„Es ist die Quelle meiner Energie und Existenz, ich möchte nie etwas anderes machen, auch nicht bei tausend zu wählenden Optionen.“ Wenn Ira Süssenbach von ihrer Arbeit als Theaterregisseurin erzählt, ist die Liebe zum Theater im Raum greifbar. Die Studierende der Theaterregie im 4. Jahrgang am Max Reinhardt Seminar spricht im mdw-Magazin über ihre Diplominszenierung und inwiefern sich ihre berufliche Erfahrung im Finanzwesen für ihre künstlerische Arbeit als gewinnbringend erweist.

Ira Süssenbach, 1992 im sibirischen Krasnojarsk geboren, zog mit ihren Eltern im Alter von vier Jahren nach Moskau. Bereits in der Schule, einem Gymnasium mit Fokus auf Deutsch, motivierte sie ihre Mitschüler_innen zum Theaterspielen, etwa indem sie selbst geschriebene Texte und Dialoge im Unterricht theatralisch darboten. Für Süssenbach war der Berufswunsch Theaterregisseurin schon im Teenageralter klar, die Eltern wünschten sich aber eine Karriere in der Wirtschaft für ihre Tochter. Diesem Wunsch kam sie nach und studierte Wirtschaftswissenschaft in Moskau. Nach ihrem Bachelorabschluss begann sie 2012 das Masterstudium für Finanzmathematik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Wien war für sie die logische Wahl, da sie immer eine „nicht genau erklärbare Neigung zu Wien“ verspürte. Sie heuerte im Finanzwesen an und arbeitete sechs Jahre lang als Risikomanagerin. Der Wunsch nach dem Traumberuf Theaterregisseurin lebte währenddessen aber munter weiter. 2019 schließlich, nachdem sie die bürokratischen Hürden für einen Daueraufenthalt in Österreich bewältigt hatte, kehrte sie der Bankenwelt den Rücken und machte die Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt Seminar – und es klappte für sie auf Anhieb. „Es war der richtige Zeitpunkt, um anzufangen. Alle Erfahrungen, die man vor dem Theaterregiestudium gemacht hat, können in diesem sehr nützlich sein“, so Süssenbach. Auch ihre Entscheidung, Russland zu verlassen, ist angesichts der politischen Lage und damit einhergehend der Unmöglichkeit für freies und kritisches Theaterschaffen in Russland eine richtige gewesen: „Mir war schon früh klar, ich muss entweder gegen das politische System kämpfen und werde dafür im Gefängnis landen oder das Land verlassen und eine Gesellschaft suchen, die meinen Werten entspricht.“

© Luna Zscharnt

Als Stück für ihre Diplominszenierung, die im November 2022 stattfindet, hat sie sich Schlachthof von Sławomir Mrożek ausgesucht. Der Weg zum idealen Stoff für die Diplominszenierung war lehrreich für sie. Anfangs fiel ihre Wahl auf Verstand schafft Leiden von Alexander Gribojedow, die meistgespielte Theaterkomödie Russlands. Für die meisten Theaterregisseur_innen ist es der glanzvolle Schlusspunkt einer Regiekarriere aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität des Stoffes. Süssenbach fertigte eine Strichfassung an. Im Austausch mit ihren Lehrenden gelangte sie aber zu dem Schluss, dass die Fassung für ihre Diplominszenierung nicht geeignet war. Schließlich machte sie ihr Dramaturgie-Professor Peter Roessler auf den polnischen Schriftsteller und Dramatiker Sławomir Mrożek (1930–2013) aufmerksam. „Schlachthof ist ein absurdes Theaterstück, das auf Metaphernebene ein Leben in Unfreiheit in einem totalitären Staat zeigt. Diese Unfreiheit beginnt bei Mrożek schon in der Familie“, erklärt Süssenbach.

Bereits im zweiten Semester beginnen Regiestudierende des Max Reinhardt Seminars zu inszenieren. Im Rahmen von Regiepraktika, Vordiplom und Kooperationen mit Theatern wie dem Burgtheater schaffen die Studierenden das nötige Netzwerk, um ihr Team für die Inszenierungen zu formen. Die Besetzung erfolgt aus den Schauspielstudierenden des Max Reinhardt Seminars, dazu kommen die Teammitglieder für Bühnenbild, Kostüm, Ton, Licht, Dramaturgie und Regieassistenz. „Es ist eine große Stärke der Ausbildung am Max Reinhardt Seminar, dass man durch das aufbauende Studium das Know-how über die Abläufe erhält, um sich bei der Diplominszenierung souverän fühlen zu können“, so die Studierende. Den Gestaltungsspielraum im Studium und die Unterstützung durch Lehrende beschreibt Süssenbach als individuell: „Studierende können selbst das Ausmaß der Betreuung durch Lehrende bestimmen. An der Regieklasse von Anna Maria Krassnigg schätzte ich, dass sie durch ihr wertvolles Feedback die Selbstentfaltung der Studierenden fördert. Auch als Frau von einer Frau in diesem männerdominierten Berufsfeld betreut zu werden, ist für mich eine prägende Erfahrung.“

Weitere Erfahrungen konnte die junge Theaterregisseurin bei der Inszenierung von Erdbeben-Concerto im Rahmen der isa – Internationale Sommerakademie der mdw sammeln. Das Stück von George Tabori wurde im August 2022 im Gerhardthof in Reichenau an der Rax mit Schauspieler_innen des Max Reinhardt Seminars und dem aus isa-Studierenden bestehenden Rubik Quartet aufgeführt. „Der Stoff behandelt seelische Abgründe und existenziellen Schmerz. Zugleich ist es eine heitere Komödie. Dieses Lachen, das wehtut, ist für mich äußerst interessant bei einem Stück“, sagt Süssenbach.

Erdbeben-Concerto im Rahmen der isa22 © Stephan Polzer

In ihrer Arbeit beherzigt sie den Tipp ihrer Regielehrenden: „Du musst deinem Team Liebe und Vertrauen schenken!“ Den Schauspieler_innen die größtmögliche Freiheit anstatt genauer Anweisungen zu geben, ist natürlich auch mit einem Risiko verbunden. Das sieht sie jedoch als Vorteil: „Als ehemalige Risikomanagerin weiß ich: Mehr Risiko ermöglicht mehr Profit.“ Vorrangig für sie ist, für ihr Team einen Rahmen zu schaffen, in dem alle möglichst frei agieren können. Schlussendlich ist sie als Regisseurin aber dafür verantwortlich, was auf die Bühne kommt. „Ich habe keine Scheu davor, Konflikte entstehen zu lassen und mit dem Team auszuverhandeln. Gelingen kann das nur mit gewaltfreier Kommunikation auf Augenhöhe“, ist die junge Regisseurin überzeugt.

Nach der Diplominszenierung wird sie die Zeit am Max Reinhardt Seminar noch nutzen, um noch möglichst viel zu inszenieren und sich als Theaterregisseurin für kommende Angebote zu positionieren. „Ich möchte im deutschsprachigen Raum und international arbeiten und bin offen für Projekte an Theatern sowie in der freien Szene“, hofft sie auf eine arbeitsreiche Zukunft. Denn: „Im Theater habe ich die einzigartige Möglichkeit, Menschen in einem Raum zu versammeln, damit sie den Botschaften zuhören.“

Premiere der Diplominszenierung am 26. November 2022, weitere Aufführungen am 28., 29., 30. November 2022.

maxreinhardtseminar.at

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