In memoriam Ruža Nikolić-Lakatos (1945–2022) und Willi Resetarits (1948–2022)
Zwei Todesnachrichten erreichten mich innerhalb weniger Tage: am 24. April war Willi Resetarits gestorben, am 4. Mai Ruža Nikolić-Lakatos. Zu beiden Persönlichkeiten hatte ich Beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen, beide waren in meinem Leben wichtig und beide vermisse ich sehr. Warum sie für die mdw wichtig waren, sei im Folgenden erzählt.
Die beiden musikalischen Ausnahmeerscheinungen waren in verschiedenen Genres tätig, aber beide waren sie musizierende Minderheitenangehörige, die diese Identität in ihrer Musik und in gesellschaftspolitischem Engagement ausdrückten. Daraus ergab sich schon früh ein Anknüpfungspunkt zur ethnomusikologischen Minderheitenforschung am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, ab 2019 dann auch am Music and Minorities Research Center (MMRC).
Willi Resetarits wurde 1948 in Stinatz, einer kroatischen Ortschaft des Burgenlandes, geboren. Sein Leben und sein Wirken sind hinlänglich bekannt, denn sein Tod hat das ganze Land erschüttert. Er war ein „österreichischer Ausnahme-Entertainer und politisch engagierter Zeitgenosse“, wie es am Cover seiner Autobiographie heißt. Weniger bekannt ist seine Verbindung zur mdw. Der Senat der mdw hat Willi Resetarits im November 2015 zum Universitätsrat gewählt. Eine Position war durch den Rücktritt von Angelika Kirchschlager vakant geworden in universitätspolitisch sehr bewegten Zeiten. Durch die Wahl einer gesellschaftspolitisch so klar positionierten Persönlichkeit hat der Senat ein Zeichen für die mdw gesetzt. Ich zitiere aus der Presseaussendung vom 19. November 2015: „Der Senat der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien hat den vielseitig profilierten und gesellschaftspolitisch engagierten Musiker Willi Resetarits zum neuen Mitglied des Universitätsrats der mdw gewählt.“
Willi Resetarits hat u. a. mit den Schmetterlingen und als Ostbahn-Kurti die österreichische Popularmusik maßgeblich mitgeprägt und ist als Mitbegründer von SOS Mitmensch und des Wiener Integrationshauses beispielhaft für die gesellschaftliche Verantwortung künstlerischer Menschen. Er hat sich in seiner Amtsperiode eng mit dem Institut für Popularmusik vernetzt und ist bei Veranstaltungen der Universität aufgetreten. Seine burgenländisch-kroatischen Wurzeln, die besonders in den letzten Jahren auch in seinem musikalischen Schaffen mehr in den Vordergrund traten, stellten einen engen Anknüpfungspunkt zur Minderheitenforschung an unserem Institut dar. Und die enge Kooperation der Universität mit dem Integrationshaus im Zusammenhang mit geflüchteten Jugendlichen ist ebenfalls ihm zu verdanken (siehe mdw.ac.at/ive/projekte).
Ruža Nikolić-Lakatos, Romni aus der Gruppe der Lovara, wurde 1945 in Ungarn in der kleinen Stadt Papa geboren; 1956 flüchtete die Familie im Zuge des „Ungarnaufstandes“ nach Österreich. Hier lernte Ruža ihren späteren Ehemann Mišo kennen, und aus der Ehe stammen fünf Kinder. Sascha, der Zweitälteste, starb 2004. Es ist ein schier unvorstellbares Leid für eine Mutter, ihr Kind zu Grabe tragen zu müssen. Und das war bei Weitem nicht der einzige Schicksalsschlag, der Ruža getroffen hat, drei Jahre später starb ihr Mann Mišo. Trotz all dieses Leids war sie einer der liebenswertesten, freundlichsten und positivsten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe.
Weit über die Grenzen des Landes hinaus war sie für ihre Musik und für ihr Engagement für die Volksgruppe der Romnja und Roma bekannt. „So ist meine Frau Ruža zu einer Botschafterin unseres Volkes geworden. Mit ihrer Stimme fasziniert sie das Publikum, sie strahlt aus von der Bühne und beschenkt jeden Zuhörer mit ihren Liedern. Sa ande tumari paćiv! – Euch zu Ehren!“ (Mišo Nikolić).
Das Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie verdankt Ruža den Minderheitenschwerpunkt, und das kam so: Ruža war der Grund, warum ich begann, mich als Ethnomusikologin für Romamusik zu interessieren. 1988 trat sie in der von Bert Breit und Xaver Schwarzenberger gestalteten Fernsehdokumentation Ihr werdet uns nie verstehen auf. Am Ende des Films sang sie, auf der Reichsbrücke stehend, ein Lied. Dieses Lied hat mich im wahrsten Sinne des Wortes berührt, obwohl ich kein Wort verstand und von dieser Art Musik keine Ahnung hatte. Ich wollte lernen zu verstehen. Dies war die Grundlage für mehrere Drittmittel-Forschungsprojekte, die den Minderheitenschwerpunkt begründeten.
Ruža war damals in ihrer Community, der Romagruppe der Lovara, bereits eine berühmte Sängerin. Am liebsten sang sie die alten, traditionellen Lieder, die sie in ihrer Kindheit in Ungarn gelernt hatte, Lieder wie jenes, das in der ORF-Dokumentation vorkam. Sie war eine der „Bewahrer_innen“ dieser Tradition. Und es war ihr wichtig, dass diese Lieder weiterlebten. Sonst hätte sie sich Anfang der 1990er Jahre auch nicht bereit erklärt, diese Lieder mir, einer jungen und naiven Forscherin, die vom Lied auf der Reichsbrücke fasziniert war und sonst nicht viel Ahnung hatte, vorzusingen. Das war keine der in der Ethnomusikologie sonst üblichen Dokumentationen, das war ein Geschenk, für das ich immer noch dankbar bin. „Sa ća pačivake, Uschi“ hat sie oft gesagt nach einem Lied, was so viel heißt wie „Dir zu Ehren“. Ich durfte damals etwa 150 ihrer Lieder aufnehmen, die im Archiv des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der mdw wohlverwahrt und teilweise publiziert sind. Damals begann sie auch öffentlich aufzutreten, denn vorher hatte sie ausschließlich für ihre Community gesungen. Ružas Karriere war eng mit Mišo und ihren Söhnen Sascha und Mischa verbunden, und es gab damals kein Festival mit sogenannter World Music in Österreich ohne Ruža. Romamusik wurde insgesamt in der Öffentlichkeit immer mehr wahrgenommen, woran Ruža einen ganz wesentlichen Anteil hatte. Es gab auch kaum eine größere Institutsveranstaltung, bei der sie nicht gebucht war, die ICTM-Weltkonferenz (2007), internationale Symposien, Buchpräsentationen, Jubiläen und Gedenkfeiern. Im Dezember 2019 wurde sie mit dem nach ihr benannten Ruža-Nikolić-Lakatos-Preis für ihr Lebenswerk und ihren unermüdlichen Einsatz für den Erhalt von Kultur und Sprache der Romnja und Roma ausgezeichnet. Bei dieser Veranstaltung im Porgy and Bess konnte sie aus Krankheitsgründen schon nicht mehr persönlich anwesend sein.
Die beiden Persönlichkeiten verband ihre Fähigkeit, die Macht der Musik dazu zu nützen, die Welt ein wenig besser zu machen. Sie taten dies in unterschiedlichen Szenarien, die sich aber immer wieder berührten, z. B. standen sie gemeinsam im Musical Coming Home. Ein musikalisches „Pannonical“ von Christian Kolonovits 2004 auf der Bühne in Oberwart, jener südburgenländischen Stadt, in der 1995 das größte Attentat der Zweiten Republik verübt worden war, bei dem vier Romaburschen starben. Auf der CD Stimmen gegen Hass und Gewalt, die nach dem Attentat als Zeichen der Solidarität mit den Opfern und als deutliches künstlerisch-politisches Signal produziert wurde, sind ebenfalls die Stimmen von Willi (als Ostbahn-Kurti) und Ruža zu hören.
Willi Resetarits und Ruža Nikolić-Lakatos haben Österreich mitgeprägt, waren Lichtgestalten in der Finsternis der rechtspopulistischen und xenophoben Entwicklungen und haben mit den Mitteln der Musikalität unglaublich viel bewirkt. Ihr Werk wird weiterleben, sie aber fehlen.