im Wintersemester 2020/21. Der Klavierstudent aus Capua, Italien, macht derzeit seinen Master am Konservatorium San Pietro a Majella in Neapel. „Durch meinen Auslandsaufenthalt während der Pandemie ist mir klar geworden, wie sehr ich Freunde und Familie brauche, um Schwierigkeiten zu überwinden. Ich musste viel allein sein während dieser Zeit, aber schon ein kurzes Telefonat mit ihnen konnte helfen“, erzählt er. „Mir ist vor allem die Wichtigkeit und Bedeutung einer Umarmung von Familienmitgliedern und Freunden bewusst geworden und wie viele Emotionen dadurch ausgedrückt werden“, sagt Appollonio. „Es mag trivial klingen, aber ich habe in der Musik die Kraft gefunden, die Pandemie und ihre Auswirkungen Tag für Tag zu bewältigen“, so der Studierende, „auch lange Spaziergänge und das Erkunden jeder Ecke der Stadt waren hilfreich.“ Wie viele andere hat Appollonio erst durch die Pandemie begonnen, über vieles als selbstverständlich Angenommene zu reflektieren: „Ich habe gelernt, jeden Moment mehr zu genießen, und sei es nur ein Kaffee im Lokal. Ohne Pandemie hätte ich wohl nicht die große Relevanz des Beisammenseins mit anderen, ob im Konzert, im Restaurant oder an der Uni, verstanden. Erst wenn uns das vermeintlich Selbstverständliche und Gewohnte verwehrt wird, beginnen wir, es wirklich zu schätzen.“
Sauli Saarinen, Dirigierstudent an der Sibelius Academy in Helsinki und gegenwärtig in seinem Abschlussjahr, verbrachte das Wintersemester 2020/21 an der mdw. „Mein Studium an der mdw verlief gut. Mein Professor in Dirigieren gab mir viel Neues zum Nachdenken. Aber natürlich war die Pandemie eine große Herausforderung während meiner Zeit in Wien“, sagt er. Dabei die Kraft zu behalten oder wiederzufinden, schaffte Sauli Saarinen, indem er wieder anfing, Bücher zu lesen; aber auch Spazierengehen und Filmeschauen halfen ihm. „Wenn sich die Pläne ständig ändern, gibt einem das die Möglichkeit, sich mehr auf sich selbst und die Dinge, die man gerne macht, zu konzentrieren“, meint Sauli Saarinen. „Ich habe auch gemerkt, wie karriereorientiert ich war. Nun habe ich gelernt, mich mehr zu entspannen“, sagt der Dirigierstudent.
Das ganze Studienjahr 2020/21 studierte Pia Rossi an der mdw. Für die italienische Orgelstudentin, die momentan ihren Abschluss am Nicola Sala Conservatory of Music in Benevento macht, hatte die Pandemie durchaus Lerneffekte: „In meinem Alltag vor der Pandemie habe ich immer versucht, das Unmögliche zu schaffen. Durch die Pandemie habe ich begriffen, dass ich immer mal wieder eine Pause machen und herausfinden muss, was wichtig ist. Man soll das tun, woran man wirklich glaubt.“ Die pandemiebedingte erschwerte Planbarkeit verhalf ihr zu so manchen Einsichten: „Ich habe verstanden, dass nichts im Leben sicher ist, von einem auf den anderen Moment kann sich alles ändern.“ Die Kraft der Musik half auch Pia Rossi durch die Pandemie: „Ich glaube, dass wir Musiker_innen in einer glücklichen Lage sind, weil wir diese wunderbare Kunst an unserer Seite haben. Sie befähigt uns, jeder Herausforderung im Leben mit Entschlossenheit zu begegnen.“ Die Pandemie und ihre Auswirkungen haben ihr auch mehr Zeit verschafft: „Ich hatte mehr Zeit zum Üben, die ich normalerweise nicht hatte. Zudem konnte ich viele Filme schauen und Bücher lesen.“
Unübersehbar ist, welche Reflexionen durch die Veränderungen unseres Alltags ausgelöst wurden und welche Einsichten binnen kurzer Zeit gewonnen werden konnten. Ein Studienaufenthalt an einer Universität im Ausland erfordert von den Studierenden viel Mut und Kraft, sich auf etwas Neues einzulassen. Durch die Pandemie waren die Incoming-Studierenden noch mehr gefordert. Umso wichtiger und schöner ist es zu sehen, was ein Anker in unsicheren Zeiten sein kann: die Musik und die Bezugnahme auf das für sich definierte Wesentliche.
Im International Blog der mdw finden Sie Interviews mit den Studierenden: mdw.ac.at/internationalblog