„Unsere Vergangenheit ist auch unsere Zukunft“ steht als Motto auf der Homepage des Fritz Kreisler Instituts – es passt nicht nur wunderbar auf den Wiener Streicherklang, sondern auch auf das jüngste Projekt, die Online-Präsentation des Karl Scheit Archivs.
Unser Musizieren, Lehren und Forschen gründet wesentlich auf den Ressourcen, die uns die vergangenen Generationen hinterlassen haben – historische Instrumente, Partituren, Literatur, Tonträger, Dokumente aller Art. Basis der großen Bibliotheks- und Archivbestände sind häufig Privatsammlungen – wie jene von Karl Scheit (1909–1993), die im Fritz Kreisler Institut an der mdw beheimatet und seit 24. September 2021 online zugänglich ist.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts war Wien von besonderer Bedeutung für die Gitarre: Bereits in der Pionierzeit der Musikwissenschaft unter Guido Adler wurden an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Vorlesungen zur Geschichte der Gitarre (Richard Batka) und seit dem Ersten Weltkrieg auch praktischer Unterricht (Jakob Ortner) angeboten. Hier entstanden erste wissenschaftliche Arbeiten, wichtige Fachzeitschriften und Notenausgaben und mit Ortners Ernennung zum Professor im Jahr 1924 der weltweit erste Lehrstuhl. Viele bedeutende Gitarrist_innen und Lehrende aus aller Welt erhielten ihre Ausbildung bei Ortner und seinen Nachfolger_innen Luise Walker und Karl Scheit.
Als Musiker, Pädagoge und Herausgeber von Gitarrenmusik war Scheit die Erforschung und Dokumentation der gitarristischen Vergangenheit ein besonderes Anliegen, und er war dabei besonders um die Erschließung der eigenen Tradition und die Entwicklung eines eigenständigen Profils bemüht. Stets bestrebt, sein Wissen über sein Instrument zu vertiefen, hatte er schon seit seiner Studienzeit alles zusammengetragen, was mit Gitarre und Laute zu tun hatte. Obwohl er durch einen Bombenangriff im letzten Kriegsjahr fast alles verlor und 1945 von vorne beginnen musste, kam noch eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen zustande – eine wichtige Quelle für seine musikalische, pädagogische und editorische Arbeit.
1999 übergab Luise Scheit der mdw den Großteil der Sammlung mit dem Ziel, eine Fachbibliothek für die Gitarre aufzubauen. 2005 wurde unter der Ägide von Walter Würdinger eine Datenbank mit Signaturen angelegt.
Das Archiv wurde vorerst kaum wahrgenommen; ich war der erste Besucher und für längere Zeit der einzige. Bei der Sichtung des Materials traten einige Preziosen zutage, die für internationales Aufsehen sorgten. Darunter waren zwei bisher unbekannte Concertini für Terzgitarre und Streicher von Johann Padowetz, unbekannte Lieder von Fernando Sor und bisher verschollene Kompositionen von Giulio Regondi. All diese Werke wurden mittlerweile in Neuausgaben publiziert.
2015 wurde ich mit der Betreuung des Archivs betraut. Es wurden die wertvollen historischen Drucke von den übrigen Notenausgaben getrennt, wissenschaftlich katalogisiert und die wichtigsten digitalisiert. Weitere Teilbestände aus dem Besitz von Luise Scheit kamen hinzu; Konrad Ragossnig (1932–2018, Scheits Nachfolger an der mdw) überließ dem Archiv eine umfangreiche Dokumentation seiner Laufbahn: Konzertprogramme, Kritiken, Fotos, Briefe u. a.
Die Publikationen führten zu Anfragen aus aller Welt, und der nächste Schritt in eine digitale Zukunft war die logische Folge. Es ist das erste Projekt einer größeren Digitalisierungsoffensive an der mdw – das Universitätsarchiv, das Filmarchiv, das Kurt Blaukopf Archiv, Exilarte, diverse Nachlässe u. a. werden folgen. Es musste eine Struktur angelegt werden, die all diesen unterschiedlichen Projekten gerecht wird und eine Anbindung an internationale Datenbanken wie GND und Worldcat unterstützt.
Von ca. 3700 Objekten sind die Katalogdaten verfügbar, aktuell ca. 600 mit Digitalisat. Bei den Noten sind dies seltene Drucke, Manuskripte zeitgenössischer Komponist_innen im Umkreis von Karl Scheit und einzelne vergriffene Neuausgaben. Weiters steht die wohl bedeutendste Zeitschriftensammlung zur Gitarre (bis auf die noch unter Copyright stehenden) online für die Forschung zur Verfügung. Vernetzungen mit internationalen Forschungsplattformen wie Robert Coldwells Digital Guitar Archive (digitalguitararchive.com/archive) schaffen einen weiteren Mehrwert.
An der Erstellung des Online-Zugangs zum Karl Scheit Archiv waren zahlreiche Mitarbeiter_innen der mdw beteiligt: vom ZID (federführend Stefan Szepe und Stefan Trumpf) und dem Universitätsarchiv (Severin Matiasovits, Erwin Strouhal) über die Abteilung Forschungsförderung (Therese Kaufmann und Vitali Bodnar) bis zum Fritz Kreisler Institut (Mirjam Schröder-Feldhoff, Wolfgang Klos, Stefan Kropfitsch, Alexander Swete, Álvaro Pierri, Karin Mühlhauser und Laura Eichenseer) – ich danke allen für die Zusammenarbeit!
Karl Scheit und alle anderen, deren Sammlungen heute öffentlich zugänglich sind, wären wohl glücklich gewesen, hätten sie zu Beginn ihrer Karriere derartige Ressourcen vorgefunden!
Der Link zum Online-Portal: repo.mdw.ac.at/scheitarchiv
Einen ausführlichen Artikel über die Sammlung Scheit finden Sie im EGTA-Journal Nr. 10, 06/2021: egta-nrw.de/journal
Weitere Informationen zur Gitarre in Österreich: gitarre-archiv.at