Zur aktuellen Missbrauchs-Debatte an Kulturinstitutionen und Kunstuniversitäten: Das mdw-Magazin im Gespräch mit Rektorin Ulrike Sych, Vizerektorin Gerda Müller und Studierendenvertreterin Naomi Luther.
Große Kulturinstitutionen und zuletzt auch Kunstuniversitäten sind immer wieder mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung und des Machtmissbrauchs konfrontiert. Woran liegt das?
Ulrike Sych (US): Sexuelle und auch geschlechterbezogene Belästigung zieht sich durch die gesamte Gesellschaft und betrifft somit auch den Kunst- und Kulturbereich. In der Kunst ist die Emotionsebene essenziell und es ist wichtig, dass Künstlerinnen und Künstler emotional frei agieren können – zugleich macht der Einsatz von Emotion die Agierenden verletzlich und verursacht ein besonderes Risiko für Grenzüberschreitungen und Missbrauch. Das sehen wir im Theater, im Film und auch an Kunstuniversitäten. Das ist das eine. Zum anderen gibt es aus der Vergangenheit noch Benehmenskulturen, die heute nicht mehr toleriert und hingenommen werden: Lange war es in der Kunst geradezu „normal“, dass man ungefragt berührt wurde, sich gegen Übergriffe schlecht wehren konnte und ausgeliefert war, weil niemand darüber gesprochen hat. Hier hat glücklicherweise in den vergangenen Jahren eine starke Sensibilisierung des Umfelds, der Gesellschaft stattgefunden. Als Rektorin sehe ich eine meiner wichtigen Aufgaben darin, jeglichem Machtmissbrauch entgegenzuwirken – einerseits in der Prävention, aber anderseits auch in der Reaktion, sobald mir Fälle von Belästigung gemeldet werden.
Gerda Müller (GM): Auch der Leistungsaspekt darf nicht außer Acht gelassen werden, was Machtmissbrauch angeht. An der mdw gibt es strenge Zulassungsbeschränkungen, es ist ein schwieriges, sehr aufwendiges Auswahlverfahren.
Naomi Luther (NL): Wir haben extrem viel Einzelunterricht oder Unterricht in kleinen Gruppen. Dadurch hat man eine sehr enge Beziehung zu seinem Professor oder seiner Professorin. Das führt natürlich dazu, dass ein gewisses Machtverhältnis besteht und es gleichzeitig aber auch zu einer persönlichen Bindung kommt. Die Arbeit am Instrument ist auch sehr körperlich, das muss in gewisser Weise so sein, aber es muss natürlich von beiden Seiten sehr klar kommuniziert werden und nach den Regeln funktionieren. Das ist manchmal leider nicht der Fall und es werden Grenzen überschritten.
US: Es ist uns wirklich sehr wichtig, dass Lehrende die Studierenden fragen müssen, ob sie sie anfassen dürfen, wenn es didaktisch-methodische Gründe dafür gibt, und dass sie auch erklären, warum. Das ist übrigens auch im Code of Conduct unserer Universität festgehalten. Wenn Studierende einer Berührung nicht zustimmen, dann ist das zu respektieren: Ein Nein ist ein Nein.
GM: Professionelle Beziehungsarbeit ist sehr wichtig. Wir wissen, dass eine sehr enge Beziehung entsteht, wenn sehr viel miteinander gearbeitet wird und die Grenze zum „Familiären“ oft schon gegeben ist. Deswegen ist es so essenziell, dass wir unseren Lehrenden von Beginn an einen professionellen Zugang zu dem vermitteln, wie unterrichtet werden soll, welchen Anspruch wir an der mdw haben.
Was kann die mdw als Institution strukturell tun, um Verhältnisse zu schaffen, die Machtmissbrauch und Übergriffen entgegenwirken?
GM: Wir haben partizipativ mit vielen Kolleginnen und Kollegen und Studierenden eine Diversitätsstrategie erarbeitet. Da sind unterschiedliche Maßnahmen entstanden, zum Beispiel dass man in die Curricula Lehrveranstaltungen hineinbringt, die sich mit Diversität, mit Gleichstellungsfragen auseinandersetzen, also dass das in der Ausbildungssituation schon berücksichtigt wird. Dann beschäftigen wir uns als weitere Maßnahme mit Fragen zur Gleichstellung im Zusammenhang mit der Unterstützung von Frauen auf ihren Karrierewegen. Und ein ganz wesentliches Tool, das gemeinsam mit der hmdw entwickelt worden ist und demnächst herauskommen wird, ist ein Webtool, das uns allen die Möglichkeit geben soll, Handlungsoptionen zu bekommen, wie in Unterrichtssituationen, die sich schwieriger gestalten, reagiert werden kann: als Studierende_r, aber auch als Lehrende_r.
Welche Hilfsangebote gibt es vonseiten der hmdw, wenn man sich betroffen fühlt?
NL: Ganz niederschwellig gibt es natürlich das Angebot der hmdw, mit der zuständigen Studierendenvertretung zu reden, damit man gemeinsam überlegt: Welche Schritte setzen wir? Muss man die Institutsleitung einschalten, gehen wir zum Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen oder müssen tatsächlich schwerwiegendere Konsequenzen eingeleitet werden? In dem Fall würde man sich natürlich auch an das Rektorat wenden. Man kann immer die Leiter nach oben gehen, aber ganz wichtig ist es, den Studierenden zu sagen, dass man nicht gleich dem Rektorat schreiben muss, wenn man sich in der Unterrichtssituation blöd fühlt, sondern dass es ganz niederschwellige Lösungen gibt.
US: Ich bin seit 1990 an der mdw und seit Anbeginn habe ich im Arbeitskreis für Gleichbehandlung gearbeitet und habe ihn dann auch geleitet. Dadurch bin ich persönlich in Themen der Antidiskriminierung und sexuellen Belästigung sehr gut eingearbeitet. Ich kenne die Ängste und Sorgen der Studierenden, die vollkommen berechtigt sind. Es ist für Künstlerinnen und Künstler ein großer Schritt, einen Übergriff zu melden. An der Universität gibt es, anders als später im Berufsleben, umgehende Reaktion und einen klaren Handlungsauftrag im Opferschutz. Da greife ich als Rektorin bedingungslos durch: Wenn sich eine Studierende oder ein Studierender meldet und eine Belästigung nachgewiesen werden kann, wird selbstverständlich die studierende Person sofort von ihrer Lehrkraft getrennt und beschützt. Mir persönlich ist Opferschutz ganz enorm wichtig und mir ist es auch wichtig, dass die Studierenden wissen, dass meine Tür für sie immer offen ist. Ich glaube, die mdw weiß, dass ich eine Rektorin bin, die nicht zuschaut, sondern reagiert. Wenn mir ein Fall zur Kenntnis gebracht wird, reagiere ich sofort, sei es durch Suspendierung, Entlassung oder durch Anweisung von Lehrer_innen-Wechsel und Hausverbot. Da gibt es viele Möglichkeiten, die ich als Rektorin habe und einsetze. Es ist mir auch sehr wichtig, dass sich unsere Studierenden ebenfalls an externe Gremien und Interessensvertretungen wenden können.
GM: Ein wesentlicher Punkt, mit dem wir uns befassen müssen, ist die Angst: diese Angst, etwas anzusprechen, die Angst, nach außen zu gehen, sich zu öffnen, sich selbst zu ermächtigen, zu sprechen, Dinge auch aufzuzeigen, wenn man nicht genau weiß, mit welchen Konsequenzen man zu rechnen hat. Was heißt das für mich als Mensch? Was heißt das für meine Karriere? Als Universitätsleitung verstehen wir diese Angst zu hundert Prozent und arbeiten wirklich mit aller Kraft und allen Möglichkeiten, die wir haben, daran, jungen Menschen diese Angst ein Stück weit zu nehmen, sie dabei zu unterstützen – und das ist mir persönlich ganz wichtig –, dass sie zu sich selbst stehen und sich selbst ermächtigen, um auf sich aufzupassen. Da ist es umso wichtiger, dass es unterschiedliche Angebote gibt: Angebote, die von der Universitätsleitung gesetzt werden – mit unmittelbaren Konsequenzen –, aber genauso die Angebote, die niederschwellig und anonym da sind, um aus einem breiten Angebot die richtige Möglichkeit für sich selbst zu finden.
Ein ausführliches Audio-Interview mit vielen weiteren Aspekten zum Thema können Sie im mdwPodcast hören. Das Gespräch führte Paul Lohberger.