Die Ergebnisse des Artistic-Research-Projekts Kreative (Miss-)Verständnisse: Methodologien der Inspiration unter der Leitung von Johannes Kretz und Wei-Ya Lin, gefördert durch den österreichischen Wissenschaftsfonds (PEEK – FWF), wurden am 20. Mai im Weltmuseum Wien und am 23. Mai im Ungarischen Haus der Musik in Budapest (Magyar Zene Háza) einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.
Dieses vierjährige Projekt basiert auf der Zusammenarbeit zwischen Sänger_innen/Dichter_innen der indigenen Gruppe Tao aus Taiwan und österreichischen/europäischen Komponist_innen und Klangschaffenden. Es zielt darauf ab, Strategien zu entwickeln, die einerseits dazu beitragen, die kulturellen Praktiken der Tao auf nachhaltige Weise zu revitalisieren, andererseits die gesellschaftliche Rolle von europäischen, akademisch ausgebildeten Komponist_innen und Klangschaffenden neu zu definieren.
Als Teil der Langen Nacht der Forschung wurden in einem ausgedehnten Happening in und vor dem Weltmuseum Wien traditionelle Gesänge der Tao (Voices of Lanyu; Sänger_innen der Tao-Community: Hsin-Tian Yan, Siaman Vongayan, Si Fagelan, En-Chi Hsieh, Si Mamalit, Si Pehbowen, Hsiao-Ching Shih und Si Talomo) ebenso wie eine Rockband junger indigener taiwanesischer Musiker_innen (Wild Thing) präsentiert, dazu Kompositionen, Improvisationen und Klanginstallationen weiterer Teammitglieder (Samu Gryllus, Wolfgang Liebhart, Sandeep Bhagwati, Ensemble Extrakte, Chien-Hsiang Lin, Wei-Ya Lin, Si Pehbowen [Zheng Kuo], Fu Tian, Siaman Vongayan [Chien-Ping Kuo], Ming Wang, Hui Ye und Johannes Kretz), welche die Lieder der Tao in unterschiedliche zeitgenössische Kontexte transformierten, ergänzt durch Klang- und Videoinstallationen. Es gab auch ausführlich Zeit für Begegnungen und Dialog mit dem Publikum, um das Event zu einer Plattform des Teilens und der inhaltlichen Auseinandersetzung zu machen.
Eines der zentralen Konzepte dabei war die von Sandeep Bhagwati eingebrachte Idee der „skalierbaren Komposition“. Hier wird davon ausgegangen, dass eine musikalische Idee, ein Lied oder eine Komposition im Allgemeinen in verschiedenen Instanzen oder Versionen realisiert werden kann, die jeweils zum geographischen und soziokulturellen Kontext der Aufführung passen sollen. Es wurden also Versionen entwickelt, die z. B. eher traditionell, eher in Richtung Popularmusik oder eher experimentell oder avantgardistisch ausgerichtet sind, aber im Kern denselben künstlerischen Inhalt in sich tragen. Durch Feedbackschleifen und Interviews zwischen den Schaffensphasen wurde evaluiert, welche ästhetischen beziehungsweise auf den Kontext bezogenen musikalischen und außermusikalischen Charakteristika dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Mehr als 700 Besucher_innen erlebten musikalische und multimediale Beispiele des kulturellen Dialogs und der Transformationen von Tradition. Auf dem Heldenplatz vor dem Weltmuseum bot die Tao-Rockband Wild Thing Neuvertonungen von traditionellen Tao-Gesängen, in der Säulenhalle des Museums spannte sich der Bogen von traditionellen Tänzen und Gesängen bis zur zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dem Erbe und der Tradition der Tao, aber auch ihren sozialen und politischen Herausforderungen in einer globalisierten Welt.
Das Programm wurde dann drei Tage später auch in Budapest unter dem Titel The Heritage of the Orchid Island – A Millennial Culture in Contemporary Light im Haus der Musik präsentiert, angepasst an die besonderen Bedingungen und Möglichkeiten dieses neuen Bauwerks. Auch diese Veranstaltung stieß auf reges Publikumsinteresse und wurde sehr positiv aufgenommen. Gerade die genreübergreifende thematische Auseinandersetzung mit dem Wissen der Indigenen und dem Wissen der Künstler_innen zeigte, welchen Beitrag künstlerische Forschung leisten kann, um zwischen den Kulturen und Gesellschaften Brücken des Verständnisses zu errichten, aber auch einen kreativen, humorvollen und inspirierenden Umgang mit allfälligen Missverständnissen zu ermöglichen. In diesem Sinne kann das Projekt als gesellschaftspolitisch überaus relevant angesehen werden.