Kurz vor Semesterbeginn, am 29. September, feiert im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses ein neues Konzertformat sein Debüt. Ein genre-übergreifendes und interaktives Konzerterlebnis aus klassischer Musik und elektronischen Soundscapes verbindet erstmals die analoge Welt mit der digitalen.
Die mdw und das Wiener Konzerthaus haben sich mit Let’s play auf ein Experiment eingelassen, darüber sind wir sehr froh.
Hannah Baumann, Godot Komplex
Lange Zeit waren digitale Konzertformate in der Musikvermittlung kein Thema. Das Konzertkollektiv Godot Komplex liefert nun mit Let’s play: Connection loading ein innovatives Konzept, das Räume jenseits der Frontalbespielung erfahrbar macht und analoge sowie digitale Elemente miteinander verbindet.
Ursprung des Konzepts stellt der Wettbewerb für hybride Konzertformate Let’s Get Digital aus dem Jahr 2021 dar. Axel Petri-Preis vom Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren (IMP) ist Initiator des Wettbewerbs: „Die Idee kam mir während der Pandemie, als sich die Frage gestellt hat, wie man während der zahlreichen Lockdowns die Verbindung zum Publikum halten kann. Die Digitalisierung schien in vielen anderen Bereichen schon weiter fortgeschritten als im klassischen Konzertbetrieb und damit auch der Musikvermittlung. Uns hat interessiert, welcher Mehrwert bzw. welche Möglichkeiten in der Digitalität stecken und wie analoge und digitale Elemente ineinanderfließen können.“
Die Wettbewerbsausschreibung wurde als Nachwuchsförderung konzipiert – eine Motivation für junge Musiker_innen, sich mit neuen Formaten auseinanderzusetzen. Mit dem Preisgeld in der Höhe von 5.000 Euro soll nicht nur die eigene Arbeit abgegolten werden, sondern auch die Möglichkeit bestehen, auf die Unterstützung von Expert_innen zurückzugreifen. Das Konzertkollektiv Godot Komplex, das den Wettbewerb für sich entscheiden konnte, weiß diese Initiative zu schätzen. „Diese Ausschreibung ist in unserer Branche bisher noch einmalig. Wir sind froh, dass sich die mdw auf dieses Experiment eingelassen hat. Diese Chance bedeutet uns viel.“
Als Kooperationspartner konnte das Wiener Konzerthaus gewonnen werden – ein Glücksfall für die Gewinner_innen, da es den zweiten Teil des Preises stellt: die Aufführung des Siegerkonzepts im Rahmen eines Zyklus des Wiener Konzerthauses. „Wir glauben, dass es für ein junges Ensemble sehr wichtig ist, durch die Beteiligung eines großen Konzertveranstalters die entsprechende Sichtbarkeit zu erhalten. Zudem wird es durch die organisatorischen und technischen Abteilungen in der Umsetzung des Projekts unterstützt“, erklärt Axel Petri-Preis. Für das Wiener Konzerthaus ergibt sich mit Let’s play die Möglichkeit, dem Anspruch seiner erklärten Ziele gerecht zu werden: der Förderung des musikalischen Nachwuchses und der Entwicklung sowie Umsetzung zeitgemäßer partizipativer Formate. „Wir freuen uns sehr, mit dem Kollektiv Godot Komplex und der Produktion Let’s play: Connection loading ein einzigartiges, innovatives Format gewonnen zu haben. Durch die Integration von Digitalität in ein performatives Klangkonzept wird eine völlig neue Dimension des partizipativen Musikerlebnisses für junge Erwachsene ermöglicht“, freut sich Education Manager Mira Possert vom Künstlerischen Betriebsbüro im Wiener Konzerthaus.
Das zentrale Thema des Abends ist die Verbindung: Wie gelangt der analoge Raum ins Digitale, und wie können die Stärken des Digitalen ins Analoge übersetzt werden? Performt werden drei klassische Werke auf drei Bühnen im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses. „Wir haben unser großes Thema, die Verbindungen, auch in die Musik einfließen lassen und dementsprechend die Stücke ausgewählt. Wie etwa Berührungen von Pēteris Vasks“, beschreibt Johannes Worms von Godot Komplex das musikalische Konzept. „Das Publikum bewegt sich von Bühne zu Bühne. Mit relativ kurzen Einheiten von etwa zehn bis zwanzig Minuten und interaktiven Elementen möchten wir die Aufmerksamkeit immer wieder anregen.“
Das digitale Publikum befindet sich gleichzeitig in gather.town, einer Onlineplattform für Videokonferenzen, in der man sich in Gaming-Optik virtuelle Räume bauen kann – in diesem Fall wird eine digitale Version des Berio-Saals nachempfunden. Die Teilnehmer_innen können sich in gather.town ihren eigenen Avatar bauen, sich mit ihm stellvertretend durch Räume bewegen und so am Konzert teilnehmen. Ein_e Moderator_in steht dem digitalen Publikum dabei zur Seite und gibt Orientierung sowie Informationen, was der Abend beinhaltet. „Wir möchten das digitale Publikum nicht nur via Livestream an dem Konzert teilhaben lassen, sondern den digitalen Raum erspür- und erfahrbar machen“, erklärt Hannah Baumann von Godot Komplex den Grundgedanken von Let’s play. Gleichzeitig sollen interaktive Elemente, Stärken des Digitalen, den analogen Konzertbesuch bereichern.
Wir möchten die Angst vor diesem neuen Format nehmen und beweisen, dass es funktioniert – sinnlich, intuitiv und spielerisch.
Johannes Worms, Godot Komplex
„Wir haben auf gather.town die Möglichkeit, Umbauzeiten mit Minigames zu verkürzen. Diese Interaktionen möchten wir auch auf den analogen Konzertsaal übertragen, wie etwa durch den Einsatz von audiogenerativen Visuals – das ist Musik, die im Konzertsaal über Greenscreen-Keys generiert wird“, beschreibt Franziska Hiller von Godot Komplex die Verschmelzung der beiden Welten. Eine weitere Verbindung entsteht etwa durch den Einsatz von Handkameras, mittels derer das Publikum vor Ort eine Konzerterfahrung für das digitale Publikum kreieren soll. Diese Live-Videos werden sowohl vor Ort über Leinwände zu sehen sein als auch digital in gather.town. „Mit den Handkameras kann man erstmals wirklich nahe an die Künstler_innen herankommen und zudem unterschiedliche Perspektiven einnehmen“, freut sich die Multimedia-Künstlerin und Musikerin Ella Estrella, die in Zusammenarbeit mit Godot Komplex dieses neue Format entwickelt hat.
„Es war zu Beginn schwer vorstellbar, wie zwei Publika gleichzeitig an einer Konzerterfahrung teilnehmen können und wir für beide Spannung erzeugen sollen“, erinnert sich Johannes Worms. „Aber es gilt, genau mit diesen Aspekten umzugehen, die Angst zu nehmen und zu beweisen, dass es funktioniert – sinnlich, intuitiv und spielerisch. Damit möchten wir auch anderen Veranstalter_innen und Festivals Mut machen, neue Formate und Konzertnarrative auszuprobieren.“
Die Teilnahme ist sowohl vor Ort als auch online möglich. Tickets